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Die Zukunft der Doppelfassade

Besser mit weniger Technik

Doppelfassaden bieten eine Reihe von Vorteilen, aber nicht nur. Büros hinter solchen Fassaden lassen sich fast nur über mechanische Be- und Entlüftung konditionieren, um einer Überhitzung vorzubeugen. Dies hat zur Folge, dass die Nutzer von der Außenwelt abschottet werden. Und sie haben trotz aufwendiger und teurer Fassade nur wenig individuelle Einflussmöglichkeiten auf das Raumklima.

Wie es anders geht, zeigt das Gebäude der niederländischen Niederlassung von Solarlux. Dieses Beispiel beweist, wie ein radikal umgekehrter Ansatz mit einem Minimum an Technik zu einem ansprechenden, komfortablen sowie ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Ergebnis führt.

Bei der Planung stand die Anforderung im Vordergrund, ein integriertes Fassaden- und Gebäudetechnik-Konzept zu entwickeln, das die fir­men­eigenen Produkte in einer neuen Nutzung zeigt und gleichzeitig eine zukunftsfähige, nutzerorientierte Büroatmosphäre schafft. An die Gebäudehülle wurden hohe Anforderungen in Bezug auf Wärmedämmung und die Qualität der Verglasung gestellt, die im Winter mit sehr guten U-Werten eine große Energieeinsparung erzielen sollten. Dies stellte allerdings aufgrund ihres Nutzungsschemas und des großen Verglasungsanteils hohe Herausforderungen.

Hier erwies sich die von der EnEV geforderte Wärmedämmung als Nachteil: Denn oft übersteigt im Sommer und in der Übergangszeit der Energieaufwand für die Kühlung den Aufwand für Heizen um ein Vielfaches. Es musste hier eine Fassade entwickelt werden, deren U-Wert dem Wetter entsprechend angepasst werden kann.

Mit diesem Ziel entwickelten die Fassadenplaner des Ingeniuerbüros imagine-envelope aus Den Haag das Konzept der „Co2mfort-Fassade“. Dieses basiert auf der ursprünglichen Idee der Doppelfassade, modifiziert sie jedoch.

Bewährt, aber fast vergessen

Bereits im 19. Jahrhundert gab es Doppelfenster, auch Winterfenster genannt, die nur in der kalten Jahreszeit außen an der Wand befestigt wurden. Im Sommer wurden die äußeren Fensterflügel abmontiert und man erhielt ein einfaches Fenster, das – auch durch die Undichtigkeiten – für eine gute Nachtauskühlung der Häuser in der Sommernacht sorgte.

Die realisierte Co2mfort-Fassade verfügt über zwei Ebenen aus Falt-Schiebe-Elementen, die sich bei Bedarf teilweise oder vollständig öffnen lassen. Die primäre Fassade (Uw-Wert von 1,4 W/m2K ) wird von wärmegedämmten Holzfenstern gebildet und stellt den thermischen Raumabschluss. Davor befindet sich im Abstand von 100 cm eine ungedämmte Glasebene aus rahmenlosen Horizontal-Schiebewänden. Diese Elemente haben eine Flügelhöhe von 3,10 m und bestehen aus ESG, das nur oben und unten gehalten wird. Die doppelte Fassade bildet einen Fassadenkorridor, der auf drei Seiten um das Gebäude herumläuft und so einen Temperatur- und Luftdruckausgleich bewirkt.

Beide Fassadenebenen lassen sich komplett auffalten, so dass sich unterschiedlichste Qualitäten der Gebäudehülle in Abhängigkeit von der Witterung einstellen lassen. Im Winter werden beide Fassadenebenen geschlossen und so der U-Wert maximiert. Bei Sonneneinstrahlung funktioniert die äußere ungedämmte Hülle als Solarkollektor.

Sobald sich hier die gewünschte Raumtemperatur eingestellt hat, kann die innere Fassade geöffnet werden, ohne dass Wärmeenergie verlorengeht. Man arbeitet quasi im Wintergarten.

Im Sommer bleibt die äußere Fassadenebene vollständig geöffnet. Die Dämmung wird auf den U-Wert der Holzfassade reduziert. Die auskragenden Balkone funktionieren dann als Sonnenschutz und beugen so einer Überhitzung der Räume wirksam vor.

