GLASWELT – In der Schweiz und vor allem in Österreich ist es seit einigen Jahren schwer geworden Fenster zu verkaufen. Woran liegt das?
Andreas Kreutzer – In Österreich liegt es daran, dass der Sanierungsmarkt einbricht. Wir haben hier in den letzten beiden Jahren Rückgänge im zweistelligen Bereich. Auch in der Schweiz war der Sanierungsmarkt schwach. In Deutschland konnte der starke Neubaumarkt die Schwäche am Sanierungsmarkt etwas kompensieren.
GLASWELT – Eigentlich stehen aber doch die Zeiten auf Investitionen in Immobilien?
Kreutzer – Ja, aber im Gegensatz zu früher ist man nicht mehr bereit, sich für eine Sanierung zu verschulden. Für Renovierungen sind niedrige Zinsen nicht entscheidend.
GLASWELT – Warum hat dieser Sanierungswille so deutlich nachgelassen?
Kreutzer – Der Druck ist raus, weil die Energiepreise so niedrig sind. Die Branche tut sich leider etwas schwer, andere Argumente für die Sanierungsentscheidung anzubringen. Die Leute wollen lieber ihr Geld in den Konsum stecken, als langfristig zu investieren. Man sieht das an der Gastronomie oder am Reisemarkt: Die funktionieren gerade wunderbar, mit jährlichen Zuwachsraten von über 5 Prozent. Auch der Bekleidungsmarkt ist wieder enorm gewachsen. So lange die Fenster noch halten, bleiben sie noch drin.
GLASWELT – Können denn in dieser Situation die Wohnbauförderungen den Markt etwas unterstützen?
Kreutzer – Die Wohnbauförderungen verfehlen ihr Ziel und unterstützen nur die, die sowieso investiert hätten. Die Leute, die überhaupt nicht das Geld haben neue Fenster zu kaufen, denen hilft auch ein Zuschuss nicht. In Österreich haben wir beispielsweise 200 000 Eigenheimbesitzer, die über ein Haushalts-Nettoeinkommen von weniger als 1500 Euro verfügen. Die werden nie so viel Geld zusammensparen können, dass sie neue Fenster kaufen. Die werden jetzt aber mit Heizkostenzuschüssen unterstützt. Sinnvoller wäre hier aber eine Unterstützung in Investitionen für das Gebäude, also in neue Fenster mit ganz langatmigen Rückzahlungsofferten. Man müsste hier einfach einmal ein bisschen kreativer Denken und bei denen die bedürftig sind, müsste man wesentlich höhere Summen zuschießen.
GLASWELT – Muss man dann von einer gesättigten Sanierungsquote ausgehen?
Kreutzer – Genau. Wir haben im Österreich aktuell Sanierungsquoten im Fenster von 2,1 Prozent. In der Schweiz sind es 2,3 Prozent. Das sind eigentlich ganz ordentliche Werte. Auch der Wert in Deutschland mit 1,8 Prozent ist eigentlich ganz gut – vor allem in Vergleich mit anderen Baugruppen am Haus. Bei Fassaden haben wir nämlich nur einen Wert von 1,4 und in Deutschland liegt der Wert hier bei 1,0. Der Grund, warum dieser Wert für Fenster deutlich höher ist, liegt an dem günstigen Preis/Nutzen-Verhältnis. Aber eine Sanierungsquote von 3 Prozent, die viele anstreben oder fordern, ist ökonomischer Schwachsinn und wirklich realitätsfern.
GLASWELT – Das bedeutet aber auch: An Mengenwachstum ist mittelfristig nicht zu denken.
Kreutzer – Das ist unser Ansatz: Wir werden uns gerade beim Fenster von einer Mengenwachstumsstrategie verabschieden müssen und dazu übergehen, dass der Wert pro Einheit gesteigert wird.
GLASWELT – Sie sehen den Ausweg über den Mehrwertverkauf?
Kreutzer – Das heißt aber nicht, dass man einfach nur teurer wird, sondern dass man das Fenster aufwertet mit verschiedenen Features. Ein großer Teil der Wertschöpfung wird heute aber nicht von der Fensterindustrie angeboten, sondern von anderen Gewerken. Das sollten sich die Fensterhersteller wieder zurückholen.
GLASWELT – Haben das die Österreicher geschafft?
