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Industrie 4.0 in der Glasbranche

Revolution oder Strohfeuer?

_ Vorab ein kurzer Blick auf die aktuelle Marktlage. Im Rahmen der Globalisierung haben in den letzten Jahren viele deutsche Firmen von der Öffnung der europäischen sowie der weltweiten Märkte profitiert. Allerdings ist diese Entwicklung keine Einbahnstraße und auch die Schwellenländer und die aufstrebenden Volkswirtschaften, allen voran China, nutzen diese Möglichkeiten, um ihre Produkte bei uns an den Kunden zu bringen.

Schwierig wird es für die hiesigen Anbieter, die sich keine neuen ausländischen Absatzmärkte erschließen können, jedoch mit Importen und Billigprodukten konfrontiert werden. Dies trifft in besonderem Maße auch Isolierglashersteller, deren Märkte in der Regel regional ausgerichtet sind und die heute einem enormen Preisdruck durch Billigkonkurrenz ausgesetzt sind. Dazu kommt, dass Absatzmärkte in Deutschland wegbrechen, da zunehmend regionale Fensterbauer als Kunden wegfallen, die dem aktuellen Marktdruck nicht mehr standhalten können.

So lässt sich dem Wettbewerb trotzen

Hohe Qualität, absolute Termintreue, umfassender Service für Kunden sowie schnelle Reaktionsgeschwindigkeit bei Sonderprodukten sowie bei Nachlieferungen, das sind die Tugenden, die es zu leben oder wiederzubeleben gilt. Aber wie?

Um die genannten Kriterien umzusetzen ist ein optimaler Produktionsfluss notwendig. Doch was bedeutet das in Zusammenhang mit Industrie 4.0, auch Internet der Dinge genannt?

Eine Definition von Industrie 4.0 sagt: Es handelt sich um die vierte industrielle Revolution. Die Produzenten stehen damit auf einer neuen Stufe der Organisation und Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette über den gesamten Lebenszyklus von Produkten hinweg.

Ziel von Industrie 4.0 ist demnach ein optimierter, gesamtheitlicher Produktionsfluss von der Auftragsstellung über die gesamte Fertigung bis zur Auslieferung/Montage, inklusive aller Zwischenschritte sowie in letzter Instanz bis zum Recycling und der Wiederverwertung der eingesetzten Materialien.

Dieses Konzept wiederum lässt sich nur mit einem umfassenden Daten- und Informationsfluss innerhalb voll vernetzter Produktionen, inklusive der zugehörigen Logistik erreichen, wobei optimalerweise auch die Verarbeiterkunden (z. B. Fensterbauer) sowie alle Zulieferer mit eingebunden und via Software vernetzt sind.

Geht man noch weiter, besteht dadurch die Möglichkeit auch zunehmend individualisierte Kundenwünsche umzusetzen und diese erstreckt sich von der Idee, dem Auftrag über die Entwicklung und Fertigung, die Auslieferung eines Produkts an den Endkunden, einschließlich der damit verbundenen Dienstleistungen.

4.0 für die Glasindustrie

Kern und Basis der vernetzten Fertigung ist die Verfügbarkeit aller relevanten Produktionsdaten, die in Echtzeit vorliegen müssen. Dies wiederum verlangt, dass alle Maschinen und Anlagen Produktionsdaten empfangen und weitergeben können (einschließlich Wartungsdaten und Alarmdaten), ebenso wie die zu bearbeitenden Werkstücke. Dabei erfolgt ein permanenter Informationsaustausch in Echtzeit via Software. Stimmen Soll- und Ist-Anforderungen nicht überein, kommunizieren Maschine und Software miteinander und suchen eigenständig alternative Lösungen, um den Arbeitsprozess fortzusetzen. Gleichzeitig sollte jedoch auch ein Eingriff durch den Bediener der Anlagen möglich sein.

Durch den permanenten Austausch sind die aktuellen Maschinensysteme zudem in der Lage, aus Fehlern zu lernen und diese zukünftig zu vermeiden. Dies wiederum soll helfen, die Produktion zu optimieren. Angestrebt sind eine bessere Produktqualität sowie die ständige Optimierung der Wertschöpfungskette.

