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BF-Symposium bündelt Know-How um ESG

Jochen Grönegräs, der Geschäftsführer des Bundesverbands Flachglas. - Matthias Rehberger, GLASWELT - © Matthias Rehberger, GLASWELT
Jochen Grönegräs, der Geschäftsführer des Bundesverbands Flachglas. - Matthias Rehberger, GLASWELT

Auf der Tagungsordnung des BF-Symposiums in Hanau stand unter anderem der Beitrag „Möglichkeiten des Einsatzes und der Nutzung von ESG und ESG-H“ von Prof. Jens Schneider, TU Darmstadt. Christoph Troska, Leiter Anwendungstechnik von Pilkington Deutschland referierte über „Aktuelles zum Sicherheitsniveau ESG und ESG-H“. Troska wies eindrücklich darauf hin: „Wir brauchen ESG, denn damit lassen sich erhöhte Anforderungen umsetzen, beispielsweise bei hochabsorbierenden Sonnenschutzgläsern.“

Es muss nicht immer der Spontanbruch sein
Christoph Troska stellte zudem die Frage: „Ist eigentlich immer der NiS-Spontanbruch schuld, wenn ein ESG zu Bruch geht?“ Die Antwort lautete klar und deutlich: Nein. Heute machen es sich leider viele Monteure, denen eine Scheibe zu Bruch geht, leicht: Schuld sei dann der Spontanbruch, es liege nicht bei einem selbst.

Christoph Troska, Leiter Anwendungstechnik von Pilkington Deutschland. - Matthias Rehberger, GLASWELT - © Matthias Rehberger, GLASWELT
Christoph Troska, Leiter Anwendungstechnik von Pilkington Deutschland. - Matthias Rehberger, GLASWELT

Dabei könnten falsches Abstellen der Scheibe auf einer Kante, Zwängungen in der Haltekonstruktion oder Senkungen des Gebäudes sowie viele weitere Gründe verantwortlich für die Zerstörung einer ESG-Scheibe sein. Aber auch viele Gutachter machten sich das Leben leichter und tippten vorschnell auf Spontanbruch, dann sei der Fall auch ohne großen Aufwand klar: Der Hersteller ist schuld.

Hierzu unterstrich Prof. Jens Schneider, TU Darmstadt, deutlich: „Erste Hinweise, dass es sich bei einer gebrochenen Scheibe um einen Nickelsulfid-Spontanbruch handelt, gibt es, wenn ein Schmetterlingsbruchbild vorliegt. Aber - und genau hier besteht die Gefahr von Missverständnissen - dies alleine reicht nicht aus. Um wirklich sicher sagen zu können, dass ein Nickelsulfid-Einschluss im Glas die Bruchursache ist, bedarf es noch des Labortests.“ Dies sei unumgänglich, so der Glasspezialist, der aktuell an einer Untersuchung von ESG-Bruchursachen sowie der Versagenswahrscheinlichkeiten bei Nickelsulfid-Einschlüssen im Glas arbeitet. Prof. Schneider machte deutlich, dass ESG-H das bauaufsichtlich geforderte Sicherheitsniveau (1 : 1 Mio.) einhalte und es daher keinen Grund gäbe, das Produkt nicht zu verwenden oder gar Bedenken anzumelden.

Eine andere juristische Sichtweise
Insbesondere der Beitrag von Anwalt Dr. Stephan Kleinjohann fand große Aufmerksamkeit. Er machte gleich zu Beginn den Anwesenden Mut: „Der Umgang mit ESG ist beherrschbar“, so der Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht. Er wies darauf hin, dass man im Schadensfall von ESH-H, eines nach Bauregelliste zugelassen Produktes, eine spontan brechende Scheibe als „Ausreißer“, d.h. Produktionsfehler, betrachtet werden könne, der immer einmal vorkommen kann.

Baurechtsanwalt Dr. Stephan Kleinjohann machte den Anwesenden Mut in Sachen ESG. - Matthias Rehberger, GLASWELT - © Matthias Rehberger, GLASWELT
Baurechtsanwalt Dr. Stephan Kleinjohann machte den Anwesenden Mut in Sachen ESG. - Matthias Rehberger, GLASWELT

Für die daraus resultierende Mangelhaftigkeit des Werks, d. h. des Glases, müsse der Verarbeiter als Auftragnehmer zwar geradestehen. Aber es handelte sich damit nicht grundsätzlich um die Verwendung eines ungeeigneten Baustoffs, was im Rechtsfall nach einem Scheibenbruch grundsätzlich keine komplette Erneuerung (z.B. der gesamten Fassade) nach sich ziehen müsse.
Er unterstrich auch, dass der Lieferant (Werkbesteller) der Gläser auf keinen Fall gegenüber dem Vertragspartner garantieren dürfe, dass die zur Verwendung kommenden vorgespannten Glasscheiben keine zerstörenden Einschlüsse (z.B. Nickelsulfide) hätten. Beim Einsatz von ESG-H seien die Durchführung von Heißlagerungstests und vereinbarten weiteren Produktkontrollen unbedingt sicherzustellen, einschließlich der zugehörigen Produktionsprotokolle.
Kleinjohann wies darauf hin, dass die Bedenken- und Hinweispflicht nach § 4 Nr. 3 VOB/B nicht für die weiter vorne genannten Ausreißer gelte. Der Paragraph greife aber bei riskanter Planung des Architekten, und hier müsse der Verarbeiter seiner Bedenken- und Hinweispflicht unbedingt nachkommen.