Kreutzer – Es gibt bei den größeren Anbietern in Österreich ein Common-Sense, dass man in diese Richtung gehen muss. Man weiß, dass die Mengen nicht mehr wachsen werden. Durch diesen Mehrwertverkauf konnte zumindest der Preisverfall gestoppt werden, der in Deutschland nach wie vor präsent ist. In Österreich wurde darauf aufgesetzt und steigende Quoten bei Beschattung und bei der Sicherheit erzielt. Insgesamt wurde also die durchschnittliche Fenstereinheit deutlich teurer – zwischen 2011 und 2014 um rund 14 Prozent.
GLASWELT – Was machen die Fensterbauer in Ihrem Land anders als in Deutschland?
Kreutzer – Wir haben in Österreich den Vorteil, dass der Markt viel konzentrierter ist. Und dass bei uns nicht die Profilmarke nachgefragt wird, sondern die Fenstermarke. Profilmarken sind hier unbekannt.
GLASWELT – Wenige Anbieter können also mehr Marktanteile auf sich konzentrieren?
Kreutzer – Genau. Die Top 10-Anbieter haben bei uns 50 Prozent Marktanteil. In Deutschland machen die Top 10-Anbieter einen Marktanteil von knapp 20 Prozent aus. Wir haben also stärkere Marken und bei uns kauft man auch Marke.
GLASWELT – Gibt es in Österreich keinen Fensterimport z. B. durch die polnische Fensterindust-rie, der die Preisspirale nach unten in Gang setzt?
Kreutzer – Die polnischen Anbieter tun sich bei uns sehr schwer, sie verzweifeln quasi an den österreichischen Verhältnissen. Denn sogar Rekord Fenster, die sich in der Preiseinstiegslage positionieren, sind in Österreich eine Marke. Ohne Marke geht also nichts bei uns. Und in den Ausstellungsräumen dieser Marken werden Fenster zelebriert. So auch in den Rekord Stores: Dort wird dem Verbraucher der Unterschied zwischen einer Zweischeiben- und einer Dreischeibenverglasung über eine Apparatur demonstriert. Und deswegen verkauft Rekord selbst in der Preiseinstiegsposition überwiegend 3-Scheiben-Fenster. In der Schweiz ist es ähnlich – die haben unglaublich hohe Konzentrationen: Vier Anbieter machen allein schon 40 Prozent des Marktes aus. In Deutschland ist das durch die Fragmentierung des Marktes wirklich schwierig.
GLASWELT – Was kann die deutsche Fensterindustrie aus den Entwicklungen in Ihrem Land lernen?
Kreutzer – Meine Botschaft ist die: Die klassische Denke, dass hinter dem Fabriktor meine Verantwortung aufhört, funktioniert nicht mehr. Die Industrie muss sich viel mehr in die nächste Wertschöpfungskette einbringen. Mit Know-how, mit Kapital und eventuell auch mit eigenen Vertriebsschienen. Das Problem ist nicht das Produkt, sondern der Vertrieb und der Verkauf. Dort bringt man es nicht weiter.
GLASWELT – Wäre auch ein weiterer Konzentrationsprozess ein Lösungsansatz?
Kreutzer – Nein, es geht gar nicht darum, dass man generell der Marktführer ist. Ich glaube es wäre vernünftiger, wenn sich die Anbieter auf kleinere Gebiete konzentrieren und ihre Vertriebsstärke dort voll entfalten und dort größere Marktanteile gewinnen. Wir haben viele Anbieter, die meinen sie müssten bundesweit aktiv sein. Die kommen aber dann nur auf einen Marktanteil von vielleicht 2 Prozent. Vielmehr müsste man sich aber auf kleinere Regionen konzentrieren und dort mindestens 10 Prozent Marktanteil erreichen. Überall, wo ich das nicht schaffe, lasse ich es erst einmal bleiben. Der Fensterkauf ist nun mal eine regionale Angelegenheit. Wenn dann dort die eigenen Händler nicht so erfolgreich sind, dann muss ich denen vielleicht wieder Vertriebsgebiete wegnehmen und zu anderen Lösungen kommen. In Wirklichkeit hat man es aber anders gemacht und die Vertriebsgebiete immer ausgeweitet, damit aber die eigenen Marktanteile geschwächt. Das ist der große Denkfehler, der in Deutschland grassiert: Hauptsache, man ist überall tätig.
