GLASWELT: Herr Schmid. Sie stehen seit gut drei Monaten als Geschäftsführer Albat+Wirsam vor. Was ist Ihr Eindruck von der Branche?
Schmid: Ich bin fasziniert von Glas und ich bin vor allem fasziniert von der Begeisterung, die ich bei unseren Kunden immer wieder erlebe. Glas ist ja ein hochemotionales Produkt, das einem in vielfältiger Art und Weise überall im Leben begegnet, und das im wahrsten Sinne des Wortes prägend für die Architektur ist. Ich denke, diese Begeisterung ist die treibende Kraft hinter den vielfältigen Innovationen am Markt – damit meine ich nicht nur Produkte, sondern auch lösungsorientierte Konzepte und Service. Hier ist die Branche auf vielfältige Weise kreativ.
Begeisterung allein reicht natürlich nicht. Man muss auch wissen, wie man sie in marktfähige Leistungen transformiert. Mein Eindruck ist, dass die Glasbranche und vor allem viele Mittelständler mit hochinnovativen Lösungen daran arbeiten, sich durch eine enorme Produktvielfalt zu differenzieren und gleichzeitig sehr kurze Lieferfristen von nur wenigen Tagen zu bewerkstelligen. Einer unserer Kunden hat zum Beispiel über 70.000 Varianten an Glasscheiben in der Fertigung, und dabei sind die verschiedenen Größen noch nicht einmal berücksichtigt. Das zu meistern, ist eine echte Kunst und erfordert kontinuierliche Verbesserungen durch den Einsatz von innovativen Technologien und Lösungen.
GLASWELT: Wie schätzen Sie die Entwicklungen am Glas- und am Fenstermarkt ein, wird 2012 ein gutes Jahr?
Schmid: Aktuell sind die Auftragsbücher vieler unserer Kunden noch sehr gut gefüllt. Da circa 70% der globalen Flachglasproduktion in den Architekturbereich gehen, sind die weiteren Aussichten natürlich sehr stark vom Baugewerbe abhängig. Hier sorgen vor allem die vielen energetischen Sanierungen dafür, dass es nach aktuellem Stand im Jahre 2012 noch zu einem geringen Wachstum kommen wird.
Mittelfristig wird sich die Glas- und Fensterbranche jedoch nicht von einer generellen Konjunkturabkühlung aufgrund der aktuellen Schulden- und Finanzkrise entkoppeln können.
Gerade jetzt sollten daher alle Sparpotenziale ausgeschöpft und Kosten gesenkt werden. Die Unternehmen dürfen sich nicht auf Hilfsprogramme der Politik verlassen, sondern sie müssen unternehmerisch handeln und ihre Häuser „wetterfest“ machen.
GLASWELT: Wo sehen Sie für Glasverarbeiter und Fensterbauer noch Potenziale, ihre Produktion zu optimieren?
Schmid: Optimierungspotenzial gibt an vielen Stellen, und oft führen bereits einfache Maßnahmen zu beeindruckenden Verbesserungen. Aber dazu gehört die Bereitschaft, alle Prozesse auf den Prüfstand zu schicken und mitunter völlig umzudenken. Was vor fünf Jahren eine hervorragende Lösung war, bremst mich womöglich heute gefährlich aus.
Auch wenn es abgedroschen klingt, man muss seine Abläufe ganzheitlich betrachten. In vielen Fällen beginnt die Optimierung der Produktion mit einer Optimierung der Auftragserfassung! Oder schauen wir ans andere Ende: was nützt es, wenn ich einen guten Output an der Produktionslinie, aber eine veraltete und ineffiziente Versandlogistik habe?
Die Kernbereiche der Produktion lassen sich fast überall durch höhere Automation verbessern, aber die muss in eine intelligente Gesamtorganisation eingebettet sein. Insofern sehen wir uns heute weniger als Anbieter einzelner Softwareprodukte, sondern als Partner für umfassende Lösungen. Das geht durchaus auch über die Unternehmensgrenzen hinaus, daher pflegen wir gut funktionierende Innovationsnetzwerke mit unseren Technologiepartnern.
GLASWELT: Wie sollte ein optimal vernetzter Fertigungsbetrieb aussehen?
Schmid: Die Prozesse sind natürlich von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich. Die Anforderungen eines Glasbearbeiters mit großer Fertigungstiefe und viel Individualfertigung sind völlig andere als beispielsweise die eines Isolierglasherstellers, der ständig Großaufträge 24 Stunden nach Auftragseingang ausliefern muss.
