_ Wer sich mit dem Thema Barrierefreiheit im privaten Wohnumfeld befasst, stößt früher oder später auf die Regelungen der nationalen DIN 18040-2 [1]. Zu Türen findet sich dort eine Vielzahl von Regelungen, zu Fenstern sind diese eher rudimentär gehalten. Beiden Bauelementen ist gemein, dass über die normativen Vorgaben hinaus kaum Hinweise zur praktischen Umsetzung existieren. Diese Lücke soll das Forschungsvorhaben „Barrierefreiheit von Bauelementen“ (Kurztitel) schließen.
Zielsetzung dieses Forschungsvorhabens war es, barrierefreie Anforderungsprofile für die unterschiedlichsten Nutzergruppen und Anwendungsfälle von Fenstern und Türen zu definieren. Denn die Barrierefreiheit zielt derzeit auf eine Nutzung durch möglichst alle Menschen mit und ohne Einschränkungen ab.
Die Normreihe DIN 18040 zum barrierefreien Bauen orientiert sich zwar bereits an nutzerspezifischen Schutzzielen, beinhaltet jedoch keine konkreten Angaben oder individuellen Einsatzempfehlungen. Gerade im privaten Bereich und bei speziellen Einrichtungen – wie beispielsweise dem betreuten Wohnen – ist aber eine situative Ausstattung mit Fenstern und Türen erforderlich. Es soll das Optimum für die jeweilige Nutzergruppe erreicht werden und auch bezahlbar sein. Mit anderen Worten: Wenn die konkreten Einschränkungen der Bewohner bekannt sind, sind diese bei der Umsetzung zwingend zu berücksichtigen.
Im Rahmen des Forschungsvorhabens wurden hierzu Konzepte entwickelt, mit denen eine praxisnahe Bewertung der Barrierefreiheit von Bauelementen wie Fenstern und Türen ermöglicht wird.
Die Erkenntnisse des Vorhabens sind in die ift-Fachinformation BA-02/1 „Empfehlungen zur Umsetzung der Barrierefreiheit im Wohnungsbau mit Fenstern und Türen“ [2] geflossen.
Statistische Zahlen
Bei vielen am Bau Beteiligenden herrscht nach wie vor die Annahme, dass das barrierefreie Bauen ein Umsetzen von Bedürfnissen einiger weniger Menschen ist. Die Zahlen vom Bundesamt für Statistik sprechen eine deutlich andere Sprache: Zum Jahresende 2017 lebten über 7,8 Mio. schwerbehinderte Menschen in Deutschland und somit rund 150 000 mehr als bei der letzten Erhebung zum Jahresende 2015. Damit sind nunmehr 9,5 Prozent der gesamten Bevölkerung in Deutschland als schwerbehindert eingestuft. Als schwerbehindert gelten Personen, denen von den Versorgungsämtern ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 und mehr zuerkannt sowie ein gültiger Ausweis ausgehändigt wurde.
Vor allem bei älteren Menschen treten Behinderungen gehäuft auf: So waren über Dreiviertel (78 %) der schwerbehinderten Menschen 55 Jahre und älter.
Ergebnisse aus dem Forschungsvorhaben
Wer barrierefrei planen und bauen will, muss eine Vielzahl unterschiedlicher, mitunter gegenläufiger Faktoren berücksichtigen. Die Umsetzung stellt nicht selten ein Abwägen bzw. einen Kompromiss vielfältiger Anforderungen dar. Werden Fenster und Türen betrachtet, so treten die größten Probleme bzw. „Stolperfallen“ bei der Umsetzung in die gebaute Wirklichkeit in Bezug auf die Einhaltung der Bedienkräfte und der Schwellenhöhe auf.
Bedienkräfte sind oft zu hoch
Die Anforderungen hinsichtlich der maximal zulässigen Bedienkräfte und -momente, die an barrierefrei nutzbaren Fenstern und Türen auftreten dürfen, sind relativ gering, d. h. es handelt sich um eine hohe Anforderung, welche von schweren Türelementen bzw. dreifach verglasten Fensterelementen kaum erreicht wird. Statt Alternativen aufzuzeigen, wird in den einschlägigen Normen und Empfehlungen tendenziell auf kraftbetätigte Elemente verwiesen.
Im Rahmen einer Befragung wurden Probanden zum einen zu Barrieren in ihrem Wohnumfeld befragt, zum anderen wurde mit einem eigens entwickelten Bedienkraftsimulator ermittelt, welche Bedienkräfte die Probanden aufbringen können.
Es zeigte sich, dass vor allem bodentiefe Dreh-Kipp-Fenstertüren häufig aufgrund zu hoher Bedienkräfte nur eingeschränkt „barrierefrei“ bedienbar sind. Insbesondere das Schließen aus der gekippten Position ist dabei die Achillesferse. Grundsätzlich erwiesen sich die Grenzwerte für Bedienkräfte finger- und handbetätigter Beschläge in der Praxis als zu hoch, während sich die Grenzwerte für die Linearbewegung als akzeptabel zeigten. Durch einfache Servicearbeiten konnte die Bedienbarkeit bemängelter Fenstertüren deutlich reduziert werden. Allgemein ist festzuhalten, dass sich die Reduzierung von Flügelgewichten, beispielsweise durch geschickte Fensterteilung bzw. die Anordnung von Oberlichtern, vorteilhaft auswirkt.
