_ Die Sachverständigen hatten bereits im Jahr 2018 in zwei Fachartikeln zum Umgang mit der Richtlinie Stellung bezogen*. An der Diskussion zur Überarbeitung waren sie beteiligt und hatten hierzu eine Stellungnahme abgegeben, unter welchen Bedingungen Mehrscheiben-Isoliergläser aus Sachverständigensicht visuell beurteilt werden sollten. Dabei werden die beiden nachfolgend Szenarien beschriebenen.
Szenario 1: Beziehung Glashersteller zu Händler bzw. Weiterverabeiter
Für die visuelle Beurteilung gilt für Mehrscheiben-Isolierglas die Norm DIN EN 1279 Teil 1. Hierbei handelt es sich um eine Produktnorm, welche die Eigenschaften – auch die optischen – an Mehrscheiben-Isolierglas beschreibt, die dieses Produkt erfüllen muss.
An erster Stelle steht hier die ungehinderte Durchsicht, die von den Herstellern gewährleistet wird. (Für andere Glasprodukte wie zum Beispiel Floatglas, ESG, VSG usw. gelten die Anforderungen der entsprechenden zugehörigen Normen.)
Szenario 2: Beziehung Händler bzw. Weiterverarbeiter zum Endverbraucher
Neben der Erfüllung der technischen Daten kann ein Endverbraucher erwarten, dass in seinem Gebäude oder seiner Wohnung primär eine ungehinderte Durchsicht durch die gelieferte Glasscheibe möglich und gewährleistet ist. Kommt es nach der Lieferung und dem Einbau zu einer Reklamation und/oder einem Rechtsstreit, so liegt es im Verantwortungsbereich des Sachverständigen dies zu beurteilen.
Die visuelle Beurteilung soll unter normalen Außenlichtverhältnissen, gegebenenfalls auch bei Sonnenschein, das heißt unter üblichen Nutzungsbedingungen durchgeführt werden.
Zu berücksichtigen ist auch die Lage der visuellen Erscheinung sowie die Lage der Glaseinheit selbst (vertikal, schräg oder horizontal) und ob sie im direkten Sichtfeld liegt oder zum Beispiel in einer größeren Höhe eingesetzt ist. Selbstverständlich ist ein Suchen nach Erscheinungen unzulässig.
Wäre die Durchsicht unter normalen Bedingungen behindert, ist sie nicht hinzunehmen, auch wenn die festgestellte Erscheinung nach der Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas im Bauwesen und/oder der Norm DIN EN 1279 Teil 1 Mehrscheiben-Isoierglas, zulässig wäre.
In der nun veröffentlichten Endfassung der Richtlinie ist der Sachverhalt des Szenario 2 nicht ausreichend berücksichtigt. Der Sachverständigen Arbeitskreis Glas bedauert dies.
Das Fazit der Autoren
Hinsichtlich der Beurteilung der visuellen Qualität von Glas gibt es mit der Überarbeitung der Richtlinie keine grundsätzlich neuen Auswirkungen auf die Beurteilung des Glases. Es ist zum Beispiel auch nicht nachvollziehbar, eine Zeitdauer pro Meter (Breite und Höhe ?) für eine Bewertung von Erscheinungen festzulegen. Dies gilt auch für die Vorgabe der vorzugsweisen Beurteilung bei diffusem Licht.
Es bleibt dabei, dass ein Endverbraucher neben der Erfüllung der technischen Daten primär eine ungehinderte Durchsicht durch das Glas bei üblichen Nutzungsbedingungen erwarten kann. Dies wurde in der Neufassung der Richtlinie nicht ausreichend berücksichtigt, obwohl es von den Herstellern gewährleistet wird.
Im Streitfall liegt es im Verantwortungsbereich des Sachverständigen zu entscheiden, ob die vorgefundenen optischen Erscheinungen akzeptabel und hinnehmbar sind oder nicht.—
Fußnoten
* „Richtlinie = Regelwerk?“, GLASWELT 01/2018„Richtlinie richtig angewandt? “, Glas+Rahmen 01.18
Die Autoren vom SAK Glas
Der Sachverständigen Arbeitskreis Glas (SAK Glas) besteht aus neutralen, öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen auf dem Fachgebiet Glas und Glasanwendungen. Die Mitglieder sind
- öBuV Dieter Balkow, Aachen
- öBuV Wolf-Dietrich Chmieleck, Witten
- öBuV Dr. Reinhold Marquardt, Vöhl
- öBuV Hans-Herbert Zimmermann, Mülheim/Ruhr