_ Die für Neubauten und Renovierungen geforderten energetischen Werte sind heute nur noch mit beschichteten Gläsern zu erreichen. Diese Gläser sollen möglichst für ein angenehmes Raumklima sorgen und viel Tageslicht in den Raum lassen. Dies erreichen Gläser mit einer hohen Reflexion im Infrarotbereich und einer hohen Transmission im sichtbaren Spektralbereich. Es gibt verschiedene Verfahren zur Beschichtung: Verdampfung, nass-chemische Beschichtungen, diverse pyrolytische Verfahren wie Sol-Gel-Verfahren u. a. Die geforderten physikalischen Werte von Wärmedämm- und Sonnenschutzgläsern erhält man am besten im sogenannten Magnetron-Sputter-Verfahren.
So funktioniert dieMagnetron-Beschichtung
Die in diesem Verfahren hergestellten Dünnfilmschichten sind komplexe Doppel- oder Dreifachschichtsysteme, die aus reflektierenden Metallen wie Silber, Metalloxiden zur Entspiegelung und weiteren Komponenten bestehen. Dabei werden die Gläser schrittweise in eine Reaktionskammer gefahren, in der das für die Beschichtung per Kathodenzerstäubung notwendige Hochvakuum herrscht. Durch das Zusammenwirken eines sehr starken Magnetfeldes mit einem Prozessgas (Argon) und den Kathoden (Target), lösen sich Atome aus dem Target und lagern sich auf dem Glas als Schicht ab.
Dieser Schritt wird mehrfach wiederholt, bis die gewünschte Beschichtung erreicht ist. Je nach Kathodenbestückung der Magnetronlinien lassen sich unterschiedliche Schichten produzieren.
Vielstufiger Entwicklungsprozess
Um beispielsweise Sonnenschutzgläser weiter zu entwickeln, untersucht die Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Saint-Gobain Glass, wie die unterschiedlichen und sich zum Teil widersprechenden Anforderungen an Sonnenschutz umgesetzt werden können: Je nach Region fordern Architekten möglichst farbneutrale Gläser, die außerdem eine hohe Lichttransmission bei Sonnenschutzanwendungen aber gleichzeitig einen geringen g-Wert haben sollen – ein vermeintlicher Widerspruch. Gleichzeitig müssen die Grundvoraussetzungen für den Wärmeschutz gegeben sein.
Zunächst wird dann von den Entwicklern geprüft, inwieweit sich aktuelle Materialien für die Anforderungen eignen oder ob gegebenenfalls neue Materialien oder Materialkombinationen gefunden werden müssen.
Ein ständiger, enger Austausch zwischen der SGG-Forschungsabteilung und wissenschaftlichen Institutionen bildet die Basis dafür.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist der Austausch von Innovationen und Erfahrungen zwischen verschiedenen Branchen und Geschäftsfeldern von Saint-Gobain, die eine breite Weiterentwicklung ermöglichen. Nicht zuletzt wird in diesem Rahmen auch die Prozess- und Anlagentechnik beleuchtet und optimiert.
Haben die Forscher eine Idee für eine neue Beschichtung, wird diese in verschiedenen Stufen nach dem sogenannten Stage-Gate-Modell, einem internationalen Prozessmodell für die Innovations- und Produktentwicklung, entwickelt.
Die Umsetzung in die Praxis
Am Anfang stehen Machbarkeitsstudien im „Kleinen“, also mit kleinen Versuchs-Magnetron-Anlagen, um zum Beispiel Fragen zu klären wie „Passen die verwendeten Komponenten in der Praxis zueinander?“, „Wie sind die Farbwerte?“, „Welche physikalischen Werte erreichen wir?“. Dabei wird bei jeder neuen oder optimierten Schicht auf ihre spätere Verarbeitbarkeit geachtet.
So darf beispielsweise beim Verarbeiten, beim Transport oder beim Waschen die Schicht nicht aufplatzen, da sonst das Silber korrodieren würde und dadurch die Funktion der Schicht beeinträchtigt würde. Zudem würde sich die optische Ästhetik der Scheibe verschlechtern.
Stimmen diese Versuchsergebnisse, wird eine Anzahl von Versuchen auf der industriellen Großanlage gefahren, um eine statistische Sicherheit zu erhalten, dass die Fertigung stabil ist. Ist dies der Fall, folgen Weiterverarbeitungsversuche mit ausgewählten Glasverarbeitern.
Bei dem heutigen Komplexitätsgrad der Schichten geschieht dies anfangs gemeinsam mit den Forschern von Saint-Gobain Glass. Hier spielen dann Fragen nach der Wasserqualität in der Waschmaschine, welche Bürsten zum Einsatz kommen, wie die Sauger beschaffen sein müssen, die auf die beschichtete Seite treffen usw. eine wichtige Rolle.
Die Verarbeiter geben Rückmeldung hinsichtlich ihrer Erfahrungen und so beginnt der nächste Optimierungsprozess der Schicht.
Um verlässliche Aussagen zu bekommen, ist eine bestimmte Anzahl von Beschichtungs- und Verarbeitungsversuchen des neuen Produkts notwendig. Das kann eine gewisse Zeit dauern, da die Erprobungsphase sowohl in den Werken von Saint-Gobain Glass als auch bei dem externen Glasverarbeiter parallel zum Alltagsgeschäft erfolgt.
Dieser Versuchs-„Kreislauf“ kann mehrere Male stattfinden, bis ein Beschichtungsprodukt marktreif ist. Bestandteil dieses Stage-Gate-Prozesses sind darüber hinaus auch kaufmännische Aspekte, Vertriebs- und Marketingkonzepte.
Komplexe Wechselwirkungen
Das im Oktober 2014 neu auf den Markt gebrachte SGG Planiclear ist ein gutes Beispiel, wie Hersteller Saint-Gobain Glass auf die Marktanforderungen reagiert hat. Mit seiner höheren Lichtdurchlässigkeit im Vergleich zu herkömmlichem Floatglas wie beispielsweise SGG Planilux erfüllt Planiclear den Wunsch insbesondere von Architekten und Innenarchitekten nach einem neutraleren Glas. Dieses neue Glas ist jetzt Ausgangsbasis für weitere Produktentwicklungen von beschichteten Gläsern, die die Forschungs- und Entwicklungsabteilung in nächster Zeit vornehmen wird. So konnte auf dieser Basis bereits das neue Produkt SGG Cool-Lite SKN 176 mit sehr hoher Farbneutralität und sehr guten physikalischen Werten entwickelt werden.
Noch nie in der Geschichte der Glasherstellung waren Glasbeschichtungen so komplex wie heute. Und je komplexer diese sind, desto aufwendiger ist es auch, neue Produkte von der ersten Idee bis zur Marktreife zu entwickeln. —
Der Autor
Thomas Schuster ist Leiter Produktion und Technik der Saint-Gobain Glass Deutschland GmbH