_ Glas zu schneiden ist für alle, die mit der Veredelung von Flachglas zu tun haben, eine Selbstverständlichkeit. Wir schneiden Floatglas, Ornamentglas, Verbundsicherheitsglas, Einscheibensicherheitsglas – Stopp, Einscheibensicherheitsglas ist nicht schneidbar, wird jetzt jeder einwenden, der das schon mal versucht hat. ESG zerspringt doch sofort bei dem Versuch, es auf irgendeine Weise zu trennen. Grund ist die durch den Temperaturprozess in das Glas eingeprägte Spannung. Dabei bewirkt die Druckspannung im äußeren Bereich eine Festigkeitserhöhung und die Zugspannung im Inneren des Glases den Bruch in die ESG typischen vielen kleinen Krümel.
Doch eine neue Entwicklung der Fa. Coherent I rofin durchbricht diese bisher als unerschütterlich geltende Grenze. Eine neue Technologie macht es jetzt möglich, Einscheibensicherheitsglas zu Schneiden. Dabei wird das Glas nicht wie herkömmlich mit einem Schneidrädchen geritzt oder mit einem Diamantwerkzeug bearbeitet, sondern die Technik beruht auf einer Bearbeitung mit dem Laser. Dabei wird das Glas mithilfe eines Laserstrahls getrennt.
Was kann das Verfahren und wie funktioniert es?
Die GLASWELT war vor Ort und hat den Prozess „live“ unter die Lupe genommen. Dazu das Unternehmen: „Unsere Entwicklung hat in der letzten Zeit enorme Fortschritte gemacht. Wir sind jetzt in der Lage, nicht nur Floatglas oder dünnes chemisch vorgespanntes Glas, sondern ebenso thermisch vorgespanntes Glas wie Einscheibensicherheitsglas (ESG) oder teilvorgespanntes Glas (TVG) zu schneiden“, so Dr. Mayerhofer, Leiter der Innovation bei Coherent I rofin.
„Der Prozess funktioniert sehr gut, ist reproduzierbar und wir haben damit schon Scheiben bis zu einer Dicke von 8 mm geschnitten. Dickeres Glas haben wir noch nicht ausprobiert, es gibt aber keine systembedingten Einschränkungen“, unterstreicht der Forscher.
Zur Demonstration waren wir im Applikations-Labor von Coherent I rofin. Dort wurde ein normales Einscheibensicherheitsglas auf den Arbeitstisch der Laserschneidanlage gelegt und der Prozess gestartet.
„Wichtig ist beim Laserschneiden eine saubere Prozessführung, damit das Glas getrennt werden kann. Sowohl die Auflage als auch die Programmierung des Lasers muss passen, sonst funktioniert es nicht“, erklärt Dr. Mayerhofer. Zum Einsatz kommt hier ein gepulster Pikosekunden-Laser aus dem Coherent Produktportfolio.
Der Laserstrahl fährt über das Glas – zuerst ist nicht viel zu sehen und als der Prozess zu Ende ist, springt das Glas an der Schnittstelle auseinander und es ist getrennt. Es liegen zwei getrennte Teile des ursprünglichen Glases vor.
Aber ist das immer noch ESG?
Zum weiteren Testen werden Streifen geschnitten, auch das funktioniert einwandfrei. Die geschnittenen Streifen werden dann einem (nicht normgerechten) Biegezugtest unterzogen.
„Es stehen zwar noch weitere unabhängige Tests aus, aber das Bruchverhalten der geschnittenen Gläser und das erste Ergebnis eines Biegezugtests, den wir bei einer Zugspannung von 180 N/mm² ohne Zerstörung beendet haben, zeigt, dass wir hier tatsächlich weiterhin thermisch vorgespanntes Glas vorliegen haben“, erläutert Dr. Roland Mayerhofer.
„Natürlich müssen wir das auch noch weiter qualifizieren, entsprechend der einzelnen denkbaren Anwendungen auch mit den entsprechenden Zulassungen hinterlegen.“
Das Verfahren im Detail
In das Glas werden mithilfe des Lasers sogenannte Filamente eingebracht, es wird quasi perforiert. Die richtige Prozessführung erlaubt es nun, das thermisch vorgespannte Glas so zu durchtrennen, dass dieses während des Prozesses nicht zerstört wird.
Die ins Glas eingebrachten Filamente sind bei dem hier geschnittenen Glas etwa 2–3 mm lang, dies ist auch von der Glasdicke abhängig, und haben einen Durchmesser von 0,5 bis 1 µm. Der Abstand zwischen den einzelnen Filamenten ist so klein, typischerweise ca. 5 µm, dass dadurch quasi ein durchgehender Schnitt entsteht. Das SmartCleave genannte, patentierte Verfahren wird schon seit geraumer Zeit zum Schneiden von Glas verwendet.
Das Besondere beim Schneiden von thermisch vorgespanntem Glas ist dabei jedoch, dass die Filamente, die Perforation, nur innerhalb definierter Spannungsbereiche des Glases erzeugt werden und somit eine Trennung ohne Zerstörung der Glasscheibe erlauben.
Im Labor werden heute schon bei 2 mm Glasdicke Geschwindigkeiten von bis zu 500 mm / s erreicht. Durch Erhöhung der Laserleistung sei dies auch auf dickere Gläser problemlos zu übertragen.
Ist ein freier Formschnitt möglich?
Jetzt stellt sich die Frage: Sind Modelle und freie Formen mit diesem Verfahren produzierbar?
„Im Prinzip ja, die Entwicklung steckt hier noch in einem frühen Stadium. Versuchsweise wurden bereits große Radien geschnitten, für weitere Erkenntnisse, die dann auch kundenseitig angewandt werden können, werden noch weitere Versuche benötigt. Die Planung dafür steht schon“, erläutert Dr. Mayerhofer.
Welche praktischen Anwendungen kann man sich mithilfe des neuen Verfahrens vorstellen? Neben den klassischen Anwendungen für den Laser im Displaybereich und optische Komponenten sind Anwendungen im Bereich Automotive, Interieur- und Fassadenglas denkbar.
Wird es für den Verarbeiter in Zukunft möglich sein ESG in Bandmaßen zu kaufen und die benötigten Stücke daraus zu schneiden?
„Möglich ist vieles, wir sind gerade dabei die vielen Möglichkeiten für zukünftige Anwendungen auszuloten und die nötigen Schritte für die Qualifizierung und Zulassung der einzelnen Produkte und Produktfelder zu prüfen. Bis zur Serienreife wird bei der einen oder anderen Umsetzung jedoch noch etwas Zeit vergehen“, erklärt Dr. Mayerhofer zum Abschluss des Besuchs.—
Über die Entwickler
Coherent hat Rofin erworben und ist somit der größte Anbieter von Lasern und laserbasierten Lösungen für wissenschaftliche, kommerzielle und industrielle Kunden. Heute gibt es keine andere Firma, die eine vergleichbare Bandbreite an Möglichkeiten oder eine breitere Auswahl an Produkten anbieten kann. Was auch immer die Applikations-Anforderungen sind, Coherent bietet eine umfassende Reihe an Lösungen von der Strahlquelle bis zu Systemen sowie bei Bedarf eine tiefreichende Applikations- und Prozessunterstützung. Durch sein Vertriebs- und Servicenetz kann das Unternehmen zudem einen sehr guten Kunden-Support zu bieten.