Glaswelt – Herr Dr. Keill, Ihre jüngste Akquisition hat nicht nur uns etwas überrascht. Wie ist sie strategisch einzuordnen?
Dr. Eckhard Keill – Mit dem Erwerb der Firma Wollenberg verfolgt Roto gleich mehrere Ziele. Zum einen geht es um die Nutzung des vielfältigen anwendungstechnischen Know-hows, über das das Unternehmen mit seinen qualifizierten Mitarbeitern dank der umfassenden Projektpraxis gerade im Beschlagsektor verfügt. Wir wollen, dass dieses breite Kompetenzspektrum gewissermaßen in unsere eigene Entwicklungs- und Konstruktionsarbeit zurückfließt. Es ist elementar wichtig zu wissen, wie sich unsere Beschlagsysteme im eingebauten Zustand nach 15, 20 oder noch mehr Jahren bewähren und verhalten. Die so gewonnenen Erkenntnisse tragen konkret dazu bei, Produktqualität und -ausstattung kontinuierlich weiter zu verbessern.
Glaswelt – Welcher Strategieansatz steckt noch hinter der Übernahme?
Dr. Keill – Sie leitet für unsere Kunden eine völlig neue Service-Ära auf dem gesamten Feld der Nachversorgung von Fenstern und Türen ein. Wir sind sicher, dass es dafür einen großen Markt gibt. Es geht also darum, die erheblich steigende Bedeutung des vielfältigen Aftersales-Geschäfts im gemeinsamen Interesse zu professionalisieren.
Glaswelt – Mit dem klassischen Geschäft eines Beschlagherstellers hat das aber auf den ersten Blick nicht viel zu tun. Roto auf Abwegen?
Dr. Keill – Überhaupt nicht. Roto tritt nie in Konkurrenz zu seinen Kunden – und dabei wird es auch bleiben. Wie erwähnt haben wir es mit einem ebenso schnell wie dauerhaft wachsenden Bedarf im Ersatzteil-, Pflege-, Reparatur- und Wartungsbereich zu tun. Gleiches gilt für die davon unabhängige spätere Aufrüstung von Elementen. Beispielhaft will ich hier die kräftig steigende Nachfrage nach effizienterem mechanischen Einbruchschutz und intelligenten „Smart Home ready“-Lösungen nennen. Aber für Fensterhersteller etwa, deren Sitz von den tatsächlichen Objekten meist sehr weit entfernt liegt, ist dieses Geschäft oft gar nicht realisierbar. Auch Bauelementehändler halten es häufig für nicht attraktiv genug. Firmen wie die Wollenberg GmbH und viele andere regionale Unternehmen können dieses Marktsegment jedoch gezielt entwickeln und bearbeiten. Genau hier setzt unser Konzept an.
Glaswelt – Und wie schlägt sich das für die Betriebe in der Realität nieder?
Dr. Keill – Immer dann, wenn die mit uns kooperierenden Hersteller und Händler das Aftersales-Geschäft selbst nicht wahrnehmen wollen oder können, haben sie in Zukunft die Gelegenheit, Roto zu beauftragen. Unsere Kunden erhalten dadurch also neue Möglichkeiten, um sowohl mehr Geschäft zu generieren als auch die Zufriedenheit der Endkunden zu erhöhen. Unter dem Strich schaffen wir damit eine meines Erachtens kreative Alternative für die gemeinsame Marktbearbeitung – aber nur dann, wenn unsere Partner das wünschen. Die Roto-Initiative hindert die Betriebe in keiner Weise daran, sich selbst um das spannende Geschäftsfeld „Nachversorgung von Fenstern und Türen“ zu kümmern.
GLASWELT – Herr Wollenberg, was veranlasste Sie, Ihr Unternehmen an Roto zu verkaufen?
Wollenberg – Im Grunde war es das von Herrn Dr. Keill eben erläuterte Konzept. Es ist schlüssig und hat mich überzeugt. Das Unternehmen, in dem ich ja als Geschäftsführer weiter tätig bin, bekommt dadurch neue Perspektiven und kann sich für die Zukunft noch besser rüsten.
GLASWELT – Wie ist Ihr Unternehmen entstanden und was macht heute sein Kerngeschäft aus?
Wollenberg – Nach meiner Tätigkeit als Roto-Gebietsverkaufsleiter in Ostdeutschland machte ich mich 1999 mit diesem Unternehmen selbstständig. Basis unseres kontinuierlichen Erfolges war die verdeckte Nachrüstung, die den bis dahin üblichen Aufsatzprodukten nicht nur optisch, sondern meines Erachtens auch technisch deutlich überlegen ist. Heute haben wir mit rund 40 Mitarbeitern zwei Schwerpunkte: Neben der Nachrüstung von Fenstern und Türen bildet das Servicepaket für eingebaute Bauelemente ein weiteres wichtiges Standbein. Hinzu kommen Wartungsverträge, die für eine relativ konstante Beschäftigung sorgen.