Bei entsprechenden Außentemperaturen lässt sich die innere Fassadenebene öffnen. Die Nutzer haben beim Arbeiten so das Gefühl, auf dem Balkon zu sitzen.

Rundes technisches Konzept

Eine solche individuell offenbare Fassade lässt sich nicht mit einer zentralen Lüftungsanlage kombinieren. Daher wurde hier ein möglichst passives Gebäudetechnikkonzept mit einem absoluten Minimum an Komponenten realisiert.

In der Mittelachse des Gebäudes liegen zwei große Atrien, deren Oberlichter Temperatur- und CO2-gesteuert geöffnet werden. Durch natürliche Thermik und die Ausrichtung der Dächer nach der Hauptwindrichtung entsteht so ein Unterdruck im Gebäude. Werden nun Fenster geöffnet, strömt Luft über die Fassade nach.

So wird im Winter die im Fassadenzwischenraum solar erwärmte Luft in das Gebäude geleitet, was einen Kondensatausfall durch feuchte Innenraumluft in der Fassade verhindert. Im Sommer, bei geöffneter Fassade hat die Frischluft höchstens Außentemperatur.

Heiz- und Kühlung basieren auf einem Niedertemperatursystem mit Betonkernaktivierung und Fußbodenheizung. Über eine Geothermieanlage werden alle massiven Raumoberflächen auf der gewünschten Oberflächentemperatur gehalten. Im Heizfall werden zusätzlich die absorbierte Solarwärme von der besonnten Gebäudeseite und die Abwärme des Serverraums in das System eingebracht. Im Kühlfall wird das Gebäude nur über die Kälteenergie aus dem Boden als freie Kühlung konditioniert.

Nach zwei Jahren im Betrieb lassen sich erste Erkenntnisse aus dem „unorthodoxen“ Projekt ziehen. Durch die Tageslichtnutzung und den konsequenten Einsatz regenerativer Energie ergibt sich ein Gesamtenergieverbrauch von 47 kWh/m2a (inklusive Heizung, Kühlung, gesamten Gebäudestrombedarf mit Licht etc.).

Erfolgreich in der Praxis genutzt

Das Gebäudekonzept fokussiert auf den aktiven Nutzer, der mit seinem Gebäude interagiert und selbst entsprechend seiner Bedürfnisse die Fenster bedient. Dabei ist die Fensterbedienung selbsterklärend und funktioniert „wie zu Hause“. Gerade diese Einfachheit führte zu unerwarteter Vorsicht bei Nutzern, die keine Fehler machen wollten. Da sich zu 75% der Gebäudebetriebszeit vor der inneren Fassade eine Temperatur einstellt, die im Bereich der gewünschten Innentemperatur liegt, ist diese Sorge unbegründet.

Das Nutzerverhalten führt nie zu großen Energieverlusten. Ist es im Raum zu warm, wird ein Fenster geöffnet. Bevor es zu kalt wird, oder wenn es zieht (hocheffektiver Luftwechsel) wird das Fenster geschlossen. Bei hohen oder tiefen Außentemperaturen wird so ohne darüber nachzudenken konsequent stoßgelüftet.

Die einzige Aufgabe, die ein Briefing der Nutzer erforderte, war die Bedienung der äußeren Fassadenebene. Nach einer ausgeprägten „Spielphase“, in der alle verschiedenen möglichen Kombinationen aus offener und geschlossener Fassade ausprobiert wurden, hat sich binnen vier Wochen ein Verständnis für die Physik des Solarkollektors eingestellt und die äußere Fassade wird seitdem konsequent korrekt bedient. Thermometer im Fassadenzwischenraum unterstützen bei der Entscheidung die Fassade zu öffnen.

Im vorgestellten Beispiel wurde die Fassade vollständig manuell bedienbar ausgeführt.

In einem öffentlichen Gebäude mit mehr wechselnden Nutzern, muss die Bedienung der äußeren Fassadenebene automatisiert werden. Die innere Hülle kann und sollte manuell bedient werden, da die individuelle Steuerung des persönlichen Luftwechsels dem menschlichen Verhalten entspricht. Ein aktiver Nutzer identifiziert sich am besten mit seinem Passivhaus. —

Thiemo Ebbert

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