_ Immer noch wird bei Isoliergläsern das Hauptaugenmerk auf die Leistungsdaten des Glasaufbaus gerichtet. Der Randverbund wird – wenn überhaupt – oft nur aufgrund seiner wärmetechnischen Verbesserung betrachtet. Dabei hängen Wohl und Wehe einer Isolierglasscheibe doch genau an dem, was am Scheibenrand passiert. Ohne das perfekte Zusammenspiel von Abstandhalterrahmen, Trockenmittel, Primär- und Sekundärdichtstoff wäre der hermetische Verschluss des edelgasgefüllten Scheibenzwischenraums gar nicht möglich. Es gilt: Keine dauerhafte Abdichtung – keine dauerhafte Dämmwirkung.
Natürlich trägt das Abstandhalter-Produkt selbst maßgeblich zur Qualität des Isolierglas-Randverbunds bei. Die Dauerhaftigkeit der Scheibe wird jedoch in hohem Maße durch die Sorgfalt bei der Verarbeitung bestimmt. Will man die „Achillessehne“ der unterschiedlichen Abstandhalter-Systeme herausfinden, muss man deshalb zum einen das System selbst kritisch hinterfragen, zum anderen das „Fehlstellen-Potenzial“ in der Isolierglasproduktion analysieren.
So lassen sich Fehler minimieren
Jeder Verarbeiter muss sich fragen, sind die Maschinen gut eingestellt und dem verarbeiteten Spacersystem angepasst? Das Vorkommen von Fehlstellen in einer Scheibe wird nicht zuletzt dadurch beeinflusst, wie prozesssicher ein System sich verarbeiten lässt. Es gilt: Je sensibler das Abstandhaltersystem, umso mehr Sorgfalt ist bei der Verarbeitung notwendig.
Alle gängigen Warme-Kante-Systeme sind bei der ISO-Produktion anspruchsvoller in der Handhabung, als ein herkömmlicher Aluminium-Abstandhalter.
Aufgrund des hohen Kunststoffanteils sind die meisten Kunststoff-Metall-Kombinationsprofile weniger biegesteif und damit elastischer als ein dickwandiges Metallprofil. Dadurch gestaltet sich das Setzen von großen Rahmen aufwendiger, insbesondere wenn bei 3-fach-Isolierglas beide Rahmen deckungsgleich in der Scheibe sitzen sollen. Wenn in einer Isolierglasproduktion zur Erfüllung der unterschiedlichen Kundenwünsche verschiedene Abstandhalter-Profilsysteme verarbeitet werden, wird es immer schwieriger, die Verarbeitungsprozesse individuell auf das jeweilige System abzustimmen.
Muss es „schnell-schnell“ gehen, wird die Biegeanlage beim Wechsel auf ein anderes Abstandhalter-System vielleicht nicht korrekt umgestellt. Die vielen Profilwechsel würden den Betrieb aufhalten.
So entstehen suboptimal gebogene Rahmen, die z. B. nicht exakt rechtwinklig sind. Wird das beim Setzen nicht ausgeglichen, kommt es zu unterschiedlich dickem Auftrag des Sekundärdichtstoffs (Bild 1). Weitere sensible Punkte: Gebogene Rahmen können im Eckbereich seitlich stark aufgeweitet sein und behindern dann eine saubere Butylverpressung. Oder die Profilseitenflanken schnüren durch den Biegeprozess im Eckbereich ein und bieten dann nicht mehr ausreichend Fläche für das Butyl.
Werden die Ecken mehr geknickt als gebogen, können sich seitlich tiefe Falten bilden. Werden diese Falten mit dem Butylauftrag nicht ganz ausgefüllt, bleiben Diffusionskanäle offen.
Auch schlecht verschlossene Gasfüllöffnungen, kleine Unterbrechungen oder Ausdünnungen im Butylauftrag (Bild 2), nicht butylierte Eckwinkel oder Verbinder-Stoßstellen können Lecks erzeugen.
Die Grenzwerte der Isolierglasprüfung nach EN 1279 Teil 2 und 3 zeigen, dass das System Isolierglas eine kleine Menge an Fehlstellen durchaus toleriert, anders wäre das auch gar nicht möglich. Kommt es jedoch zu einer Häufung der Fehlstellen oder sind einzelne Lecks sehr groß, kann dies die Lebensdauer einer Isolierglasscheibe verringern.