Vorsicht Falle
Ein weiterer Punkt, den er gegenüber den Teilnehmern hervorhob, konzentrierte sich auf die „Nacherfüllung ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht“. Wenn eine Scheibe bricht, sollte der Verarbeiter das mangelhafte Glas umgehend austauschen, ohne die Haftungsverantwortung anzuerkennen und dies auch so formulieren. Als Beispiel nannte er dafür folgenden Satz, wie ihn der Verarbeiter gegenüber seinem Kunden im Zuge des Austausch formulieren könnte: „Wir wechseln die gebrochene Scheibe ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht aus, weil sich der hier möglicherweise ereignete habende Spontanbruch technisch nicht vermeiden lässt.“
Der Hintergrund für dieses Vorgehen ist die Verjährung: Erkenne der Glashersteller oder Lieferant nämlich die Haftungsverantwortung an, so führe dies zum Neubeginn der Verjährung gemäß § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Sodass diese sich beispielsweise um weitere fünf Jahre verlängern könne.
Gerade zur Bewertung von Ausreißern diskutierten die anwesenden Vertreter aus verschiedenen Disziplinen der Glasbranche, teils sehr konträr. Insbesondere wie das NiS-Bruchrisiko zu bewerten sei, als „normales Risiko“ oder nicht. Es wurde in der Diskussion mit dem Anwalt aber schnell deutlich, dass vor Gericht die Sprachregelung von großer Bedeutung sei. Wer hier die falschen Termini verwende, habe schnell das Nachsehen.

Versicherer contra ESG
Ein weiterer Aspekt, der später bei der Podiumsdiskussion zur Sprache kam, war die Herangehensweise der Versicherer. Diese übten heute bereits im Planungsstadium und im Vorfeld der Ausschreibung auf Bauherren und Investoren dahingehend Einfluss ausübten, indem sie ESG-H nicht akzeptierten und versicherten. In Zusammenhang mit diesem Punkt kamen von den Teilnehmern die Aussagen, dass man hier als Branche gemeinsam dafür sorgen müsse, dass ESG-H als alltagstaugliches Bauprodukt anerkannt werde. Auch Überlegungen kamen auf, der BF solle eine Pro-ESG-H Kampagne initiieren, um das Glasprodukt aus der Schusslinie zu bekommen.

Prof. Jens Schneider von der Uni Darmstadt und Daniela Siegel, Saint-Gobain, die die Diskussionsrunde moderierte.
Prof. Jens Schneider von der Uni Darmstadt und Daniela Siegel, Saint-Gobain, die die Diskussionsrunde moderierte.

Ein weiterer Punkt, der sehr deutlich wurde war, wie wichtig die Sprachregelung sei. Sowohl beim Gespräch mit dem Auftraggeber oder dem Planer und insbesondere bei Rechtsstreitigkeiten, dürfe man auf keinen Fall undifferenziert über ESG und ESG-H sprechen. Zwischen diesen beiden Glaswerkstoffen bestehen deutliche Unterschiede, die aber schnell durcheinandergeworfen würden, wie die Erfahrung zeige. Dies kam selbst bei der Podiumsdiskussion zum Tragen. In der Diskussion wurde auch deutlich, dass die aktuellen Gerichtsurteile zu ESG teilweise aufgrund solcher ungenauen Benennungen zu negativen Bewertungen des Baustoffs geführt haben.

Ausblick
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Hanau sehr detailliert und differenziert um über die Problematiken des NiS-Spontanbruchs diskutiert wurde. Das Besondere an dem Symposium war, dass hier meines Wissens die nationalen Fachleute erstmals ihr Know-how um das Thema richtiggehend gebündelt und in einer sehr großen Informationstiefe kommuniziert haben. Es war eine sehr gelungen Veranstaltung, so auch das Fazit der Veranstalter.
                                                                                       Matthias Rehberger

Tipp der GLASWELT Redaktion: Wenn Sie mehr zur aktuellen Diskussion rund um ESG erfahren möchten, sollten Sie auch einen Blick auf unser SG-Dossier werfen. Darin sind alle wichtigen Beiträge zu diesem Thema kostenlos herunterzuladen.