Beispiel: An der ISO-Linie taucht eine Schlechtscheibe auf, die ersetzt werden muss. Die Isolierglaslinie gibt Alarm und sendet diese Information an die Schneidanlage und das Lager weiter, die nun selbstständig eine neue Scheibe in den Fertigungsprozess einsteuert. Gleichzeitig wurde die betriebsinterne Logistik informiert, die den Nachschnittauftrag zwischenschiebt, um die Auslieferung nicht zu verzögern. Ebenso wurde der Versand darüber in Kenntnis gesetzt, der wiederum dafür sorgt, dass die Ladereihenfolge auf dem Verladegestellt trotz Nachfertigung eingehalten wird. Im optimalen Fall wird dann die Scheibe wie geplant ausgeliefert, ansonsten wird der Fensterbauer, der die Scheibe erhalten sollte, per E-Mail informiert.

Die Transparenz ist der Schlüssel

Im genannten Beispiel ist damit die volle Transparenz für den Produktionsleiter gegeben, da alle Aufträge entsprechend eingesehen werden können.

Geht man nun einen Schritt weiter, ist die Produktion des ISO-Herstellers auch mit dem ERP-System des Fensterbauers (sowie von allen weiteren beteiligten Firmen und deren Maschinen) verknüpft. Erhält dieser nun einen Auftrag, werden gleichzeitig diese Informationen an den Glasverarbeiter weitergegeben und automatisch die Produktion der gewünschten Gläser angestoßen. Diese umfassende Vernetzung und der intensivierte Datenaustausch mag für viele Unternehmer neu sein, es ist aber die Basis, ohne die 4.0 nicht funktioniert.

Der Nutzen für Verarbeiter?

Der Glasverarbeiter hat durch die angesprochene Vernetzung von Daten und Anlagen die Möglichkeit, seine Produktion extrem effizient zu gestalten und dabei Produkte von höchster Qualität zu fertigen. Dabei lassen sich dann selbst Aufträge mit Losgröße 1 wirtschaftlich fertigen, ebenso Sonderprodukte. Dies unterstützt somit den Trend nach wirklich individualisierten Produkten, die speziell für Einzelobjekte (z. B. für den Ladenbau u. Ä.) gefertigt werden können.

Sind die notwendigen Investitionen getätigt, kann der Verarbeiter nicht nur extrem flexibel auch auf kurzfristige Aufträge reagieren, sondern er kommt auch mit weniger Personal aus.

Diese Mitarbeiter müssen allerdings hochqualifiziert sein, um bei einem Stocken der Produktion schnell eingreifen zu können. Angelernte Hilfskräfte werden dazu nicht in der Lage sein. Hier sind gut ausgebildete Fachkräfte mit Glas-Knowhow und Softwarekenntnissen ein Muss.

Ausblick

Wie heute schon Industrie 4.0 umgesetzt wird, macht uns nicht nur die Automobilindustrie anschaulich vor, bei der bereits die Automotiveglashersteller mit involviert sind.

Auch die Flachglas verarbeitende Industrie, die oft kleine Lose fertigt, wird bei uns hierzulande über kurz oder lang kaum an dieser Entwicklung vorbeikommen. Es sei denn, ein Unternehmen bedient eine „sichere“ Nische, die er mehr oder minder konkurrenzlos besetzen kann.

Allen, denen dies nicht vergönnt ist und die nicht in der Lage sind, entsprechend in Maschinen, Software und deren Vernetzung zu investieren, sollten 4.0 als Chance betrachten. Denn mit Blick auf den Wettbewerb aus anderen, insbesondere günstiger produzierenden Ländern, ist dies mittel- und langfristig gesehen die einzige Möglichkeit sich am Markt zu behaupten.

Ob wir es wollen oder nicht, wir leben hierzulande in einer hochtechnisierten Gesellschaft, die kein Stehenbleiben und schon gar keine Rückschritte toleriert, auch nicht für die Glasbranche. Deshalb wird Industrie 4.0 bei uns kein schnell verpuffendes Strohfeuer sein, sondern zum Standard werden.—

Matthias Rehberger

Das fällt nicht unter Industrie 4.0

Hier einige Stichpunkte, die mit Glasindustrie 4.0 nichts oder wenig zu tun haben, die im Rahmen der Diskussion aber immer wieder auftauchen:

  • Zwingender Einsatz von Robotik
  • Fokussierung auf Stand-alone Maschinen
  • Produktion ganz ohne Mitarbeiter
  • Papierlose Produktion
  • Teilautomatisierte Produktion

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