In den vergangenen Jahrzehnten ist bei Bürogebäuden ein großer Sanierungsstau aufgelaufen, der sich auf über 200 Millionen m2 BGF beläuft. Im Zusammenhang mit Energiepreissteigerungen, politischer Weichenstellung und der Entwicklung im Immobilienbereich, liegt hier in den kommenden Jahrzehnten der größte Markt für die Bauwirtschaft. Somit stellt sich immer häufiger die Frage, wie man mit Bestandsimmobilien umgehen muss und wie man den Sanierungsmarkt sinnvoll erschließt.
Es zeigt sich, dass mangelndes Wissen über die Potenziale der Gebäudemodernisierung, die aktuellen technischen Möglichkeiten und die finanzielle Attraktivität zu großer Zurückhaltung bei entsprechenden Entscheidungen führt.
Daher ist es zunächst wichtig, dass Planer und Ausführende das nötige Verständnis für die Bausubstanz mitbringen.
In Zusammenarbeit mit dem Bauherrn gilt es, die Ziele der Sanierung sowie die Umsetzung zu klären. Durch konsequente integrale Planung von Architektur, Technischer Gebäudeausrüstung (TGA) und Fassadentechnik lassen sich dann optimale Ergebnisse erzielen.
Die Planung und Ausführung von Sanierungsprojekten gestaltet sich zwar anders als bei Neubauten – aber nicht unbedingt komplizierter: Die Bauphase ist meist kürzer und mit geringerem Materialeinsatz verbunden.
Bei guter Qualität der Bausubstanz und geschickter Planung können der Eingriff und die Baukosten minimiert werden. Nicht zuletzt wird der architektonische und städtebauliche Wert eines Gebäudes bewahrt.
Zielvorgaben definieren
Im Vorfeld der Bauplanung gilt es, die Zielvorgaben zu klären. Gerade bei der Sanierung müssen die baulich-technischen Möglichkeiten des Gebäudes mit den Ideen des Bauherrn überein gebracht werden. Um diese Möglichkeiten auszuloten lohnt es, verschiedene „Niveaus des baulichen Eingriffs“ mit dem Bauherrn zu erörtern. So lassen sich die technischen/gestalterischen Möglichkeiten mit den finanziellen Mitteln abwägen.
- Niveau 1 - Wartung und Instandsetzung: Hier ist das Ziel, die Funktion des Gebäudes wieder herzustellen und den Bestand zu sichern. D.h., dass die Wasser-, Wind- und Schalldichtigkeit der Fassade und deren Bedienbarkeit wieder hergestellt werden. In der Praxis beinhaltet diese Lösung eine Grundreinigung, das Einstellen von Öffnungsflügeln und den teilweisen Austausch von Dichtungen und Beschlägen.
- Niveau 2 – Erweiterte Bestandssicherung: Neben der einfachen Wartung werden hier die technischen Eigenschaften ohne große bauliche oder gestalterische Änderungen verbessert (Austausch von Verglasung, Dichtungen und Fassadenelementen). Ziel ist die Verbesserung der Wärmedämmung und Dichtigkeit. Bei dieser Maßnahme wird eine Verlängerung des Sanierungsintervalls um rund zehn Jahre erreicht.
- Niveau 3 – Sanierung: Hier steht eine Verbesserung der technischen Gebäudeperformance, der Sicherheit und des optischen Eindrucks im Fokus. Durch diese Maßnahmen lässt sich der Lebenszyklus des Gebäudes um ca. 15 bis 20 Jahre verlängern. Neben den rein technischen Verbesserungen, werden Anforderungen an Brandschutz und Sicherheitseinrichtungen angepasst. In der Regel entfällt bei diesen Eingriffen der Bestandsschutz. Die Fassadenoptik wird auf Basis einer bestehenden Geometrie überarbeitet. Eingriffe in die tragende Gebäudestruktur werden minimiert. Ein integraler Sanierungsansatzes für Fassade und weitere Gewerke hilft die Bauzeit kurz zu halten.
- Niveau 4 – Komplettmodernisierung: Das Ziel einer Komplettmodernisierung ist es, einen zeitgemäßen technischen und optischen Standard zu erreichen. Der modernisierte Bau soll an Neubauqualität heranreichen und einen kompletten neuen Lebenszyklus von 30 Jahren überdauern. Diese Lösung bedeutet einen umfangreichen Eingriff in das gesamte Gebäude mit Änderungen von Innenausbau, Fassade, TGA und Eingriffe in die tragende Gebäudesubstanz.
Was sind die Randbedingungen?
Vor Beginn der Planung gilt es die Randbedingungen zu klären. Diese umfassen neben den Zielvorgaben des Bauherrn die möglichst genaue Analyse des Bestandes: Wo liegen die Qualitäten des Gebäudes in konstruktiver, technischer und gestalterischer Sicht? Welche Komponenten lassen sich weiter verwenden, welche müssen in jedem Fall zurückgebaut werden? Das Gebäude selbst gibt viele Parameter vor, auf die man sich einlassen sollte. Es gilt in der Vorentwurfsphase nicht nur Maße exakt aufzunehmen, sondern auch die Konstruktion zu begreifen und evtl. vorhandene Bauschadstoffe zu bewerten.
