Die Novellierung der DIN 18008 wirft in der Branche die Frage auf: Kann die Glasindustrie genügend Sicherheitsglas bereitstellen? Lesen Sie hier, wie Thomas Fiedler, Technischer Leiter der Uniglas-Gruppe, diese Situation einschätzt und damit auf zwei weitere Meinungen aus der Branche antwortet.
Der folgende Leserbrief ist eine Antwort auf Michael Betzold, Category Manager Isolierglas, Saint-Gobain Glass Deutschland GmbH, der wiederum auf den Beitrag „Versorgungsmöglichkeit durch die Glasindustrie eventuell nicht gegeben?“ von Helmut Paß, German Windows, reagiert hat und meinte, dass die Versorgung mit ESG und VSG auch nach der bauordnungsrechtlichen Umsetzung der E DIN 18008-1:2018-05 gegeben sei (Anmerkung der Redaktion).
Das sagt Thomas Fiedler
Wenn Herr Betzold die Sorge von Herrn Paß nicht teilt, mag dies für das Glaskontor Bamberg zutreffen. Dort wurde, wie Herr Betzold nicht verschweigt, erst im Jahre 2017 in eine leistungsfähige Vorspannanlage investiert, die maöglicherweise noch nicht völlig ausgelastet ist. Die Allgemeingültigkeit dieser Aussage ist ebenso kritisch zu hinterfragen, wie die Lieferfähigkeit der Glashersteller, Laminier- und Beschichtungsunternehmen.
Vorsichtig geschätzt werden 20% bis 30% der Gläser unter die Regel nach 5.1.4 der E DIN 18008-1 fallen und werden künftig entweder raumseitig oder, weil die Fenster auch vom Balkon oder der Terrasse von außen frei zugänglich sind, beidseitig mit Sicherheitsglas auszustatten sein. Dies bedeutet in aller Konsequenz, dass mindestens 2 bis 2,5 Mio. m² pro Jahr beschichtetes ESG oder VSG zusätzlich als Vorstufe zur Isolierglasfertigung produziert werden müssen. Nach den Gesetzen der Markwirtschaft werden sich bei konkreten und dauerhaften Anfragen Anbieter finden, die bereit und in der Lage sind die steigende Nachfrage zu decken. Nur wird kein verantwortungsbewusst handelnder Unternehmer seine Kapazitäten ausbauen, solange nicht klar ist wie die technische Regel am Ende aussehen wird.
Die Frage, ob beim Einsatz von ESG bei den Außenscheiben auch die Mittelscheibe von Dreifach-Isolierglas aus ESG sein muss, ist noch völlig offen. Folgt man konsequent der Logik des Sicherheitskonzepts von absturzsichernden Verglasungen wird diese Frage wohl zu bejahen sein. Wie dem auch sei, hier wäre ein klarer Hinweis in der Norm wünschenswert, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.
Bei der öffentlichen Anhörung zu dem Normentwurf wurde das Zugeständnis gemacht, dass der Entscheidung über die Notwendigkeit einer Sicherheitsverglasung eine Risikoanalyse vorangehen darf. Nach welchen Kriterien und durch wen die Analyse durchzuführen ist, wer die Entscheidung über die Glasart trifft und wie die Haftungsrisiken zu verteilen sind, ist ebenfalls noch nicht geklärt. Es ist durchaus vorstellbar, dass am Ende 95% aller Verglasungen wie bisher ausgeführt werden dürfen, weil diese naturgemäß von Möblierung verstellt werden und damit nicht frei zugänglich sind. In diesem Fall wird die Menge an Sicherheitsglas nur geringfügig über das bisherige Maß hinaus steigen.
Sollten jedoch sehr hohe Anforderungen an die Abbedingung des 5.1.4 gestellt werden und nur Kleinstscheiben zu der Ausnahme gehören, werden die in Deutschland vorhandenen Kapazitäten zur Erfüllung der normativen Anforderungen weder bei den Vorspannanlagen, noch bei den Kapazitäten im VSG–Zuschnitt ausreichen. Eine durchschnittliche ESG–Anlage, wie sie heute in Deutschland vorzufinden ist, leistet im Dreischichtbetrieb ca. 500 m² bis 550 m² beschichtetes Glas. Im Jahr also ca. 120.000 m². An einem durchschnittlichen VSG–Tisch können theoretisch 180.000 m² bis 200.000 m² pro Jahr geschnitten werden.
Es bedarf keiner besonderen Rechenfertigkeit um festzustellen, dass die vorhandenen Kapazitäten bei den deutschen Isolierglasherstellern und Glasveredlern für die zusätzliche Nachfrage auf keinen Fall ausreichen werden und es neuer Investitionen bedarf. Die Abschätzung, ob diese Investitionen in Deutschland getätigt werden, mag jeder Leser für sich vornehmen.
Auch die Glashersteller, Laminier- und Beschichtungsunternehmen werden ihre Kapazitäten anpassen müssen. Wie schnell die Industrie reagieren kann, wird sich dann zeigen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die von Herrn Paß geäußerten Bedenken nicht so einfach vom Tisch gewischt werden sollten. Mittelfristig wird sich der Markt auf sich ändernde Rahmenbedingungen einstellen.
Kurzfristig kann es jedoch zu Lieferengpässen und Änderungen im Kaufverhalten der Kunden führen. Möglicherweise werden diejenigen, die sich so engagiert für die Erhöhung des Sicherheitsniveaus in der Gebäudehülle einsetzen, der regionalen und mittelständisch geprägten Fenster- und Glasbranche einen Bärendienst erweisen.
Den Beweis ob es in der Vergangenheit, abgesehen von seltenen Einzelfällen, tatsächlich zu Personenschäden durch bodentiefe Verglasungen gekommen ist, sind die Befürworter der Normenverschärfung noch immer schuldig. Es bleibt zu hoffen, dass die Verbände der Fensterhersteller und Glasveredler bei der Aufstellung der Regeln für die Risikoanalyse einen gemeinsamen Nenner finden, der das Schlimmste für den deutschen Mittelstand verhindert.
Thomas Fiedler, Technischer Leiter, Uniglas GmbH & Co. KG