Glaswelt – Digitalisierung und Vernetzung sind aktuell das große Thema in unserer Branche. Wird es bald nur noch dunkle, menschenleere Fertigungshallen mit vollvernetzten Anlagen geben, die von einer Handvoll Techniker überwacht werden?
Othmar Sailer – Was wir schon erleben ist, dass viele große Verarbeiter intensiv darüber nachdenken, Automatisierungsmöglichkeiten bestmöglich zu nutzen. Ziel ist es immer, möglichst industriell organisiert zu arbeiten – getrieben durch die Umstände, dass Qualität, Arbeitssicherheit und Fachkräftemangel vermehrt zum Thema werden. Vor dem Hintergrund, dass Glasverarbeiter heute weltweit händeringend nach Mitarbeitern suchen und diese immer schwieriger zu finden sind, müssen also mit Hochdruck Lösungen gefunden werden. Und Automation ist eine solche. Dabei geht es darum, mit möglichst wenig manuellen Arbeitsschritten die besten Produkte herzustellen – d. h. es wird weniger Personen in den Hallen geben. Die Entwicklung dahin wird meist ein Prozess in mehreren Schritten und Phasen sein. Wir von Lisec tragen dazu mit unserem Know-how gerne bei.
Glaswelt – Die Digitalisierung ist für Sie also ein andauernder Prozess?
Sailer – Ja, ich sehe die Digitalisierung als eine permanente Entwicklung, als Prozess, der laufend anhand der technischen Möglichkeiten, die sich rasch weiter entwickeln, stattfindet. Das ist spannend und wir arbeiten intensiv daran, die Digitalisierung in unserem Industriesegment für unsere Kunden nutzbar zu machen. Wir können damit helfen schneller, besser, effizienter und kostengünstiger zu werden. Von manuell gesteuerten Einzelbearbeitungsschritten geht es hin zu automatisierten gesamten Verarbeitungsprozessen und deren Überwachung und Steuerung von Leitständen aus. Die eingangs angesprochene dunkle Halle sehe ich aber nicht, sie wird eher sehr hell und sauber sein.
Glaswelt – Ab wann wird es nicht mehr ohne Digitalisierung gehen?
Sailer – Diese Frage stellt sich eigentlich nicht mehr. Denn zwischen spezialisierten Manufakturen, die es auch künftig geben wird, und automatisierten Betrieben wird immer weniger Platz. Durch wachsenden Kostendruck ist es aber auch für kleine Betriebe notwendig, hier was zu tun, wir befinden uns in einer spannenden Veränderung, die unglaublich schnell vorangeht.
Glaswelt – Was verstehen Sie unter Digitalisierung beziehungsweise vernetzter Produktion?
Sailer – Meine Formel ist das Anwenden datentechnischer Möglichkeiten zu ihrer bestmöglichen Nutzung. Das bedeutet einmal Daten erfassen, sie auswerten und interpretieren und dadurch in der Lage sein, Prozesse zu optimieren und das möglichst in Echtzeit. Weiter können IT-Kommunikationsmöglichkeiten vom Endkunden bis in die Fertigung gut genützt werden. Als Produktionsleiter kann ich ja bereits heute schon zu jeder Sekunde sehen, was sich in der Fertigung tut. Das gibt enorme Steuerungsmöglichkeiten. Das ist der kurzfristige Effekt. Zudem kann man langfristige Trends ablesen und sich zunutze machen um daraus zu lernen, etwa hinsichtlich Service: So wird etwa eine präventive Wartung tatsächlich sinnvoll möglich. Diese Möglichkeiten zu nützen führt zu mehr Planungssicherheit, weniger Ausfällen etc. Um dies zu erreichen muss ich aber die Datenwelt beherrschen. Viele Daten zu haben, reicht alleine nicht aus. Der Verarbeiter muss die richtigen Daten ermitteln, verstehen (lernen), um sie beherrschen und das Wissen daraus bestmöglich zu seinem Nutzen verwenden können.
Glaswelt – Was bedeutet die Digitalisierung für die Mitarbeiter und auch für deren Qualifikation?
Sailer – Es bedeutet, dass sich in der Branche Berufsbilder weiter entwickeln und neue Berufsbilder entstehen, die inhaltlich Produktionsplanung und die Steuerung und Optimierung der Fertigung im Fokus haben. Das sind spannende Aufgaben, die für die Mitarbeiter ein großes Potenzial bieten, sich weiter zu entwickeln. Der Wandel der Arbeitsfelder ist ein weltweiter Trend, der auch in der Glasbranche ankommt. Hier sind die Anforderungen immer häufiger weltweit die gleichen. Die Mitarbeiter der Zukunft müssen nicht nur eine/ihre Arbeitsstation beherrschen, sondern insgesamt über ein umfassenderes Verständnis hinsichtlich der gesamten Fertigungskette verfügen. So entstehen weitere spezialisierte Berufe: Die Mitarbeiter müssen Glas verstehen, aber auch die Produktion und ihre Verarbeitungsprozesse, einschließlich der Produktionsplanung. Dieser Paradigmenwechsel findet gerade statt!