In dieser frühen Phase entstehen so höhere Kosten als bei Neubauten. Diese müssen dem Bauherrn verständlich gemacht werden, führen aber im Projektverlauf zu größerer Kostensicherheit, besserer Planung und weniger Nachträgen.
Im Zuge der Planung sind einige Grundsätze zu beachten. Vor allem müssen die einzelne Entscheidungen noch tiefergehend auf ihre Konsequenzen für andere Gewerke geprüft werden als beim Neubau. So führt z.B. eine gestalterisch gewünschte Brüstungsabsenkung nicht nur zu Änderungen in der Gebäudestatik, sondern erfordert Anpassungen der vorhandenen Heizungs- und Elektroinstallation und bedingt durch die Geräuschbelastung, dass andere Bereiche des Gebäudes ggf. nicht genutzt werden können. Aktuelle Gesetze zur Arbeitssicherheit müssen beachtet werden.
Bei der Detaillierung ist insbesondere auf Rohbautoleranzen einzugehen. Bedingt durch kleinteilige Schalung und Handarbeit finden sich in älteren Gebäuden konstruktionsbedingt größere Maßtoleranzen, als bei aktueller Bautechnik. Zudem biegen sich Beton- und Stahlkonstruktionen mit der Zeit durch. Damit sind Toleranzen von 20 mm in einer zwei Meter breiten Fensteröffnung keine Seltenheit. Neue Fassadenbauteile müssen dies berücksichtigen. In der Praxis bedeutet dies häufig, dass Fugen nicht einfach versiegelt werden können, sondern mit Blenden überdeckt werden müssen. Es bietet sich alternativ an, die Möglichkeit zu prüfen, die Fassade in einer anderen Ebene, vor den Rohbau zu positionieren. In diesem Fall bildet die Fassade ein in sich geschlossenes Maßsystem, dessen Ankerpunkte allerdings die Toleranzen aufnehmen müssen.
Das folgende Beispiel zeigt die Sanierung eines Büro- und Geschäftshauses in Hagen aus dem Jahre 1971 (siehe Bilder). Hier wurden neben der Fassaden- und Dacherneuerung auch die unteren drei Etagen generalsaniert. Die oberen drei Etagen wurden bei laufendem Betrieb rernoviert. Das Gebäude verfügt über eine Stahlbetonskelettstruktur mit massiven Brüstungen. Die Fassade bestand aus vorgehängten Metallplatten und verfügte über eine Dämmung von 40 mm Mineralwolle.
Zunächst wurde die vorgehängte Fassade zurückgebaut und das EG wurde durch eine bauliche Ergänzung erweitert. Im 1. OG wurden die Brüstungen zurückgebaut und bodentiefe Fenster erstellt, sodass diese Etage einer neuen Nutzung als Verkaufsfläche zugeführt werden konnte. Die Fassadengeometrie der oberen Etagen blieb erhalten. Hier beschränkte sich der Eingriff auf den Austausch der Lochfenster. Die neue Fassade ist als hinterlüftete Konstruktion mit zeitgemäßer Wärmedämmung ausgeführt. Die verwendeten Metallkassetten wurden nach exaktem Aufmaß gefertigt und vor Ort in die Agraffenkonstruktion eingehängt. Durch die Verwendung von zwei unterschiedlichen Blechoberflächen erhielt das Gebäude eine vollständig neue, moderne Optik.
Das Beispiel zeigt, wie sich bei guter Planung auch durch kleine Eingriffe in die Gebäudesubstanz eine deutliche Verbesserung des Dämmstandards, der Innenraumqualität und des äußeren Fassadenbildes erzielen lassen.
Fazit
Die Sanierung von Bestandsgebäuden ist bereits heute ein großer Markt. In Zukunft wird der überwiegende Teil der Bautätigkeit in diesem Segment stattfinden. Bestandsgebäude erfordern ein anderes Herangehen als Neubauten, sowohl bei baulich-technischen Lösungen, als auch in Bezug auf die Erwartungshaltung von Bauherren. Durch die enge Zusammenarbeit von Planer, Bauherr und den Ausführenden lassen sich optimale Lösungen entwickeln, die dem Gebäudebestand gerecht werden und vor Ort umsetzbar sind. Das Projekt lebt vom Dialog – mit den Fachleuten und mit dem Gebäude selbst. —
Der Autor
Dr.-Ing. Thiemo Ebbert promovierte an der TU Delft zum Thema strategische Sanierung von Bürofassaden. Bis Mitte 2011 war er als Fassadenplaner in Den Haag tätig, heute ist er Projekt- und Bauleiter bei der Goldbeck Bauen im Bestand GmbH, Bielefeld.