_ Wird heute über das Konzept der Industrie 4.0 referiert und diskutiert, heben alle Beteiligten die vermeintlichen Mehrwerte hervor, die abstrakt mit einer „effizienten Produktion“ oder „intelligenten Produkten und Maschinen“ umschrieben werden. Es scheint aber, dass keiner weiß, wo genau dieses Konzept anfängt und wo es aufhört. Auch wie die praktische Umsetzung aussehen kann, was ja den Verarbeiter interessiert – interessieren muss – wird oft wenig konkret beleuchtet.
Versuch einer Definition
Ein Kernpunkt von Industrie 4.0 ist die IT-gestützte Ressourceneffizienz. Das bedeutet, dass innovative Schnittstellen über Sensoren, Barcodes etc. im Betrieb und in der Fertigung Daten erfassen, bündeln und für die Auswertung zur Verfügung stellen. Diese Auswertungen optimieren den gesamten Produktionsprozess sowie die zugehörige Logistik. Die entsprechende Datenvernetzung kann im zweiten Schritt über den eigenen Betrieb hinaus mit Daten von Kunden und denen von Zulieferern erweitert werden.
Der Nutzen besteht für den Verarbeiter darin, dass er die benötigten Materialien und Rohstoffe sowie Maschinen und Arbeitskräfte durch die Vernetzung effizienter einsetzen kann.
Diese Optimierungen beziehen sich auf die aufzuwendende Zeiten, die Senkung der Fehlerquote sowie die Ausbeute im Produktionsprozess. Dabei sind alle Betriebsbereiche betroffen, in denen die Datenvernetzung hilft, Fertigungs- und Arbeitsabläufe transparenter zu machen.
Diese Informationen kann der Verarbeiter dann wiederum dazu einsetzen, um sowohl die einzelnen Bearbeitungsstationen als auch den gesamten Fertigungsprozess, inklusive Administration, Logistik und Versand, besser zu gestalten.
Beispiele für KMUs
Gerade in den traditionell flexibel arbeitenden KMUs ist jeder Eingriff in eine funktionierende Produktion im Vorfeld sehr sorgfältig abzuwägen. Vorab ist zu evaluieren, welche Veränderungen umgesetzt werden können, um die interne Datenvernetzung zu verbessern.
In vielen Fällen ist das gar nicht so einfach, da Aufwand und Nutzen in einem idealerweise deutlich positiven Verhältnis zugunsten des Nutzens stehen sollten und die Ergebnisse schwierig abzuwägen sind.
Einfacher ist es, Bereiche zu identifizieren mit hohen Fehlerquoten, langen Prozesszeiten oder eindeutig fehlenden Informationen, die bei aktueller Arbeitsweise nur mit hohem manuellen Aufwand zu beschaffen sind.
Die intelligente Kommunikation zwischen Auftragserfassungssystemen über Unternehmensgrenzen hinweg ist ein solches Beispiel. Die automatische Bestellung über eine intelligente Schnittstelle und die Auftragsanlage auf Knopfdruck inklusive Erstellung der Fertigungsdaten sowie Rückmeldung des Auftragsstatus kann ein echter Wettbewerbsvorteil sein.
Auch wichtige Anmerkungen des Fensterbauers, wie z. B. eine Verglasungsreihenfolge, werden übertragen und automatisch an die relevante Arbeitsstation weitergeleitet, wodurch die Fertigungsorganisation bis hin zum Versand gesteuert wird. Weiter werden Informationen wie unterschiedliche Sprossenfarben, die gewünschte Abstellrichtung auf dem Gestell, Hinweise zum Siebdruck, zum SZR oder die Gradzahl der Senklochbohrung automatisch mitgegeben.
Die Berücksichtigung solcher Wünsche des Kunden hilft diesem Zeit einzusparen und effizienter zu arbeiten, was wiederum den Glasverarbeiter zum geschätzten Zuliefer-Partner machen kann.
An einzelnen Arbeitsstationen, wie Zuschnitt, Bearbeitung, VSG-Verbund, ESG-Fertigung, kann es schon hilfreich sein, die für die jeweiligen Arbeitsplätze relevanten Informationen auf einem großen Monitor anzuzeigen. Das kann z. B. eine skalierbare Skizze der Bohrlöcher am Bearbeitungszentrum sein oder die nächsten Scheiben für den Verbund.
Über die Einsatzmöglichkeiten an den einzelnen Arbeitsplätzen hinaus, können relevanten Informationen gebündelt bereitgestellt werden. Durch die Möglichkeit sämtliche maschinenbezogenen Daten über die Sensoren zu erfassen, lassen sich auch Maschinen und Stillstandszeiten sowie Wasser- oder Stromverbrauch abrufen. Gleiches gilt für Informationen über den Verbrauch und die Restmengen an Butyl, Schneidöl etc. , die sich zur Analyse der Produktion heranziehen lassen.
In Verbindung mit einer Produktionsübersicht kann der Verarbeiter so Kostentreiber erkennen sowie wichtige Kennzahlen definieren.
Als nächster Schritt ist dann die Vernetzung der Produktion hin zu einer Teil- oder auch Vollautomatisierung möglich und umsetzbar.
Sieht so die Zukunft aus, und was sagen die Kritiker?
Das Ergebnis zukünftiger Wertschöpfungsströme werden vollautomatisierte Lieferprozesse über Unternehmensgrenzen hinweg sein.
Dabei werden sich die Produkte sowie Transport-Container und Kisten eigenständig disponieren und mittels selbstfahrender Lkws und Züge zum Kunden gebracht. Das wäre Wirtschaft 4.0. Kritisch betrachtet wäre das jedoch der zweite Schritt vor dem ersten.
Das Konzept von Industrie 4.0 erhält aber nicht nur positives Feedback: Kritiker unterstellen darin eine Art Beruhigungseffekt für die deutsche Industrie, welche die wirklich relevanten Themen vernachlässigt.
Der Tenor der Kritik lässt sich so zusammenfassen, dass Themen diskutiert und Inhalte umgesetzt werden, die eigentlich schon existieren und bereits unbemerkt Einzug in viele Betriebe gehalten haben: Traditionelle Produktion an sich, allerdings etwas intelligenter. Aber eben ganz im Sinne klassischer Wertschöpfungsketten.
4.0 bietet vielfältige Möglichkeiten
Der Einsatz moderner, abgestimmter Soft- und Hardware ist Teil einer Vernetzung im Rahmen von Industrie 4.0. Um Teilprozesse im Betrieb sowie den gesamten Fertigungsablauf effizienter zu gestalten, besteht bereits heute für KMUs ein großer Spielraum.
Andererseits besteht aber auch das Risiko, falsche Maßnahmen zu ergreifen und an der falschen Stelle zu investieren. Deshalb sollten gerade kleinere und mittlere Betriebe ganz genau zwischen Aufwand (und Kosten) und dem Nutzen abwägen, um Industrie 4.0 auch als Chance nutzen zu können. —
Weitere Informationen zu Industrie 4.0
Das Konzept zur digitalen Zukunft Industrie 4.0 (auch Internet der Dinge genannt) ist in der Branche das derzeit wohl am meisten diskutierte Thema.
Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) stellen auf der „Plattform Industrie 4.0“ Informationen bereit zu Grundlagen, Konzepten, Ideen und Herangehensweisen sowie aktuelle Beispielen aus verschiedenen Branchen. Auch praktische Umsetzungen werden vorgestellt und erläutert (siehe Reiter „In der Praxis“).