Alle diese möglichen Fehlstellen hat es auch bei herkömmlichen Abstandhaltern aus Aluminium oder Stahl gegeben. Allerdings wurde die Herstellung von Isolierglas seit Anbeginn in einem langjährigen Evolutionsprozess auf die Verarbeitung genau dieser Profile abgestimmt, Verarbeitungsmaschinen und Prozesse perfektioniert. Diese Optimierung steht bei der Warmen Kante erst am Anfang. Aufgrund der Vielfalt der Systeme ist dies für Maschinenbauer und ISO-Hersteller jedoch nicht gerade einfach. Die vielen, täglich einwandfrei produzierten Isolierglasscheiben zeigen jedoch, dass es möglich ist.
Warme Kante – alles dicht?
Im Widerspruch zu ihrer Bezeichnung „Dichtstoff“, sind die gängigen Versiegelungsmaterialien auf Polysulfid-, Polyurethan- oder Silikonbasis nicht hundertprozentig dicht. Sie sind alle in geringem Maß gas- und wasserdampfdurchlässig. Deshalb müssen Isoliergläser schon ohne den Sekundärdichtstoff vergleichsweise dicht produziert werden. Das geht nur, wenn auch der Abstandhalter selbst zu 100 Prozent diffusionsdicht ist, und zwar sowohl gegen eindringende Feuchtigkeit von außen als auch gegen den Verlust der Edelgasfüllung aus dem SZR. Zusammen mit der Butylierung am Scheibenrand muss er eine umlaufende Dichtebene von Glas zu Glas bilden (Bild 3).
Bei rein metallischen Abstandhaltern braucht man über diesen Punkt nicht nachzudenken. Dort bildet das Metall automatisch eine durchgehende, undurchlässige Schicht am Profilrücken, an die das Butyl direkt anschließt. Eine Diffusion ist hier nur seitlich, entlang der Grenzflächen der Butylflanken möglich – oder durch die bereits genannten Fehlstellen.
Viele Warme-Kante-Systeme sind jedoch nicht rein metallisch, sondern aus unterschiedlichen Materialien kombiniert. Die meisten Profillösungen aus Kunststoff tragen außen, seitlich und am Abstandhalterrücken eine diffusionsdichte Edelstahlschicht in angemessener Dicke, auf die an den Flanken als Primärdichtstufe Butyl aufgetragen wird. Auch mit solchen Systemen lässt sich eine geschlossene Dichtebene (Glas – Butyl – Metall – Butyl – Glas) herstellen.
Inzwischen gibt es Systeme, bei denen die Metallschichten extrem dünn sind, hergestellt aus hauchdünn aufgesputterten Metallatomen und nicht aus gewalzten Bändern. Bewegt man sich hier etwa bereits im Grenzbereich des technisch Möglichen? Würde ein Abstandhalterprofil zusammen mit dem Butyl keine hundertprozentige diffusionsdichte Ebene ausbilden, sondern über die Fläche des Profilrückens oder auch an anderen Stellen geringe Verluste zulassen, würden diese zu den Leckagen aller sonstigen Fehlstellen hinzukommen. Höhere Gasverlustraten der Scheiben und eine raschere Beladung des Trocknungsmittels wären die Folge, was mutmaßlich zu einer kürzeren Lebensdauer der Scheiben führt.
Bei den Diskussionen über die Warme Kante kommt der Punkt der notwendigen Dichtheit manchmal zu kurz. Wo aber bleibt der Umwelt- und Energiespargedanke, wenn eine sehr gut dämmende Isolierglasscheibe ihre Edelgasfüllung zu schnell verliert und der Ug-Wert sich verschlechtert? Oder wenn in die Scheibe trotz „weltbestem Warme-Kante-System“ Feuchtigkeit eindringt und sie am Ende nur halb so lange hält?—
Die Autorin
Ingrid Quel, Beratungsbüro für Warme Kante und Glas, Herrenberg, berät die Branche unabhängig und produktneutral zu allen Themen rund um Isolierglas.