Glaswelt – Wo finden die Betriebe solche Mitarbeiter?
Sailer – Es gibt aktuell viel Diskussion über den Wandel des Berufs des Flachglasbearbeiters. Meine Wahrnehmung ist, dass schon heute Menschen aus unterschiedlichen Ausbildungsfeldern und Ebenen aus eigener Kraft in diese Richtung wachsen. Dies erfolgt oft in Eigeninitiative, indem sich die Menschen weiterbilden entsprechend den digitalen Anforderungen in ihren Betrieben. Somit sind wir in der Realität aufgrund der Geschwindigkeit dieser Entwicklungen dem Ausbildungssystem voraus.
Glaswelt – Solche Mitarbeiter wollen aber nicht wie einfache Handlanger bezahlt werden.
Sailer – Ja, die Lohnkosten werden pro Kopf mit gesteigertem Bildungsstand vermutlich leicht steigen. Dennoch wird diese Rechnung aufgehen. Denn diese Kosten gleichen sich schon durch einen höheren Output und eine bessere Qualität mit hoher Sicherheit zumindest aus.
Glaswelt – Wie sehen Sie – mit Hinblick auf Industrie 4.0 – die aktuelle Lage bei der Ausstattung in den glasverarbeitenden Betrieben?
Sailer – Wenn ich mir die ganze Branche anschaue, ist der Grad an industriell organisierter Fertigung noch nicht so weit wie in vielen andere Branchen, allen voran die Automobilbranche. Es gibt hier ein großes Potenzial. Viele sind bereits mitten in intensiver Weiterentwicklung und das mit hoher Geschwindigkeit. Bewusst werden offenbar Mitarbeiter aus anderen Branchen (Automobil, IT) angeworben, um diesbezüglich Wissen und Erfahrung in die Betriebe zu bringen. Das gibt produktive Konstellationen, die viele neue Ansätze entwickeln. Davon profitieren auch wir in der Zusammenarbeit und wir werden gemeinsam neue, interessante Ergebnisse erzielen können!
Glaswelt – Müssen Verarbeiter unbedingt ihre Produktion vernetzen?
Sailer – Ja. Sie müssen dabei aber genau überlegen, in welchem Umfang und in welcher Geschwindigkeit diese Entwicklungen erfolgen soll, damit es dann für den eigenen Betrieb passt. Denn letztendlich soll alles jederzeit rund laufen.
Glaswelt – Ich sprach mit einem chinesischen Verarbeiter, der kürzlich ein Glaswerk für rund 100 Mio. Dollar eröffnet hat. Er meinte, ein neues Werk lohne nur auf der grünen Wiese. Wie sehen Sie das?
Sailer – Ich sehe eindeutig einen Trend der dahingeht, Green Field Projekte zu machen. Das zeigt sich an den Projekten, an denen wir aktuell arbeiten. Es hängt sicher von vielen Faktoren ab, ob eine Produktion neu auf die grüne Wiese gestellt besser und effektiver sein kann, als die weitere Aufrüstung einer bestehenden Produktion. Solche Entscheidungen gilt es vorab sehr genau zu prüfen. Es geht letztendlich um die Gesamt-Performance in Relation zu den Investitionen des Verarbeitungsbetriebs. Um die entsprechenden Analysen und Berechnungen anzustellen, können wir Tools bereitstellen, die mittlerweile sehr genau sind.
Glaswelt – Was machen Betriebe, die vernetzen und digitalisieren wollen, aber an eine bestehende Produktionsumgebung gebunden sind oder die für räumliche Erweiterungen keinen Platz haben?
Sailer – Auch bei einer bestehenden Fertigung steht einer Digitalisierung der Anlagen kaum etwas im Weg. Die Maschinen dürfen nur nicht allzu alt sein. Wir sind meist in der Lage, unsere Anlagen digital aufzurüsten. Mit unseren Long Life Produkten lassen sich Antriebe, Sensorik, Steuerung sowie die Software updaten und auf einen aktuellen Stand bringen. Es kann also durchaus eine Option sein, mit bestehenden Anlagen kostengünstig weiterzuarbeiten, ohne diese gleich austauschen zu müssen.
Glaswelt – Muss die Digitalisierung in einem Ruck erfolgen oder ist auch eine sukzessive Vernetzung denkbar und möglich?
