Glaswelt – Wie sehen Sie die Nachfrage bei Sicherheitsgläsern allgemein?
Mag. Bernhard Ahlborn – Hierzu kann ich nur meine persönliche Sicht bzw. die unseres Unternehmens wiedergeben, da wir keine Marktforscher sind. Jedenfalls ist der Begriff Sicherheitsglas sehr weitläufig. Grenzt man ihn auf sogenannte „passive Sicherheitsgläser“ ein – also ESG und durchwurfhemmendes VSG als Gläser mit sicherem Bruchverhalten – gehen wir von einer steigenden Nachfrage aus, nicht zuletzt aufgrund zunehmend länger werdenden Lieferzeiten der Glasindustrie gegenüber den Vorjahren.
Im Bereich der „aktiven Sicherheitsgläser“, in dem wir ausschließlich tätig sind, also Einbruch-, Beschuss- und Explosionshemmung, nehmen wir eine stark steigende Nachfrage wahr.
Glaswelt – Und wie sieht es mit Hochsicherheitsgläsern aus?
Ahlborn – Eine klare Definition dieses Begriffes kennen wir nicht, jedoch aus unserer subjektiven Einordnung beginnen solche „Hochsicherheitsgläser“ bei einer Einbruchhemmung P8B (DIN EN 356), einer Beschusshemmung ab BR4 (DIN EN 1063) bzw. auch RC4 für Festverglasungen oder RC3 (Panik) für Fluchttüren (DIN EN 1627ff:2011). In diesen Bereichen verzeichnen wir eine sehr starke Nachfrage.
Glaswelt – Für solche Anforderungen stellen Sie Spezialgläser aus Glas-Polycarbonat her, welche Vorteile bringt das?
Ahlborn – Durch das Ein- oder Auflaminieren von Polycarbonat können wir Glas-Polycarbonat-Elemente bauen, die von der Elementdicke und dem Gewicht her oft um bis zu 50 % dünner und leichter sind, als „Nurglas“-VSG. Das kommt dem Rahmensystem und dem Handling entgegen. Allerdings werden die Forderungen nach niedrigsten U-Werten (0,5 W/(m2K)) auch immer stärker und sehr schnell sind Glasdicken von weit über 50 mm erreicht.
Glaswelt – Es werden heute zunehmend Mehrfachfunktionen bei Gläsern verlangt, welche Kombinationen liegen für die Fassade im Trend?
Ahlborn – Im ebenerdigen Fassadenbau, insbesondere beim einbruchgefährdeten Einzelhandel (z. B. Schaufenster etc.), wird seitens der Versicherungswirtschaft nach wie vor bei der Einbruchhemmung zumindest die Klasse P6B gefordert. Zusätzlich wird dort bei den 2-fach- oder 3-fach-Isolierverglasungen der Wärmeschutz verlangt und oft auch Alarmglas.
Bei Industriefassaden, auch mehrstöckig, sehen wir Steigerungen im Bereich der Beschusshemmung auf mindestens Kategorie BR4 (Kaliber .44 Magn.), auf mindestens 2-fach-Isolierverglasung und teilweisen Sonnenschutz.
Manche zivile, sehr gefährdete Einrichtungen fordern bereits Beschusshemmung BR6 (Nato-Kaliber 7.62 × 51), sowie zusätzlich Explosionshemmung der höchsten Klasse ER4, mit/ohne Isolierglas.
Die Forderungen nach Multifunktionen werden in den Ausschreibungen immer häufiger. Allerdings ergeben sich dann in der Angebotsphase Glasdicken und -gewichte, die oft nicht mehr eingebaut und gehandelt werden können, wodurch ein Kreislauf der „Forderungsabspeckung“ eingeleitet wird. Das bedeutet für uns als Anbieter dann einen sehr hohem Zeit- und Beratungsaufwand.
Glaswelt – Wie sieht es bei Sicherheitsglas für Türen bzw. bei Fluchttüren aus, welche Anforderungen werden in diesem Segment gestellt?
Ahlborn – In diesem Bereich gibt es einen sehr großen Klärungsbedarf. Metaller, Fassadenbauer, Tischler etc. fragen vermehrt RC-Gläser der Kategorie 2, 3 und 4 nach, meist ohne Angabe oder Kenntnis, ob es sich um Fest- oder öffenbare Verglasungen (Fluchttüren) handelt. Der große Unterschied in der Prüfung nach DIN EN 1627:2011, nämlich z. B. RC3 für Festverglasung (Prüfung auf Durchgangsöffnung, Mindestanforderung P5A nach EN 356) und RC3 für Fluchttüren (Prüfung auf Durchstichsöffnung), ist oft noch nicht angekommen.
Im ersten Fall handelt es sich um ein 2-fach VSG mit ca. 10 mm Dicke, im zweiten Fall um einen ganz speziellen Glas-Polycarbonat-Verbund mit ca. 30 mm Dicke. Naturgemäß ergeben sich haushohe Preisdifferenzen.
Obwohl wir sowohl für Festverglasungen als auch Panikverglasungen alle Prüfungen bis einschließlich RC6 positiv absolviert haben, können wir derzeit fast keine Nachfrage nach Gläsern der Kategorie größer als Widerstandsklasse RC4 registrieren, aber das dürfte sich künftig noch ändern.
Glaswelt – Für welche Gebäudearten und -nutzungen werden heute stärker als bisher Sicherheitsgläser nachgefragt?
Ahlborn – Europaweit ist die Nachfrage nach Angriffshemmung bei folgenden Gebäudearten gestiegen: Ministerien, Polizeigebäuden, Justizvollzugsanstalten, Staatsanwaltschaften und Gerichte, Rechenzentren, Migrations- und Arbeitsämter, Bankzentralen u.v.m. Stark zugenommen haben bei uns die Anfragen nach Panikgläsern für Fluchttüren, teilweise in Kombination mit Brandschutz und für Außenverglasungen werden vermehrt Einbruch- plus Beschusshemmung in Kombination mit Alarmglas gefordert.
Glaswelt – Gibt es Unterschiede beim Einsatz von Sicherheitsglas im Sanierung- und im Neubau-Markt, wenn ja welche?
Ahlborn – Insbesondere bei der Sanierung sind oft Grenzen für Glasdicken und -gewichte aufgrund des Rahmenbestandes gegeben. Manchmal kommt diese Forderung für Altstadtgebiete durch die Denkmalämter. Ich denke in diesem Zusammenhang etwa auch an den hochwertigen Schmuckeinzelhandel, solche Geschäfte findet man häufig in Altstädten. Dort wird dann zwar von der Versicherung eine P8B-Verglasung vorgeschrieben, allerdings zum Einbau in einer alten, nicht zu verändernden Holzkonstruktion mit unzureichenden Glasleisten und Glaseinstand (!). Vor diesem Hintergrund ist es für uns wichtig, solche Randbedingungen zu kennen, damit wir eine optimale Beratungsleistung bei Versicherungen, Gewerken oder Bauherrn bieten beziehungsweise wahrnehmen können.
Generell gilt, Glas und Rahmen müssen als ein System betrachtet (und geplant) werden. Deshalb weisen wir bei der Beratung auf die Notwendigkeit der entsprechenden Nachweise schon in der Angebotsphase hin; wie etwa auf die Systemprüfung nach DIN EN 1627 ff.—
Die Fragen stellte Matthias Rehberger.