_ So wie sich „Industrie 4.0“ zum Standard digital vernetzter Unternehmen entwickelt, so werden auch Gebäude durch integrierte Vernetzung immer intelligenter; dynamisches Verhalten, energetische Optimierung und umfassender Komfort für die Nutzer setzen hier anspruchsvolle Maßstäbe. Ein Resultat dieser Entwicklung ist die adaptive Gebäudehülle für „Gebäude 4.0“.
Großflächige Verglasungen als visuelle Verbindung von drinnen nach draußen und als Quelle der natürlichen Tageslichtnutzung sind heutzutage elementarer Bestandteil jeder Gebäudehülle. Dies gilt es weiter zu optimieren!
Seit Mitte der 80er Jahre haben wir leistungsfähige Wärmeschutzverglasungen mit U-Werten, die sich bis zum Niveau einer massiven Wand bewegen.
Fast genau so lang gibt es Sonnenschutzverglasungen der 2. Generation, um die übermäßige Aufheizung von Gebäuden zu begrenzen. All diese Verglasungen haben unveränderbare technische Werte, sie sind statisch.
Statischer Sonnenschutz, Relikt aus der Vergangenheit?
In gewisser Hinsicht ist eine Sonnenschutzverglasung mit einer Uhr zu vergleichen, die stehen geblieben ist. Zweimal am Tag zeigt die Uhr die richtige Zeit und das Sonnenschutzglas verfügt nur an ausgewählten Tagen über den idealen Wert.
Zudem erfüllen Sonnenschutzverglasungen bei steigendem Glasflächenanteil häufig nicht die Anforderungen an den sommerlichen Wärmeschutz.
Häufig wird dann ein mechanischer Raffstore davorgehängt oder bei Neubauten kommen Doppelfassadensysteme zum Einsatz oder komplexe Fassadenlösungen, wie etwa Closed-Cavity-Fassaden. Das heißt, die Nachteile der statischen Verglasung werden mit mechanischen Lösungen behübscht. Das wiederum bedeutet: Statische und mechanische Lösungen sind zwar bewährt, aber wenig flexibel, eben nicht dynamisch.
Eine Alternative stellen demgegenüber adaptive Gebäudehüllen dar, die in der Lage sind sich dynamisch an wechselnde Umwelteinflüsse anzupassen. Solche Fassaden verlangen auch adaptive, das heißt anpassungsfähige Verglasungen.
Vorteile von dynamischen Gläsern
Was bringt eine adaptive Verglasung? Energetisch bringt die adaptive, dimmbare Verglasung das Gleiche wie ein Wärmeschutzglas plus geschlossener mechanischer Verschattung.
Die mechanische Verschattung hat die Eigenschaft, dass gerade bei schönstem Wetter die Fassaden verschlossen werden, womit die natürliche Tageslichtnutzung stark eingeschränkt und oft jeglicher visueller Kontakt zur Umgebung unterbunden ist. Architekt Stefan Behnisch hat solche „geschlossenen Gebäude“ einmal mit dem treffenden Ausdruck „Metallkisten“ verglichen.
Dimmen heißt dagegen stufenlos langsam eindunkeln. Mit dem Eindunkeln der Scheibe erreicht man neben g-Werten von < 10 % eine deutliche Reduktion der Blendwirkung durch die Sonneneinstrahlung und immer eine freie Sicht nach draußen; gerade auch dann, wenn die Sonne scheint.
So funktionieren dimmbare Gläser
Dimmbare Verglasungen sind aufgebaut wie eine moderne Isolierglasscheibe. Daher sind auch die U-Werte identisch und das Baukastenprinzip erlaubt, zahlreiche weitere Eigenschaften ohne Aufwand zu kombinieren.
Damit eine adaptive Verglasung aktiv wird, bedarf es eines elektrischen Impulses. Im einfachstem Fall erfolgt dies über das Signal eines Lichtsensors. Wenn die Sonne kommt, wird die Scheibe dunkel, wenn sie geht, wird sie hell.
Auch webbasierte Steuersignale oder die Anbindung an einen Gebäudebus sind möglich. Das alles gehört zu einem solchen System. Die Glasscheibe wird zur bestimmenden Komponente einer intelligenten Fassade.
In gewisser Hinsicht sind dynamische Verglasungen mit dem Quantensprung vergleichbar, den die Entwicklung des PC’s vor 30 Jahren darstellte. Und heute hält jeder wie selbstverständlich ein Smartphone als die konsequente Weiterentwicklung dieser PC-Technik in der Hand.
Wir haben mit veränderbaren, adaptiven Verglasungen ebenfalls einen Quantensprung geschafft, aber wir stehen erst am Anfang. Was heute noch neu ist, wird in einigen Jahren selbstverständlich sein.
Wie geht die Entwicklung weiter?
Aktuell gehen auch große Konzerne die Potenziale der Verschattung im Glas verstärkt an. Den Markt dafür gibt es: Wir benötigen in Europa jedes Jahr über 100 Mio m² Isolierglas.
Und wo viel Glas ist, ist auch viel Verschattung notwendig. Das ruft zunehmend Marktstrategen auf den Plan mit der Frage, wie man eine Funktion, die die Isolierglashersteller fast ausnahmslos der Verschattungsindustrie überlassen, selbst zu auskömmlichen Preisen wahrnehmen kann.
Interessanterweise sind hier große internationale Chemieunternehmen aktiv auf der Suche nach neuen Märkten und bis auf eine Ausnahme nicht die traditionellen Glashersteller.
Auch können wir mit adaptiven Gläsern wieder einmal Architekten und Bauherren begeistern, wenn auch der Weg noch lang ist, bis solche Gläser in der Breite eingebaut werden. Vor allem müssen die Anbieter solcher adaptiven Gläser die Skaleneffekte stärker nutzen, um preislich spürbar günstiger zu werden.
Mittlerweile sind drei Anbieter von dimmbaren Verglasungen in Europa auf dem Markt. Wettbewerb erzeugt Nachfrage und Innovationsdruck. Ein 2-fach-Isolierglas hat vier Oberflächen; bislang ist in der Regel nur eine davon mit einer Funktionsschicht versehen. Hier tun sich also noch genügend Potenziale für weitere Entwicklungen auf.
Wir stehen am Anfang einer gänzlich neuen Generation von Isoliergläsern – dynamische Verglasungen, die nicht nur für adaptive Gebäudehüllen genutzt werden können. Auch im Interieur lassen sich schaltbare Gläser einsetzen.—