Sailer – Wenn ich einzelne Maschinen optimieren will, ist sukzessives Vorgehen möglich. Will ich eine gesamte Produktionsstätte vernetzen, braucht es schon eine entsprechende Plattform, um am Ende alles vernetzt steuern zu können. Hierzu müssen die passenden Schnittstellen und Systeme vorhanden sein. Wenn ein Gesamtkonzept für einen digitalen Betrieb zu Beginn erstellt wird, dann lässt sich aber auch schrittweise im Rahmen dieses Konzepts vorgehen.
Glaswelt – Wie wichtig ist die Software bei der Produktionsanpassung?
Sailer – In dem Moment, wo wir Daten verarbeiten und auswerten, sind wir im Bereich Software. Ohne die geht es nicht.
Glaswelt – Sie als Maschinenbauer stellen auch eigene Software zur Produktionssteuerung bereit, welche Vorteile bringt das Verarbeitern?
Sailer – Dies ermöglicht uns volle Datenintegration von der Maschine bis zur (ERP) Software. Das macht die Planung und Umsetzung von Digitalisierungsprojekten sowie deren Betrieb im Weiteren natürlich einfacher und effizienter. Wir kommen auch Dank unserer Erfahrung in dem Bereich immer mehr in die Rolle des Beraters: Produktionsplanung – und Steuerung, Prozesse etc. – hier leisten wir einen guten Beitrag zur Investitionssicherheit bei unseren Kunden. Generell gilt, möglichst genau im Vorfeld zu planen, Erfahrung einfließen zu lassen und Projekte von Anfang an bis ins kleinste Detail durchzudenken.
Glaswelt – Was ist noch wichtig?
Sailer – Es ist bei Digitalisierungsprojekten (und nicht nur dafür) notwendig, alle Beteiligten auf den selben Nenner bezüglich Wissen zu bringen: Begriffe, Bilder, Denkwelten, Erwartungen etc. sind abzugleichen. Ein Beispiel: Der Begriff Anlagenverfügbarkeit. Dazu gibt es viele unterschiedliche Ansichten bezüglich seiner genauen Bedeutung. Wichtig ist für den Verarbeiter sich im Vorfeld entsprechend viel Zeit zu nehmen, um Dinge genau abzuwägen, zu planen und dann erst umzusetzen. Nur so erreicht man eine hohe Planungsqualität und vor allem Identifikation der Mitarbeiter mit dem Ergebnis. So ein Prozess kann und soll durchaus länger dauern, damit alle Beteiligten genau verstehen, was letztendlich umgesetzt werden soll.
Glaswelt – Glauben Sie die Digitalisierung ist eine Entwicklung, die umkehrbar ist?
Sailer – Nein, die Digitalisierung ist unumkehrbar. Wenn sie gut funktioniert und die Betriebe damit erfolgreich sind, wird sie auch akzeptiert werden und werden Ängste abgebaut. Insbesondere wenn erkannt wird, dass damit schneller, sicherer und effizienter gearbeitet werden kann. Wir investieren jedenfalls zukunftsorientiert viel in diesen Bereich und haben eine eigene Digitalisierungsinitiative mit einem eigens dafür zusammengestellten Team mit viel Freude an dieser Arbeit in vollem Einsatz! Ein Vergleich zum Abschluss: Denken Sie an das Smartphone, das gab es vor gut 10 Jahren noch nicht und heute kann man sich das Leben ohne kaum noch vorstellen.—
Das Gespräch führte Matthias Rehberger.
Das zeigt Lisec auf der glasstec
Im Zentrum des Messeauftritts stehen unter anderem folgende Systeme:
- SplitFin, eine Bearbeitungslinie mit Wasserstrahltechnologie
- ConvectLam 2, eine Laminieranlage kombiniert mit einem Hochdruck-Autoklav
- LBH-B25ARS, ein automatischer Butyl Extruder für feste Abstandhalter
- BSV-B45NK, eine Biegeanlage für „scharfe“ Ecken
Die SplitFin ist ein vertikales Wasserstrahl Bearbeitungskonzept, das modular aufgebaut ist und sich voll in die Linie integrieren lässt für einen hohen Ausstoß der Gesamtlinie. Zugleich können auch nur die Einzelgeräte eingesetzt werden. Auf Wunsch gibt es eine Überkopf-Überholspur (VLO = vertical lift over).
Der automatische Butyl Extruder LBH-B25ARS für starre Abstandhalter (für max. Rahmenformate von 2500 × 2500 mm) dient der unterbrechungsfreien Butyl-Applikation und fährt mit von 1,5 – 4,5 g/m (Genauigkeit von +/– 5 %).
Mit der ConvectLam 2 wird eine Laminier-Linie im Demobetrieb zu sehen sein, die sich u. a. durch ein intelligentes Strahler- Heizkasten-Konvektionssystem auszeichnet.