_ Der Sprungverlauf ließ bei der ersten Ortsbegehung, zunächst auf eine thermische Ursache schließen. Da die VSG-Scheibe am Tag des Ortstermins jedoch nicht ausgebaut werden konnte, erfolgte die Besichtigung und Beurteilung des Glassprunges zunächst durch alleinige Betrachtung der Glasfläche.
Der im rechten Winkel von der Glaskante links oben in die Fläche hineinlaufende Sprung ließ auf einen thermisch induzierten Glassprung schließen. Eine endgültige Aussage über die Bruchursache sollte jedoch erst bei Betrachtung des Bruchausganges auf der Glaskante erfolgen. Aus diesem Grund war ein zweiter Ortstermin notwendig. Und die Beurteilung der Glaskante sollte dann auch eine überraschende Wende bringen.
Bei der Scheibe handelt es sich um VSG aus 2 x 19 mm Floatglas mit einer 0,76 mm dicken PVB Folie. Die Scheibengröße beträgt 2890 x 3650 mm.
Die Scheibe ist dreiseitig (unten und zweiseitig vertikal) in verschraubte Rahmenprofile verglast. Im Bereich der oberen, horizontalen Glaskante verläuft zum Gehege hin ein Stahlrohr zur Befestigung eines Drahtnetzes.
Der Abstand beträgt ca. 20 mm zur Glasscheibe. Dieses Rohr wirft bei Sonnenschein einen Schlagschatten auf die obere Glasfläche. Die gehegeseitige 19 mm dicke Einzelscheibe wies am ersten Ortstermin zunächst nur einen Glassprung auf. Dieser Glassprung hatte seinen Ursprung von außen betrachtet oben links von der seitlichen Glaskante ausgehend und dann mäanderförmig in die Scheibenfläche hinein verlaufend (Foto 01). Oben rechts und links steht die Glasscheibe etwa 10 cm aus den Verglasungsprofilen heraus (Foto 02).
Im Laufe der Zeit hat sich ein zweiter Glassprung ausgebildet, der von der gleichen seitlichen Ursprungsstelle ausgehend etwa 1 cm oberhalb des ersten Glassprunges parallel in die Fläche und dann nach etwa 20 cm nach oben verläuft (großes Bild 03).
Woher kommt der zweite Sprung?
Bei Betrachtung der Glaskante zeigte sich, dass am Bruchursprung der Riss des ersten Glassprunges schräg über die gesamte Breite der Glaskante verläuft und von diesem etwa mittig ausgehend der Riss des zweiten Glassprunges abzweigt.
Vereinfacht beschrieben kommt es zu einem thermischen Glassprung immer dann, wenn die Temperaturdifferenz zwischen dem im Rahmen „eingebetteten“ kalten Glasrand und der sichtbaren warmen Glasfläche zu groß wird. Bei Floatglas beträgt dieser Wert etwa 20 Kelvin.
Je nach Beschaffenheit der Glaskante kann der Wert auch darunter liegen. Wenn die Temperaturdifferenz zwischen Glasrand und Glasfläche überschritten wird, kann es zu einem thermischen Glassprung kommen.
Thermisch hervorgerufene Glassprünge sind zweifelsfrei an ihrem typischen Verlauf zu erkennen: Sie verlaufen am Bruchausgang von der Glaskante ausgehend zunächst immer in einem Winkel von 90 Grad heraus und dann mäanderförmig in die Glasfläche hinein.
Ein weiteres Merkmal ist, dass der Sprung auf der Flanke der Glaskante ebenfalls immer in einem Winkel von 90 Grad quer über die Glaskante verläuft. Bei der Suche nach der Ursache für einen Glassprung reicht es deshalb also nicht aus, alleine die Glasfläche zu betrachten. Es muss immer auch der Bruchursprung auf der Glaskante beurteilt werden.
Beim ersten Ortstermins ließ der Sprungverlauf in die Glasfläche zunächst darauf schließen, dass es zu einem thermischen Glassprung gekommen ist, weil das im Bereich der oberen Glaskante gehegeseitig horizontal verlaufende Stahlrohr bei Sonnenschein einen Schlagschatten auf die Scheibe wirft.
Nach Ausbau der Scheibe und Betrachtung bzw. Untersuchung der Glaskante zeigte sich jedoch, dass am Bruchursprung der Riss des ersten Glassprunges schräg über die gesamte Breite der Glaskante verläuft und von diesem etwa mittig ausgehend der Riss des zweiten Glassprunges abzweigt (Foto 04).
Bei einem rein thermisch hervorgerufenen Glassprung wäre der Riss im rechten Winkel über die Glaskante verlaufen. Vorgefunden wurde jedoch ein schräg verlaufender Riss.
Dieser schräg über die Glaskante verlaufende Riss weist aber auf eine mechanische Beschädigung der Kante hin.
Ausgehend von dieser Kantenbeschädigung ist es dann aufgrund des Rohrschattens und den damit verbundenen Temperaturunterschieden zwischen Glasrand und Glasfläche zu dem in die Fläche hineinlaufenden Glassprung gekommen.
Das Fazit des Gutachters
Dieser Fall zeigt, dass es fatal wäre die Bruchursache alleine aus der Beurteilung des Sprungverlaufes in der Glasfläche festzulegen. Dies hätte im vorliegenden Fall definitiv zu einem falschen Ergebnis geführt.
Die Tatsache, dass der Glassprung in einem Winkel von 90 Grad in die Fläche hineinläuft, lässt zwar auf einen thermisch induzierten Sprung schließen, muss aber immer durch die Überprüfung des Bruchausgangs an der Glaskante abgesichert werden.—
Der Autor
Wolf-Dietrich Chmieleck ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Glastechnik.
IGA Institut für Glas-Anwendung
Tel. (0 23 02) 7 53 83