Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Im Interview mit Jürgen Nestle

Seit 1622 als Glaser präsent – mit viel Chancen für die Zukunft

Glaswelt – Herr Nestle, Ihre Firmentradition reicht bis ins Jahr 1622 zurück. Damals begründete Ihr Ur-Ahn im Ort dieses Unternehmen. Was hat eine Glaserei mit einem Barbier zu tun?

Jürgen Nestle – Wahrscheinlich war es eine Existenzfrage: Weder das eine noch das andere hat wohl genügend abgeworfen, dass man nur eines machen konnte. In der späteren Firmenentwicklung hat man sich dann als Glaser und Maler präsentiert.

Glaswelt – Kennen Sie einen anderen Betrieb, der noch älter ist?

Nestle – Nein, ich denke wir sind der älteste Fensterbauer Deutschlands, der tatsächlich von Anfang an und ohne Unterbrechung als Glaser am Markt besteht.

Glaswelt – Sie sind seit 1990 der Chef. Was haben Sie gleich zu Beginn der Betriebsübernahme geändert?

Nestle – Wir haben damals im Maschinenbereich sehr viel investiert. Meine Grundüberlegung war aber auch von Anfang an, dass wir Dinge anders machen wollen, damit wir eigenständig sind. Wir haben das Holz-Aluminium-Fenster Novum entwickelt, mit einer anderen Ecke und 4 mm Falzluft. Fensterhändler eines großen Herstellers jedenfalls wollten wir nie sein.

Glaswelt – Ihr Unternehmen hat sich bestens entwickelt. Angefangen haben Sie als 4-Mann Betrieb. Jetzt finden hier 70 Menschen eine Beschäftigung. Was haben Sie richtig gemacht?

Nestle – Den Erfolg will ich mir nicht persönlich anheften. Ich sage immer, das muss einem geschenkt werden. Viele Entscheidungen sind aus dem Bauch heraus, da weiß man erst hinterher, ob sie richtig oder falsch sind. Auch die Familie hat immer mitgezogen – das ist viel wert.

Glaswelt – Sie haben sich zunächst auf Holzfenster konzentriert?

Nestle – Ja, und dann kam aus Überzeugung noch das Holz-Aluminium-Fenster hinzu.

Glaswelt – Wann haben Sie dann das Portfolio mit den Kunststofffenstern rundgemacht? Und warum?

Nestle – Rund sechs Jahre später. Ich wollte es eigentlich gar nicht. Das war dem geschuldet, das wir Fertighaushersteller als Kunden hatten, die auch weiße PVC-Fenster brauchten. Wir hatten das damals zugekauft, waren aber mit den Lieferzeiten und dem Qualitätsstandard nicht zufrieden. Also haben wir die Fenster selbst hergestellt.

Glaswelt – Aber mittlerweile stehen Sie hinter dem Kunststofffenster?

Nestle – Wenn ein Kunde mich fragt, was das beste Fenster ist, gibt es für mich keine Frage: Ich kann dann nur das Holz-Aluminium-Fenster empfehlen. Damit hat man beispielsweise die thermische Belastung am Rahmen im Griff. Vor dunklen PVC-Fenstern rate ich ab.

Glaswelt – Wer sind Ihre Kunden?

Nestle – Fertighaushersteller zur Grundlagenauslastung, dann Händlerkunden in der Schweiz und im Elsass und ansonsten Privatkunden, Architekten und Bauträger.

Glaswelt – Also die komplette Bandbreite...

Nestle – So ist es. Im Moment, aufgrund der guten Auftragslage, haben wir unseren Wirkungskreis wieder etwas enger gezogen um unseren Standort, da wir auch alles selber montieren.

Glaswelt – 2010 sind Sie gemeinsam mit Homag in die CNC-Fertigung eingestiegen. War das für Sie rückblickend der richtige Zeitpunkt zum Einstieg mit der richten Anlage?

Nestle – Einerseits waren schon Startschwierigkeiten vorhanden. Bei uns lief aber die normale Winkelanlage parallel, insofern gab es bei uns keinen nennenswerten Produktionsausfall. Homag selbst war im Projekt sehr engagiert und so haben wir viel erreicht.

Glaswelt – Und aktuell? Sind Sie in der Holzfensterproduktion gut aufgestellt?

Nestle – Wir haben einen veränderten Markt: Früher brauchte man eher Masse. Aber schon damals war für mich sichtbar, dass man in diesem Feld nicht gewinnen kann. Wir haben uns also mit dem CNC-Einstieg auf die individuelle Fertigung konzentriert.

Glaswelt – Wie sehen Sie die Entwicklung im Beschlag?

Nestle – Es ist schon erstaunlich, dass der Dreh-Kipp-Beschlag immer noch Bestand hat. Für mich ist es etwas unverständlich, dass das Thema Lüftung am Fenster von der Beschlagindustrie als ganzheitlich saubere und leicht umsetzbare Lösung nicht wirklich angepackt wird.

Glaswelt – Sie sind recht erfolgreich im Ausland. Was ist hier Ihr Erfolgsrezept?

Nestle – Einerseits haben wir hier sehr viel Glück gehabt – wir hatten einfach die richtigen Kontakte. Andererseits muss man auch sagen, dass wir mit unserem hohen Qualitätslevel im Ausland überzeugen können – auch in der Schweiz. Beispielsweise werden Sie bei uns keine Keilzinken auf der Decklage sehen bei einer offenporigen Lasur. Das ist in der Schweiz, in Frankreich und auch in Irland aber fast die Regel.

Glaswelt – Ihr Unternehmen beschäftigt mittlerweile über 70 Mitarbeiter. Können Sie immer ausreichend Fachkräfte für sich gewinnen?