GLASWELT – Was empfehlen Sie Ihren Kunden in Bezug auf die Sicherheitsklasse bei der mechanischen Einbruchhemmung?
Wollenberg – Grundsätzlich schauen wir uns zunächst die Lage des Objektes an und beurteilen dann den individuellen Sicherheitsbedarf. Ein normales Reihenhaus erfordert zum Beispiel ein ganz anderes Sicherheitskonzept als eine Villa in Berlin-Dahlem. Wir verwenden einen Beschlag nach DIN 18104 Teil 2. Außerdem haben wir einen Roto-Beschlag selbst weiterentwickelt, der im verbauten Zustand die Schutzklasse RC3 erreicht. Wir sagen dem Kunden aber natürlich nicht, dass die nachgerüsteten Fenster einer bestimmten Widerstandsklasse entsprechen. Denn: Ein sicherer Beschlag allein macht noch kein sicheres Fenster gemäß DIN EN 1627.
GLASWELT – Spielen die Fensterwerkstoffe für den Einbrecher eigentlich eine Rolle?
Wollenberg – Die Schwachpunkte liegen nicht im Rahmenwerkstoff, sondern in der Beschlagtechnik. Marginale Werkstoff-Unterschiede sind irrelevant.
GLASWELT – Wie gehen Sie mit dem Smart Home-Thema um, von dem inzwischen alle Welt redet?
Wollenberg – Die stark zunehmenden Plug & Play-Lösungen muss man sich erst einmal unter Sicherheitsaspekten genau ansehen. In einem normalen Haus genügt eigentlich RC2, während zum Schutz einer großen Villa vielleicht noch eine vernünftige Alarmanlage nötig ist. Mit Smart Home hat das dann aber nicht viel zu tun.
Dr. Keill – Roto geht davon aus, dass man künftig auch im Fenster- und Türensektor mit einigen Produkten „Smart Home ready“ sein muss. So werden wir zur „Fensterbau Frontale“ einen neuen Zustandsmelder zeigen, der parallel den Öffnungs- und Verschlusszustand des Fensters erkennt. Damit lässt sich jedes Bauelement ausstatten, sodass der Fensterhersteller seinem Kunden realen „Smart Home ready“-Mehrwert verkaufen kann.
GLASWELT – Bisher, Herr Wollenberg, war es egal, welchen Beschlag Sie verwendeten. Jetzt aber ist Ihr Unternehmen Teil der Roto-Gruppe. Führt das zu einer entsprechenden Produktkonzentration?
Wollenberg – Wir bleiben auch in der neuen Konstellation das, was wir bisher waren: ein fairer, seriöser Partner unserer Auftraggeber. Das heißt beispielsweise, wenn wir Beschläge nachrüsten und finden Teile eines anderen Anbieters vor, werden wir dem Endkunden natürlich nicht empfehlen, alles auszutauschen.
GLASWELT – Was hat Roto mit der Firma Wollenberg denn jetzt konkret vor?
Dr. Keill – Das Unternehmen bleibt eine selbstständige Einheit. Wir werden Herrn Wollenberg beraten und ihn bei der Geschäftsführung gezielt unterstützen. Neben der operativen Verantwortung ist es seine Aufgabe, mit uns die nächsten Schritte zu machen.
GLASWELT – Damit liefern Sie uns ein gutes Stichwort für die Schlussfrage. Wird es bei der gegenwärtigen regionalen Ausrichtung von Wollenberg bleiben oder denken Sie bereits in größeren Dimensionen?
Dr. Keill – Wir gehen jetzt im Großraum Berlin an den Start und werden zunächst hier das Konzept mit Leben erfüllen. Dann zeigt sich, ob sich daraus ein tragfähiges Modell für ganz Deutschland entwickeln lässt. Ich schließe das nicht aus. Die Akquisition weiterer Unternehmen – erste externe Anfragen gibt es übrigens schon – kann dann ebenso eine Option sein wie die Nutzung bestehender Inhouse-Einheiten, denn in der Division Dach- und Solartechnologie verfügen wir ja über viele Servicepunkte. Aber das alles werden wir in der gebotenen Ruhe und Sorgfalt prüfen und analysieren. Generell glauben wir, dass es für Fensterproduzenten und Bauelementehändler eine gute Lösung sein kann, das chancenreiche Nachversorgungsgeschäft – wenn sie es denn wollen – ein Stück weit über Roto abzuwickeln. Noch einmal: Wir wollen und werden niemandem etwas wegnehmen, sondern möchten im Gegenteil dafür sorgen, dass unsere Kunden und wir für die Zukunft noch besser aufgestellt sind.
Glaswelt – Meine Herren, besten Dank für Ihre Informationen.—
Mit Dr. Keill und Ulrich Wollenberg sprachen Chefredakteur Daniel Mund und Camillo Kluge.