GLASWELT: Sehr geehrter Herr Rohrer, seele hat mit seiner Glasbrücke gezeigt, was im konstruktiven Glasbau – besonders mit geklebten Konstruktionen – möglich ist. Was motiviert Sie, immer wieder ans Limit zu gehen?
Rohrer: In seinem fast 25-jährigen Bestehen hat seele die Grenzen der Machbarkeit bei Dach-, Fassaden- und Glaskonstruktionen immer wieder neu definiert. Dabei spielt die Entwicklung einer filigranen Konstruktion eine ebenso große Rolle, wie Präzision in der Ausführung. Es ist keine große Kunst nur ans Limit zu gehen. Wichtig ist, dass das Ergebnis optimiert und in sich stimmig ist.
GLASWELT: Und wie sieht die Umsetzung neuer Lösungen bei Ihnen in der Praxis aus?
Rohrer: Bei einem neuen Auftrag, erarbeitet ein großes Team von Ingenieuren und Technikern gemeinsam einen Vorschlag vom Plan-, Test- und Modellstatus bis zur Produktion und Ausführung. Dabei ist unsere Forschungs- und Entwicklungsabteilung ebenso involviert wie eigene Statiker, Fachplaner und Techniker für die Bereiche Glas-, Aluminium-, Stahl- und Membrankonstruktion. Leistungen, die seele aus einer Hand anbietet und die mit Blick fürs Detail entwickelt, produziert und vor Ort eingebaut werden. Das Ergebnis eines solchen Teamworks war beispielsweise die Glasbrücke auf der glasstec 2008. Zusammen mit der IBK Forschung und Entwicklung der Uni Stuttgart und dem Ingenieurbüro Engelmann Peters konnten wir damit einen Meilenstein im konstruktiven Glasbau setzten.
GLASWELT: Als international tätiges Unternehmen müssen Sie die landesüblichen Baurechtsanforderungen erfüllen. Ist dies nicht aufwendig? Für viele Ihrer Konstruktionen benötigen Sie in Deutschland eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE), lohnt sich dieser Aufwand?
Rohrer: Die baurechtlichen Anforderungen schwanken von Land zu Land etwas, technisch gesehen sind die Anforderungen aber identisch. Deutschland ist eher als schwierig einzustufen. Dies liegt in erster Linie nicht in der technischen Ausführung der Verklebung, sondern im formalen Ablauf. Gibt es keine Bauaufsichtliche Zulassung für die Verklebung, ist eine ZiE zu beantragen. In dieser Zustimmung wird eine Reihe von Auflagen gefordert. Der formale Ablauf der ZiE erfordert zwar einen höheren Aufwand an Zeit und Geld, für erfahrene Fachfirmen stellt das kein Problem dar. Geklebte Glaskonstruktionen, die der Zulassung bedürfen, bieten wir nicht nur anderen an, wir nutzen sie für eigene Bauten. Unser neues Verwaltungsgebäude in Gersthofen verfügt über sechs Einzelzulassungen. Das hat sich gelohnt, wenn man das ansprechende Erscheinungsbild betrachtet.
GLASWELT: Wo sehen Sie Ihre Zukunftsmärkte, bei geklebten Fassaden oder im Interieur?
Rohrer: Die Klebung wird nach unserer Ansicht bei den Fassaden und im Interieur zunehmen. Betrachtet man etwa den Apple Store in Sydney, dort wurde die größte Scheibe der Welt durch Kleben hergestellt. Das Gesamterscheinungsbild des Stores wird durch maximale Transparenz geprägt. Es fällt beim Betrachten der Front nicht auf, dass eine Fassade vorhanden ist. Als Passant sieht man direkt in die Ausstellungsfläche auf die präsentierten Produkte, ohne dass sichtbare Fassadenteile den Einblick stören. Die Konstruktion der Fassade wurde in Glas aufgelöst, wobei die verwendeten Elemente so groß-zügig wie möglich dimensioniert sind. Das war nur durch Kleben zu erreichen. Auch im Interieur kann durch verklebte Konstruktionen mehr Transparenz geschaffen werden. Wo früher durch Bohrungen Störungen entstanden, setzen wir heute Laminier- und Klebetechniken ein, die für dauerhafte, kraftschlüssige und kristallklare Verbindungen sorgen.
GLASWELT: Wird sich das Glaskleben in der Praxis auf breiter Basis durchsetzen?
Rohrer: Verklebte Konstruktionen werden sich in Zukunft weiter durchsetzen, da sich damit Lasten effizienter und schonender in das Glas einleiten lassen und störende Halter entfallen. Die Leistungsfähigkeit der Klebstoffe nimmt zu, und man kann so die notwendigen Klebeflächen verringern. Heute lassen sich filigrane Glaskonstruktionen bauen, die bis vor Kurzem nicht umsetzbar waren. Ein weiterer Schritt in dieser Richtung ist die Verwendung von transparenten Klebern; diese sind für Glas eine ideale Verbindungstechnik, da sie die Durchsicht weiter erhöhen. Allerdings stehen transparente Klebeverbindungen im Fassadenbereich erst am Anfang, wobei es schon einige ausgeführte Objekte gibt, die ihre Eignung im Innen- und Außenbereich beweisen. Seele setzt nicht nur auf innovative Bauprojekte sondern auch auf eigene Labors und Testbereiche.—