Alle brauchen aber ein hoch effizientes IT „Rückgrat“, das sämtliche Unternehmensbereiche von der Auftragsbearbeitung über die Fertigung bis hin zur Versandlogistik zuverlässig verbindet und steuert, auch wenn der Produktmix noch so bunt ist und die Maschinen von vielen verschiedenen Lieferanten stammen. In einem modernen Betrieb sind daher nicht nur die Unternehmensbereiche, sondern auch die verschiedenen Maschinen über das digitale Rückgrat in Echtzeit miteinander vernetzt.
Der Informationsfluss ist bi-direktional, das heißt, er geht in beide Richtungen, so dass auch bei einer Ausnahme (Produktionsfehler) im hinteren Teil der Produktion eine sofortige Umplanung / Einsteuerung im den Produktionsstufen weiter vorne sorgt. Darüber hinaus wird die gesamte Produktion durch ein Monitoring-System überwacht, so das die Mitarbeiter bei Bedarf eingreifen können.
GLASWELT: Können Sie das etwas näher erläutern?
Schmid: Ja, lassen Sie mich das an folgendem Beispiel verdeutlichen: Wenn in einer automatisierten und gut vernetzten Iso-Fertigung im Zuschnitt eine Scheibe zu Bruch geht, werden die automatische Rahmensetzstation in der Linie oder etwa der Etikettendrucker an der Visitierstation die geänderte Reihenfolge automatisch berücksichtigen.
Darüber hinaus wird der Zuschnitt der kaputten Glasscheibe sofort wieder eingeplant, ohne dass die Linie auch nur eine Minute steht oder ein Werker eingreifen muss. Egal ob die Zuschnittlandschaft von Hersteller A und die Linie von Hersteller B stammt, über das A+W „Rückgrat“ reden alle Komponenten in Echtzeit miteinander.
GLASWELT: Lässt sich das auch mit dem bereits bestehenden Maschinenpark umsetzen?
Schmid: Ja, sicher, bei den meisten Projekten arbeiten wir mit bereits vorhandener Maschinentechnologie. Natürlich gibt es Grenzen, mit einer zehn Jahre alten Jahre alten Iso-Linie können Sie nicht so direkt kommunizieren wie ich gerade beschrieben habe; aber auf allen Märkten vernetzen und optimieren wir erfolgreich sämtliche Produktionsumgebungen.
GLASWELT: Was kann aktuelle Software leisten, um die Arbeit für den Mann an der Maschine zu vereinfachen?
Schmid: Automatisieren, informieren, teure Fehler verhindern. Nur einige Beispiele: Das automatische Scheibenhandling, etwa im Zuschnitt, ist ohne durchgängige Softwaresteuerung nicht möglich. CNC-Maschinen werden online mit Maschinendaten gefüttert und müssen nicht mehr vom Maschinenführer aufwändig manuell programmiert werden. Unsere Software zeigt an allen Arbeitsplätzen die nötigen Fertigungsinformationen an, ob Abstellplatz oder Scheibenaufbau- und Ausrichtung, und führt jede Scheibe zuverlässig von einem Fertigungsschritt zum nächsten. Es gehen weniger Scheiben verloren, es wandern weniger falsch produzierte Scheiben in den Scherbencontainer – für den Werker ist es einfacher, Fehler zu vermeiden. Die Auslieferung wird zuverlässiger, die Kundenzufriedenheit nimmt signifikant zu.
GLASWELT: Welche Rolle spielen Scannersysteme bei der Statusabfrage in der Produktion? Und wie sieht es mit der Transpondertechnik aus?
Schmid: Datenerfassung auf Barcode-Basis ist eines der wichtigsten Elemente moderner Produktionssteuerung, sowohl zur Statusabfrage als auch zum Statusupdate und zur Scheibenverfolgung. Das Barcode-Etikett wird zum wichtigsten Informationsträger und macht Produktionspapiere weitgehend überflüssig. RFID-Lösungen sind bislang noch relativ teuer, so dass sich der Einsatz bis dato noch am ehesten bei der Verfolgung von Ladungsträgern wie Gestellen in der Logistikkette rechnet. Bis sich das in der Breite durchsetzt, wird aber bestimmt noch einige Zeit vergehen.
Kurzvita
Dr. Uwe Schmid (48) ist seit dem 18. Juli 2011 Vorsitzender Geschäftsführer der Albat+Wirsam Software GmbH. Der gelernte Physiker verfügt über langjährige, internationale Erfahrung sowohl als IT-Strategieberater bei McKinsey in verschiedenen Branchen als auch als Manager in führenden Software Unternehmen.