GLASWELT – Kommen wir jetzt zu dem von Ihnen angesprochenen Potenzialen. Im Beschattungssegment sehen Sie hier ein Mehrwertgeschäft von bis zu 1,1 Mrd. Euro?
Kreutzer – In Deutschland ist die Fensterindustrie, was die Beschattung angeht noch ziemlich zurückhaltend. Man überlässt dieses Geschäft den eigenen Händlern, aber selber möchte man das nicht angreifen. Wenn sich die Fensterindustrie jetzt aber 50 Prozent dieses Beschattungsmarktes zu eigen macht, kommen wir auf diese enormen Summen. In Österreich hat die Fensterindustrie übrigens schon fast 40 Prozent Marktanteil in diesem Bereich.
GLASWELT – Das Gleiche gilt für die Gebäudesicherheit?
Kreutzer – Hier ist es so, dass man ja schon einiges bei der mechanischen Grundsicherung anbietet – weil man mit der Beschlagindustrie sowieso eng zusammenarbeitet. Wir sehen aber tatsächlich noch viel mehr Potenzial beim einbruchhemmenden Glas. Viele entscheiden sich für eine Alarmanlage, die aber einen Einbruch nur meldet und nicht verhindert. Die Kosten für diese Anlagen belaufen sich auf ca. 4500 Euro. Mit diesem Geld lassen sich auch Ein- und Zweifamilienhäusern mit Sicherheitsglas ausrüsten. Wenn es also die Fensterindustrie schafft, den Vorteil zu kommunizieren, dass der Dieb gar nicht mehr ins Gebäude kommt und man sich eine Alarmanlage sparen kann, dann lässt sich hier ein Potenzial von 300-500 Mio. Euro heben. Aber auch hier ist ein ordentlicher Schauraum die Voraussetzung, in dem diese einbruchshemmenden Lösungen demonstriert werden.
GLASWELT – Ist die Branche in der Vermarktung der Lüftungsthematik noch zu zurückhaltend? Steht es zu befürchten, dass die Lüftungskompetenz an die TGA abgegeben wird?
Kreutzer – In diesem Bereich ist die Fensterindustrie einfach fürchterlich naiv. Sie bietet zwar interessante Produkte. Der Grund, warum die Branche hier aber nicht weiterkommt ist, dass es nicht verstanden wird, dass man hier ganz woanders andocken müsste, nämlich beim Haustechnik-Planer. Die klassischen Vertriebswege über den Händler und den normalen Architekten funktionieren hier nicht. Techniker entwickeln tolle Produkte, aber im Management, dort wo es um Strategie geht, fehlt es an Fantasie und Konzepten. Gerade hier müssten vielmehr die Geschäftsmodelle radikal verändert werden.
GLASWELT – Verfügen denn deutsche Fensteranbieter überhaupt über die Strukturen, dass man sich hier neu erfinden könnte?
Kreutzer – Das glaube ich schon. Man muss dann vielleicht eine „Special Force Einheit“ bilden, die dann der Wohnungswirtschaft vorrechnet, um wie viel der Einsatz von Fensterlüfter günstiger ist, als eine zentrale Lüftungsversorgung mit hunderten von Lüftungskanälen.
GLASWELT – Was empfehlen Sie denjenigen, die den Billigmarkt bekämpfen wollen?
Kreutzer – Was in manchen Wohnbauten an Kunststofffenstern günstigster Art eingebaut wird, kommt nicht an die Öffentlichkeit. Die Deutschen sind doch auf ihre Fenster stolz und das ist für mich ein klassisches Lobbying-Thema. Wenn alle zusammenlegen, könnte man in BILD-Zeitungsberichten eine Mauer dagegen aufbauen.
GLASWELT – Werden zukünftig mehr Firmen auf den Online-Vertriebskanal setzen (müssen)?
Kreutzer – Den Online-Verkauf sehe ich insgesamt nicht als besonders wichtigen Faktor. Dass man natürlich über attraktive und wesentlich besser gestaltete Homepages als heute mehr potenzielle Kunden erreichen kann, ist klar. Die Luft nach oben ist hier gewaltig. Der Abschluss selbst wird aber im Laden stattfinden müssen. Fenster sind Produkte, die man live anfassen möchte. Fenster werden haptisch wahrgenommen.
Glaswelt – Herr Kreutzer, vielen Dank für das Gespräch. —
Die Fragen stellte Chefredakteur Daniel Mund.