In Laborversuchen wurde untersucht, wie sich Bedienkräfte im Lebenszyklus eines Elementes verändern und welche Wechselwirkungen zwischen niedrigen Bedienkräften und weiteren Leistungseigenschaften bestehen. Es zeigt sich, dass die Bedienkräfte über den Anpressdruck in direkter Wechselwirkung mit der Luftdichtigkeit und dem Widerstand gegen Schlagregen stehen. Umfangreiche Bedienkraftmessungen an Fenstern z. B. mit Zusatzbeschlägen wurden durchgeführt und zeigten, dass verschiedene Zusatzbeschläge eine Alternative zum Kippöffnen und -schließen bieten oder dieses so erleichtern können, dass die normativen Anforderungen an geringe Bedienkräfte erreicht werden.
Schwellenhöhe: Die Überrollbarkeit ist entscheidend
In Deutschland ist die Schwellenhöhe alleiniges Kriterium für eine barrierefreie Passierbarkeit; dabei ist die Überrollbarkeit gerade für Nutzer von Rollstühlen und Rollatoren wichtiger. Interessanterweise haben Rollatornutzer, da sie aus dem Gleichgewicht geraten können, oftmals mehr Schwierigkeiten mit Schwellen als Rollstuhlfahrer. Zur Überrollbarkeit von Schwellen wurden umfangreiche Versuche mit einem Rollwagen durchgeführt. Daraus wurde ein Messverfahren entwickelt, dessen objektive Ergebnisse der subjektiven Probandenbeurteilung gegenübergestellt wurden. Im Ergebnis können nun Schwellen anhand einer Richtlinie hinsichtlich ihrer Überrollbarkeit klassifiziert werden.—
Literatur
[1] DIN 18040-2:2011-09
Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen – Teil 2: Wohnungen; Beuth Verlag GmbH, Berlin
[2] ift-Fachinformation BA-02/1
Empfehlungen zur Umsetzung der Barrierefreiheit im Wohnungsbau mit Fenstern und Türen; ift Rosenheim, 2018
Förderer des Forschungsvorhabens
Das Forschungsvorhaben wurde mit Mitteln der Forschungsinitiative Zukunft Bau des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung gefördert. Neben der öffentlichen Förderung wurde das Projekt sowohl ideell als auch finanziell durch folgende Projektpartner unterstützt: Athmer OHG, Forster Profilsysteme AG, Gretsch-Unitas GmbH Baubeschläge, heroal – Johann Henkenjohann GmbH & Co. KG, Rehau AG + Co., Hautau GmbH, Schüco International KG, Siegenia-Aubi KG, Veka AG, Aug. Winkhaus GmbH & Co. KG, Sapa Building Systems GmbH.
ift-Fachinfo Barrierefreie Fenster und Türen
Barrierefreies Bauen betrifft über 7,8 Mio. schwerbehinderte Menschen in Deutschland. Aus diesem Grund muss im Neubau und bei genehmigungspflichtigen Sanierungen die baurechtlich eingeführte DIN 18040-2 eingehalten werden. Diese enthält für Türen konkrete Regelungen. Zu Fenstern gibt es hingegen nur rudimentäre Vorgaben und insgesamt wenig Hinweise zur praktischen Umsetzung. Diese Lücke schließt nun die ift-Fachinformation BA-02/1 „Empfehlungen zur Umsetzung der Barrierefreiheit im Wohnungsbau mit Fenstern und Türen“, die auf den Ergebnissen des ift-Forschungsvorhabens „Barrierefreiheit von Bauelementen“ aufbaut.
Planer und Fensterbauer müssen in der Praxis Kompromisse entwickeln und unterschiedliche, mitunter gegenläufige Faktoren bei der Errichtung von barrierefreien Bauelementen berücksichtigen. Zielkonflikte ergeben sich beispielsweise zwischen den geforderten geringen Bedienkräften und Leistungseigenschaften wie Schallschutz, Schlagregendichtheit oder Einbruchhemmung. In ähnlicher Weise gilt dies für die Schwellenhöhe von Türen und Fenstertüren.
Die ift-Richtlinie enthält Empfehlungen für die Ausführung von Bauelementen im Hinblick auf die tatsächlichen Nutzergruppen, beispielsweise zur Ausführung der Griffe, zu den Abmessungen, den Öffnungsarten oder der optischen Gestaltung für Sehbehinderte. Denn es ist ein großer Unterschied, ob Türen und Fenster in einer Wohngemeinschaft junger Rollstuhlfahrer, für Blinde oder in einer Pflegestation für Demenzkranke eingesetzt werden. Hier ist eine situative Ausstattung der Bauelemente sinnvoll, um das Optimum für die jeweilige Nutzergruppe zu erreichen, möglichst mit geringen Kosten.
Ein Schwerpunkt liegt auf der Passierbarkeit und der Ausführung von Türschwellen. Gerade für Menschen, die einen Rollator nutzen, können schon geringe Schwellenhöhen eine Stolpergefahr bedeuten oder gar unüberwindbar sein. Außer der Schwellenhöhe hat auch die Schwellengeometrie Einfluss auf die Überrollbarkeit; beides fließt in die Bewertung und Klassifizierung der Überrollbarkeit ein, die als Kenngröße in der ift-Richtlinie BA-01/1 definiert wird. Zusätzlich unterstützen Tabellen mit einem Vergleich der normativen Anforderungen (DIN 18040-2) und Empfehlungen des ift Rosenheim bei der Ausschreibung.
Damit biete die Fachinformation konkrete Empfehlungen und Praxistipps für Bauherren, Planer, Hersteller und Händler von Bauelementen, um die Planung, Ausschreibung und Ausführung privater Wohngebäude, Seniorenheime und Pflegeeinrichtungen zu erleichtern.www.ift-rosenheim.de