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Entwicklungen im konstruktiven Glasbau

Filigran und tragfähig

Das Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) der Universität Stuttgart unter Professor Werner Sobek hat wichtige Beiträge zur Entwicklung von Verfahren und Anwendungen im konstruktiven Glasbau geleistet. Auch aktuell werden hierzu Projekte durchgeführt. Bereits 1998 wurde am ILEK ein 20 m spannender Bogen aus Glas gefertigt, dessen Lastabtrag für die dominierenden Lastfälle ausschließlich über den transparenten Werkstoff selbst erfolgt. Klemmhalter dienen dabei zur Verbindung der einzelnen Glaselemente und zum Anschluss der filigranen Stahlunterspannung, die asymmetrische Lasten abträgt. Dr. ­Lucio Blandini untersuchte am ILEK die Tragfähigkeit unterschiedlicher Klebstoffsysteme, um deren Anwendungspotenzial und die Leistungsfähigkeit des Baustoffs Glas in einem Prototyp, der sogenannten Stuttgarter Schale, zu illustrieren[1]. Mit einer Spannweite von 8,50 m und einer Gesamtscheibendicke von nur 10 mm zählt sie zu den größten und schlankesten Glaskonstruktionen weltweit, die ohne mechanische Verbindungsmittel und ohne weitere Stützkonstruktionen den Lastabtrag gewährleisten.

Im Anfangsstadium des konstruktiven Glasbaus wurde die Verbindungstechnik zumeist den traditionellen Stahlbauverbindungen nachempfunden. So dienen etwa Lochleibungsverbindungen mit Stahllaschen zur lastabtragenden Verbindung von Glasschwertern. Da Glas keine lokalen Spannungsspitzen durch Materialplastifizierung abbauen kann, werden die im Verbindungsbereich auftretenden Spannungen häufig bemessungsrelevant und führen zu einer unwirtschaftlichen Dimensionierung des gesamten Glaselements. Durch Einsatz der Klebetechnik im Glasbau lässt sich ein Materialverbund herstellen, der homogenere Spannungsverteilungen im Verbindungsbereich ermöglicht. Untersuchungen u. a. an der TU Dresden[2] und am ILEK[3] belegen die Leistungsfähigkeit dieser Verbindungstechnik. Durch die Verwendung von UV-härtenden Acrylaten gelang, in Abhängigkeit des applizierten Klebstoffs bei Probekörperabmessungen von 50 mm Durchmesser, die Zugkraftübertragung von bis zu 23 kN und die Schubkraftübertragung von bis zu 47 kN. Diese Werte spiegeln nur zum Teil die Tragfähigkeit der Klebeverbindung wider, da bei einigen Versuchen der Glasbruch vor dem Versagen der Klebeschicht eintrat. Weiterführende Untersuchungen[4] zeigen, dass sich die Tragfähigkeit der Verbindung unter Verwendung der UV-härtenden Acrylate nach Lagerung der Proben in einem Fassadenreinigungsmittelbad bei ca. 45 °C (Testbedingungen in Anlehnung an ETAG 002[5]) nicht verschlechtert. Ungeachtet des noch zu führenden Nachweises der Beständigkeit der Verbindung unter unterschiedlichen Umgebungsbedingungen eröffnet diese Fügungstechnik neue vielversprechende Detaillierungsmöglichkeiten.

Experimentelle Strukturen

Die thermische Fügung von Glaselementen stellt die Reinform des stofflichen Verbunds dar. Freek Bos untersuchte[6] an der Uni Delft die Tragfähigkeit von Glasschweißnähten aus Borosilikatglas. Er betrachtete dabei Stumpfnahtstöße von linear verbundenen Glasröhren und T-Verbindungen aus Glasröhren. Seine Untersuchungen zeigen, dass die ausgeführten Schweißnähte die Materialfestigkeit und somit die Tragfähigkeit nicht herabsetzen. Das gestalterische Potenzial dieser Verbindungstechnik zeigt die Nahaufnahme eines entmaterialisierten Glasknotens (großes Bild links), den eine Studentin bei einem Glasworkshop am ILEK, in Zusammenarbeit mit der Glastechnikwerkstatt des Physikalischen Instituts der Uni Stuttgart, fertigte. Mithilfe dieser Technik könnten räumliche Kräftepfade mit Glas ohne zusätzliche Verbindungselemente materialisiert werden.

Darüber hinaus gibt es Untersuchungen, die neue gestalterische Perspektiven mit Glas als strukturellen Werkstoff aufzeigen. Damit beschäftigte sich ein ILEK-Workshop in Zusammenarbeit mit der Glaswerkstatt der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart[7]. Dort verfolgte z.B. eine Studentin das Ziel, die Flexibilität von Textilien auf Glas zu übertragen. Dieses gelang durch die Paillettierung eines Fadengeleges mit umschließenden Glasscheiben. Die Hauptschwierigkeit hierbei war es, ein Fadenmaterial zu finden, das nach dem Umschmelzvorgang des Glases noch eine ausreichende Flexibilität und Festigkeit aufwies. Mittels eines feinen Stahlfilamentgarns entstand dabei ein äußerst flexibles Glas-Textil-Hybrid.

Auch die Überführung einer ursprünglich ebenen Glasscheibe in einen dreidimensional verformten Zustand durch thermische Behandlung wurde thematisiert. Es gelang, durch die Lagerung der Scheibe auf punktuellen Stützungen, eine Verformung der Scheibe zu erzielen, angelehnt an die Formensprache von Leichtbaukonstruktionen (Bild rechts). Ähnlich verformte Scheiben wurden jüngst bei dem Lesesaalanbau der Staatsbibliothek Berlin (HG Merz Architekten) verwendet. Durch die dreidimensionale Verformung der Scheiben erhöht sich deren Biegesteifigkeit gegen senkrecht zur Scheibenebene angreifende Lasten, sodass dünnere Scheiben ausreichen, um die Verformungsbeschränkungen einzuhalten. Hier tritt eine Verbesserung auf zwei Ebenen ein – eine gesteigerte ästhetische Qualität sowie eine verbesserte tragstrukturelle Ausbildung.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ausgehend von der Fügungstechnik neue Impulse für den konstruktiven Glasbau zu erwarten sind. Mittelfristig wird sich dabei die Klebetechnik bei lastabtragenden Verbindungen durchsetzen. Eine wünschenswerte Lösung tritt dann auf, wenn mit der ästhetischen Qualität ein verbessertes tragstrukturelles Verhalten einhergeht. Bereits experimentell entwickelte Glasobjekte zeigen, dass im Glasbau noch längst nicht alle gestalterischen und konstruktiven Möglichkeiten ausgeschöpft und spannende Entwicklungen in den nächsten Jahren zu erwarten sind. —

Tipp: Eine Literaturliste finden Sie auf ­ https://www.glaswelt.de/ (­dort im Suchfeld rechts oben den Webcode 887 ­eingeben).

Die Autorin

Kerstin Puller arbeitet als wissenschaftliche Assistentin am ILEK, Uni Stuttgart und als Adjunct Associate Professor, College of Architecture, Illinois Institute of Technology.

http://www.uni-stuttgart.de/ilek

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