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Serie “Industrie 4.0 – verknüpfte Informatisierung“

Keine Angst vor der Losgröße 1

_ Theoretisch existieren technisch-physikalische Eigenschaften, die allen Bauprojekten gemein sind. Ein Haus hat eine Fassade, eine Tür und Fenster. Nur ist es nicht mehr möglich, die Produktion anhand dieser trivialen Definition zu orientieren. Kunden haben mittlerweile die unterschiedlichsten Anforderungen an ihre Bauvorhaben. Ein Gebäudekomplex ist nicht mehr ein einfaches Haus, sondern meistens soll damit eine tiefere Bedeutung ausgedrückt werden. „Wir sind kreativ“, „wir sind offen“, „wir sind pragmatisch“. Dieses Streben nach Individualität stellt allerdings die gesamte Wertschöpfungskette des klassisch produzierenden Gewerbes zunehmend auf den Kopf (Marketing, Informationssysteme, Produktion).

Wann ist ein Fenster individuell?

Aber kann ein Fenster überhaupt individuell sein? Die geradezu schreiende Eindeutigkeit der Beantwortung dieser Frage lässt einen Fensterbauer meist nur mit einem müden Lächeln zurück. Aus der Perspektive der Produktion kann schon die veränderte Höhe eines Fenstergriffes Konsequenzen für den gesamten Herstellungsprozess haben. Um die damit verbundenen geringen Losgrößen gewinnbringend herzustellen, muss die klassische Wertschöpfungskette eines Fensterbauers zwar nicht neu erfunden werden, jedoch mit strategischen Hilfsmitteln grundlegend überdacht werden. Wer diese Anforderung an das Marketing, Prozesse und Management erkennt und entsprechend seiner Ressourcen gewinnorientiert umsetzt, kann sich einen schwer zu imitierenden Wettbewerbsvorteil sichern.

Die Ausrichtung des Produktangebotes am Kundenwunsch, bei gleichzeitiger Reduktion der Wertschöpfungstiefe, stellt vor allem die Software eines Fensterbauers vor komplexe Anforderungen. Der zusätzliche Abstimmungsbedarf zwischen Hersteller und Lieferant muss durch moderne Informationsprozesse effizient wiedergegeben werden. Beispielhaft sind hier eine integrierte Datenbankverknüpfung (keine doppelte Dateneingabe), ein integrierter Haustürkonfigurator mit dazugehörigem Online-Shop (welcher direkt mit der produktiven Datenbank des Herstellers verbunden ist) und ein Smart-Offering-System (automatisierte und kundenindividuelle Angebotsgestaltung) genannt.

Der Kunde löst selbst den Auftrag aus

Ziel muss es sein, dass ein Kunde seinen Auftrag selbst auslöst und sich dieser möglichst automatisch durch die kompletten Funktionsprozesse des Fensterproduzenten steuert. Um diese kleinen Losgrößen bei geringer Wertschöpfungstiefe gewinnbringend herzustellen sind folgende Dinge die Voraussetzung:

  • Automatisierte Angebotsabwicklung auf produktiver Datenbank (dezentrale Steuerung),
  • Produkt-Konfigurationen steuern ihre Bearbeitungen und Stücklisten selbst,
  • digitale Beschreibung des Produktes (virtuelle Beschreibung steuert Fertigungsprozess),
  • Digitale Beschreibung und Steuerung des Fertigungsprozesses,
  • modularer Aufbau der Produktion.

Kunde als Produzent und Konsument

Hinter diesen Überlegungen steht der Begriff „Mass Customization“ (kundenindividuelle Massenproduktion). Es ist ein Extremfall der kundenspezifischen Produktdifferenzierung und beschreibt die kundenindividuelle Produktion differenzierter Güter bei gleichzeitiger Annäherung an die Massenfertigung. Der Kunde wird dabei als Procumer (Producer + Consumer) in die Werterbringung integriert. Grundsätzlich kann zwischen Hard- (Aktivitäten der Produktion) und Soft- (Anpassung außerhalb des Unternehmens) Customization unterschieden werden. Für die Produkte und Informationssysteme eines Fensterbauers ist die Modularisierung nach Baukastenprinzip bei gleichzeitiger Serviceindividualisierung sinnvoll.

Gefühlte Innovationsführerschaft mit attraktiven Preisniveaus

Wurde Mass Customization als geeignete Wettbewerbsstrategie erkannt, so ist das strategische Management in der Verantwortung, alle Prozesse und Informationssysteme darauf auszurichten. Vorteile, die sich mit dieser hybriden Wettbewerbsstrategie einstellen, sind vor allem für die aktuelle Entwicklung im deutschen Fenstermarkt von größter Bedeutung. So kann die Erfüllung von kundenindividuellen Wünschen dem gerade stattfindenden Preiskampf bei standardisierten Fenster- und Türenprodukten entgegenwirken.

Zudem positioniert sich der Fensterproduzent über Individualität als Innovationsführer am Markt. Selbst wenn die individuellen Produkte keine Innovation darstellen, so suggerieren sie es dem Kunden trotzdem. Hier ist das Marketing gefordert. Die Produktion eines konkreten Bedarfs und die damit verbundenen ausgelagerten Wertschöpfungsstufen sparen einen Großteil der bislang veranschlagten Lagerkosten. Bei konsequenter strategischer und operativer Umsetzung (Prozesse, IT, Change Management) und natürlich entsprechender Marktsituation können sich Wettbewerbsvorteile als Differenzierungs- und Kostenpotenzial äußern.

Die erfolgreiche Umsetzung von Mass Customization hängt in erster Linie von den Prozessen, der IT und dem Marketing ab. IT und Prozesse sind dabei niemals autark zu betrachten, sondern sie bedingen einander. Theoretisch steigen die Informationskosten mit dem Grad der Individualisierung an. Die Software ist gefordert, die steigende Komplexität in Bestellprozessen, Produktionsplanung und Auftragsabwicklung möglichst zu standardisieren. Ziel ist weiterhin, dass sich eine Bestellung selbst durch den gesamten Prozess der Werterstellung steuert. Der Schlüssel liegt in der Minimierung der Koordinations- und Kommunikationskosten. Die alte Perspektive, die Planung anhand von Vergangenheitsdaten auszurichten, muss verworfen und durch eine Planung in Echtzeit ersetzt werden. Die Wertschöpfung wird erst angestoßen, wenn der Kundenauftrag vorliegt (Realisierung von Economies of Integration). Diese Kundenintegration wird beispielsweise durch Web-Technologien zur Produktkonfiguration umgesetzt. Kunden dürfen nicht nur verwaltet werden, sondern sollten als aktiver Teil des Informationssystems gesehen und entsprechend eingebunden werden.

Die schwerste Aufgabe für den Fensterbauer wird es sein, die Lücke zwischen Produktions- und Unternehmensstrategie zu schließen. Mass Customization im Fensterbau umfasst also die individuelle Konfiguration von Fenster und Türen, die Effizienzpotenziale, welche sich aus der Massenproduktion ergeben und das Informationsmanagement von internen (z. B. WebShop) und externen (Lieferanten) Wertschöpfungsprozessen.—

Die Autoren

Der Beitrag ist entnommen aus „Fenestration Business“ von der PrefCo GmbH (www.fenestration.business). Die Autoren sind Tom Winterstein, Teamleiter Marketing & Vertrieb und Ben Heinze. Wir setzen die Serie fort: In der nächsten Ausgabe geht es um die Frage: Neue Businessmodelle: Der Kunde als Produkterfasser.

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