_ Wer kennt es nicht: Bestehende Technologien und Produkte werden durch innovative ersetzt oder vollständig vom Markt verdrängt. Gelungene Beispiele „disruptiver Innovationen“ in der Glasbranche sind die vollständige Verdrängung des Röhrenmonitors durch den Flachbildschirm sowie der Einsatz von Touchpanels anstelle von traditionellen Schaltern und Knöpfen. Disruptive Technologien gab es bis jetzt primär im technischen Glas, also in der Displayindustrie.
Während heute beim Neubau des energie- und nutzeroptimierten Hauses schon viele digitale Hilfsmittel zum Einsatz kommen und z. B. der Nutzer einer vernetzten „Smarthome-Steuerung“ seine Heizung von unterwegs per App hochfährt, sind Gebäudehülle und Verglasung noch weitestgehend analog.
Nun nimmt auch die Gebäudehülle und die hiermit verbundene Glasbranche dank innovativer Technologien ihren Anlauf in Richtung „Smart Building“, wie die glasstec 2018 deutlich machte.
Seit 30 Jahren haben wir leistungsfähige Wärmeschutzverglasungen mit sehr guten U-Werten und fast genau so lang gibt es moderne Sonnenschutzverglasungen. Das bedeutet aber auch, dass sich seit über einer Generation an diesen Verglasungen nichts Grundlegendes verändert hat. Sie sind analog und hinsichtlich der energie- und lichttechnischen Werte unveränderbar bzw. statisch.
Die Natur gibt den Rhythmus vor: Die Intensität der solaren Strahlung, die ins Gebäude eintritt, verändert sich über das Jahr und natürlich auch im Tagesverlauf. Um den Anforderungen des sommerlichen Wärmeschutzes, der Überhitzung und der Blendung gerecht zu werden, erfolgt bisher der Rückgriff auf die analoge Lösung; diese heißt dann Raffstore oder Jalousie.
Das führt dazu, dass gerade bei schönstem Wetter die Sicht nach draußen unterbunden wird. Hier nimmt der Nutzer nicht nur ästhetische Einbußen hin, er ist sogar noch bereit, höhere Wartungs- und Unterhaltskosten für mechanische Verschattungen in Kauf zu nehmen. Diese Gewerke nehmen das Management von Sonne und Licht für sich in Anspruch, die Glasbranche schaut bislang nur zu. Dabei wäre sie doch prädestiniert für digitale Lösungen.
Temperatur und Durchsicht über die Verglasung steuern
Im Smart Home stellen Nutzerverhalten, Nachhaltigkeit und Steuerungsmöglichkeiten neue Forderungen an Fenster, Fassade und die Verglasung. Die dynamische Verglasung hat heute schon eine Reihe von Messsensoren, die vielfältige Informationen sammeln und liefern. Je nach Jahreszeit, Bewölkung und Raumtemperatur kann somit der Eintrag an solarer Energie verändert und angepasst werden.
Anstatt den Innenraum aufzuheizen oder teuer zu kühlen, kommuniziert die Raumtemperatur mit der Verglasung in der Gebäudehülle. Hieraus resultiert u. a. die Erhöhung der Energieeffizienz und die Reduktion des CO2.-Fußabdruckes des entsprechenden Gebäudes.
Mit dem stufenlosen Eindunkeln der dimmbaren Scheiben wird die Sonnenenergiedurchlässigkeit der Verglasung gesteuert, die Tageslichttransmission kann je nach Witterung an die Nutzerbedürfnisse angepasst werden, die mechanische Verschattung entfällt: Die Sicht nach draußen wird so gerade bei schönstem Sonnenschein zum angenehmen Erlebnis.
Jedes adaptive Glas bedarf eines elektrischen Impulses zur Steuerung, im einfachsten Fall über das Signal eines Lichtsensors oder komfortabel über eine digitale Schnittstelle. Die Integration in interaktive Netzwerke bis hin zum „Internet of Things“ ist heute schon möglich bzw. im Einsatz. Die Verglasung wird so zum Teil der Haussteuerung und Informationslieferant. In Verbindung mit BIPV (Building-integrated Photovoltaic) wird künftig die bisherige externe Stromversorgung direkt aus der Fassade bezogen, ein weiterer Schritt hin zum energieautarken Gebäude.
Smarthome durch Smart Glass
Dimmbare Verglasungen (= Smart Glass) benötigen zu ihrer effektiven Wirkungsweise einen Isolierglasaufbau. Damit entsprechen auch die U-Werte dem neuesten technischen Stand. Zudem bietet dieses Baukastenprinzip die Möglichkeit der Kombinationen mit weiteren Eigenschaften, wie z. B. Alarmschutz, Absturzsicherheit oder Schallschutz. Dimmbare Gläser sind in alle gängigen Fenster- und Fassadenprofile einbaubar, eine Voraussetzung für die Anwendung auf breiter Front, egal ob Neubau oder Renovation.
Gerade in Verbindung mit einer intelligenten Gebäudesteuerung und Smarthome-Konzepten spielen diese Verglasungen ihre Vorteile aus. In Kombination mit natürlicher Lüftung und Nachtauskühlung werden die Voraussetzungen für das optimale Raumklima geschaffen, ganz ohne weitere energieintensive Aggregate. Digital Giants, wie Apple (mit Apple HomeKit und Siri), Alphabet (Google mit nest), Amazon (mit Amazon echo und Alexa) und Microsoft (mit Cortana) beziehen alle Position im schnell wachsenden Smarthome Markt. Je nach Marktstudie wird mit einem durchschnittlichen globalen Marktwachstum von 13–15 % p. a. für den Zeitraum 2017 bis 2025 gerechnet.
Ausblick
Das Gebäude der Zukunft ist vernetzt und digital gesteuert mit einer Gebäudehülle, die sich an die veränderten Umweltbedingungen anpasst. Die Verglasung als elementarer Baustein von Fenster, Fassade und Wintergarten wird intelligent mit vielfältigen Eigenschaften und wird Teil der Haustechnik und des aktiven Energiemanagements von Gebäuden.
Der Nutzer steuert seine dimmbaren Gläser entsprechend seinen Bedürfnissen nach Tageslicht und Energieeintrag individuell per App oder Sprachsteuerung oder automatisch über hinterlegte Parameter. Moderne Technologien halten Einzug und die Digitalisierung bietet viele Chancen für die Glasbranche – Alexa lässt grüßen.—
Die Autoren
François Dubuis ist Transformation Consultant bei sieber & partners, Bern, Schweiz. Davor war er 15 Jahre Head of Business Development der Glas Trösch Gruppe, Schweiz.