Nestle – Im Moment haben wir acht Lehrlinge im kaufmännischen und sieben im gewerblichen Bereich. Wir haben in der Region einen guten Ruf und einen innovativen Maschinenpark – insofern konnten wir unsere freien Plätze immer neu besetzen. Wir profitieren auch viel von dem, was unsere Mitarbeiter erzählen und meine Töchter berichten in den Berufsschulklassen von den Chancen in unserem Beruf. Allerdings merken wir auch, dass die Bewerberzahlen abnehmen.

Glaswelt – Sie bilden auch Flüchtlinge aus?

Nestle – Ja, das sind zwei Gambier, die wirklich wissbegierig sind und sehr gut mitarbeiten. Sie wohnen in der Nachbarschaft, sind im Fußballverein integriert und haben schon unsere Lebensweise adaptiert: Morgens immer pünktlich sein und immer ein sauberer Arbeitsplatz.

Glaswelt – Anderes Thema: Wie steht es bei Ihnen um das Haustürenangebot?

Nestle – Wir machen immer mehr Haustüren selbst auf der CNC-Fräse. Der Markt tut sich auf, wenn man ein komplexes Angebot bieten kann Immer stärker nachgefragt werden hochwertige Schließsysteme wie Fingerprint oder Schließfolgeregelungen. Hier nutzen wir das reichhaltige Portfolio aus dem GU-Beschlagsprogramm. Und was das Design angeht, so variieren die Kundenwünsche sehr stark. Der dicke, neu aufgelegte Haustürenkatalog ist spätestens in fünf Jahren nicht mehr aktuell. Uns ist es eigentlich nicht unrecht, wenn der Kunde mit ganz konkreten Vorstellungen zu uns kommt. Bei uns können wir dann seine Wunschhaustür realisieren, das können nur wenige.

Glaswelt – Beim Haustürgeschäft stimmen dann auch noch die Erträge?

Nestle – Ja, grundsätzlich schon, allerdings birgt die Auftragsabwicklung im Neubaugeschäft die Gefahr, dass man die Haustür nur unzureichend vor Beschädigungen während der Bauphase schützen kann. Wir setzen manchmal Bautüren ein und müssen nur den Türrahmen auf der Baustelle schützen. Das Türblatt wird im zweiten Schritt geliefert, wenn der Kunde einzieht. Aber dieser Aufwand ist auch zu kalkulieren.

Glaswelt – Welches Kundenklientel hat in den letzten Jahren für Sie zugenommen?

Nestle – Wir sind stärker geworden in dem Bereich, wo auch unsere Arbeitsvorbereitung und Planung wichtig ist. Komplexe Bauvorhaben sind unsere Stärke, wir planen sehr viel mit. Und das wird von den Architekten mit Anschlussaufträgen honoriert.

Glaswelt – Sie haben in der ehemaligen Fensterproduktion in Tumlingen jetzt eine moderne Ausstellung aufgebaut…

Nestle – Hier zeigen wir demnächst auf rund 1200 m² alles das, was wir können. Wir thematisieren unsere Region, den Schwarzwald. Wir werden viel mit Weißtanne gestalten und wollen ein zeitloses Ambiente schaffen. Glaswelt – Mit welchem Fensterbauprogramm arbeiten Sie?

Nestle – Mit Klaes. Ich weiß noch als ich damals, kurz nachdem ich den Betrieb übernommen hatte, eine neue Software einführen wollte. Drei Softwarepakete standen zur Auswahl – von den damaligen Anbietern hat nur Klaes überlebt, insofern hatten wir auch in diesem Punkt den richtigen Riecher gehabt.

Glaswelt – Ihre Töchter arbeiten schon länger im Betrieb aktiv mit. Mittlerweile sind sie ebenfalls Geschäftsführerinnen. Wie haben Sie sich diese Leitung aufgeteilt?

Nestle – Im Moment sind sie Mutter geworden – alle beide. Jetzt hat also erst einmal die Familie Priorität. Annkathrin wird die Geschäftsleitung und Janine die Leitung der Administration übernehmen. Das ist also schon klar geregelt bei uns.

Glaswelt – Was haben Ihre Töchter zum Eintritt in die Geschäftsleitung geändert?

Nestle – Da hat sich schon vieles getan – gerade der Blick auf die Mitarbeiter. Wir haben jetzt auch Mitarbeitergespräche institutionalisiert. Dann ist der Lehrlingsbereich gestärkt worden.

Glaswelt – Was sind die besonderen Herausforderungen in der heutigen Zeit? Was nervt Sie?

Nestle – Die rechtlichen Themen – das hat einfach ungemein zugenommen und ich empfinde das auch als Bedrohung. Selbst wir mit unserer Größe schaffen es oft kaum, alle Normen und Richtlinien gewissenhaft einzuhalten. Und leider haben auch die Fachverbände nicht mehr die Kapazität, sich für die Betriebe in diesem Punkt ausreichend einzusetzen.

Glaswelt – Hat ein Familienbetrieb, wie wir ihn hier vorfinden in der digitalisierten und globalisierten Welt noch eine Chance?

Nestle – Bessere denn je, glaube ich. Zugute kommt uns, dass wir als kompetenter Ansprechpartner wertgeschätzt werden. Unsere Fachkompetenz müssen wir aber auch verkaufen und aktuell halten. Aber ohne eine überzeugende Ausstellung geht es auch nicht. —

Die Fragen stellte Chefredakteur Daniel Mund.

Jetzt weiterlesen und profitieren.

+ Glaswelt E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
+ Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
+ Fokus GW: Sonderhefte (PDF)
+ Webinare und Veranstaltungen mit Rabatten
uvm.

Premium Mitgliedschaft

2 Monate kostenlos testen