_ Was folgt also, wenn Bauherr Müller seine neuen Fenster bei Fensterbauer XY bestellt hat, welche Schritte werden dann ausgelöst?
Das ERP System des Fensterbauers empfängt den Auftrag und überträgt die daraus resultierende Glasbestellung online an den Isolierglashersteller. Das dortige ERP System prüft die Auslastungssituation der Fertigung, die Zulieferzeiten für eventuell benötigte Bestellteile und die notwendigen Materialien und meldet sofort einen Liefertermin an den Fensterbauer zurück. Das dortige ERP System hat inzwischen die weiteren Komponenten und die Fertigungszeit kalkuliert und gibt dem Kunden Müller einen Liefertermin für sein Fenster, bevor dieser seine Tasse Kaffee abgesetzt hat, die er nach der Bestellung in die Hand genommen hat.
Oder: Die Isolinie zwei gibt der Auftragsplanung die Rückmeldung, dass die Fertigung heute mit guter Produktivität läuft und so noch Kapazität für ein weiteres Los vorhanden ist.
Daraufhin wird durch die Auftragsvorbereitung eine Umplanung der Fertigung vorgenommen, die direkt auf den Zuschnitt und den Rahmenbau übertragen wird. Ohne händischen Eingriff werden mehrere Dutzend Isolierglaseinheiten in dieser Schicht mehr produziert.
Utopie oder Realität?
Alles Zukunftsmusik? Ja, das meiste heute schon noch, aber mit der immensen Chance, solche Szenarien einzuführen – vielleicht nicht ganz so extrem, wie in den obigen Beispielen, aber mit der gleichen Intension.
Wo stehen wir heute in der Flachglas verarbeitenden Industrie? Über Industrie 1.0 und 2.0 brauchen wir uns keine Gedanken machen, das ist Vergangenheit (siehe Kasten). Bei den Fragen der Automation mit Maschinen und Software (Industrie 3.0) ergeben sich in vielen Bereichen aber noch Potenziale, die nicht vollständig ausgeschöpft sind.
Vielfach haben wir es mit einer manufakturähnlichen Fertigung zu tun, in der vieles händisch gesteuert und bestimmt ist. Der Fertigungsablauf wird von Papieren bestimmt, die von Menschen sortiert und vorbereitet werden. Robotertechnik zieht gerade in dem ein oder anderen Anwendungsfall in die Fertigung ein.
Sind wir damit technologisch abgehängt? Ja und nein. Wenn die Chancen der Industrie 4.0 jetzt gleichzeitig mit den sinnvoll möglichen Automatisierungsschritten gegangen werden, ist das Ergebnis eine hochflexible, automatisierte Fertigung, die allen Anforderungen der Zukunft standhalten kann. Die Möglichkeiten ergeben sich gerade erst, die Maschinen und Prozesse miteinander so zu verknüpfen, dass am Schluss ein auch kaufmännisch positiver Effekt dabei herauskommt.
Dass Flexibilität, kurze Lieferzeiten und Losgröße 1+ zu unseren Hausaufgaben gehören, wissen wir alle bereits. Die Beschäftigung mit Digitalisierung hat ebenfalls begonnen. Als Beispiel ist die Anbindung von Lieferanten und Kunden an das eigene ERP-System zu nennen oder die Anbindung von Außendienstmitarbeitern in das Live-System, um den Kunden fundierte Auskünfte erteilen zu können – vor Ort natürlich!
Die Bremser im System
Wo liegen dann die Hindernisse, Industrie 4.0 verstärkt einzuführen? Automatisierung und Vernetzung werden Geld kosten: im Maschinenpark und dort an Stellen, wo wir es nicht sehen! Eine neue ISO-Linie ist als Investment sofort sichtbar und zeigbar, ein neues Schleifzentrum oder eine neue Schneidlinie ebenfalls.
Eine Ausrüstung der hauseigenen Datenverarbeitung mit moderner Hard- und Software und die Verknüpfung von Maschinen und Anlagen durch hochmoderne Sensorik sieht man nicht. Dennoch ist hier ein Vorankommen ohne Investitionen nicht denkbar. Weiter werden wir Mitarbeiter brauchen, die mit dieser Technik auch umgehen können.
Ohne Aus- und Weiterbildung für das bestehende Personal oder Investition in neues, gut qualifiziertes Personal wird die neue Technik auf der Strecke bleiben. Insgesamt muss das Qualifikationsniveau steigen, damit die Herausforderungen angenommen und umgesetzt werden können.
Ausblick
Industrie 4.0 bietet gute Chancen, die Fertigungen zukunftssicher aufzustellen. Es bedarf kluger Investitionen in neue Technik und gute Mitarbeiter, um dies umzusetzen. Das Ergebnis wird sich sehen lassen können!—
Dr. Thomas Schmidt