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Interview mit Dr. Marcel Bilow

Fassaden und Gebäude aus dem Baukasten

Glaswelt – Sie forschen seit Jahren an der Weiterentwicklung und Optimierung von Fassaden und den zugehörigen Bauteilen, was tut sich aktuell im Zusammenspiel von Glas, Profilen, Sonnenschutz und Gebäudesteuerung?

Dr. Marcel Bilow – Beim Zusammenspiel der genannten Bauelemente steht für uns neben minimierter Betriebsenergie durch optimierte Fassadenprofile, Isoliergläser und Sonnenschutzelemente auch die graue Energie und der gesamte Lebenszyklus im Fokus. Ausgehend von einer Lebensdauer von 20 bis 30 Jahren stellt sich die Frage, wie viel Energie man bereits in die Fertigung und Montage investiert. Und am Ende bleibt dann die Frage, was passiert mit den einzelnen Komponenten, wenn der Lebenszyklus der Fassade zu Ende ist. Lassen sich die eingesetzten Elemente einfach trennen, wieder verwerten oder recyclen. Welche Komponenten können im Verlauf der Lebensdauer der Fassade upgedatet werden, welche Teile müssen ausgetauscht werden. Mein Kollege Tillmann Klein hat das Thema Leasing von Fassaden näher untersucht hat, das in Zukunft weiter Beachtung finden wird.

Glaswelt – Was bedeutet das für die beteiligten Handwerker?

Bilow – Alle Beteiligten am Bau müssen sich gut kommunizieren und besser abstimmen. Die Schnittstellen zu angrenzenden Gewerken werden immer wichtiger. Hier ein Beispiel: Lässt sich die Steuerung des Sonnenschutzes einfach austauschen oder updaten, darf sie nicht durch Elemente des Fassaden-Verkleidung verdeckt sein. Praktikable Lösungen müssen hier in Abstimmung aller Gewerke entwickelt werden. Zudem wird die Dokumentation und die Archivierung der ausgeführten Details immer wichtiger.

Glaswelt – Aktuell verändern sich die Baumaterialien durch eine starke Zunahme von Verbundstoffen. Wie schätzen Sie das ein?

Bilow – Das ist sicherlich ein Trend. Wir haben gerade einen Versuchsbau fertiggestellt, das Product Development Lab der TU Delft (PD Lab). Die Fassadenbekleidung ist hierbei mit Reynobond Verbundplatten von Alcoa versehen, die durch eine präzise CNC Frästechnik ausgeschnitten und dann entlang von Faltlinien in Form gefaltet werden kann. Der Verbund von Kunststoff und Alu sorgt hier für eine hohe Oberflächenqualität, passgenaue Verarbeitungen und eine lange Lebensdauer. Gleichzeitig wollten wir mit möglichst wenigen Materialien arbeiten und diese nach Ende des Lebenszyklusses einfach trennen können, um die Rohstoffe leicht zurückzuführen.

Glaswelt – Kam 3D-Druck zum Einsatz?

Bilow – Nein. Heute lässt sich zwar eine Menge in 3D drucken, aber für die großmaßstäbliche Anwendung in der Gebaudehülle müssen wir sicherlich noch 10 Jahre warten. Wichtig ist zu fragen, welche Vorteile diese Technik bringt und wo sie wettbewerbsfähig einsetzbar ist. Das Spektrum ist riesig, ebenso der aktuelle Hype um diese Technik. Aber solange unsere Glasscheiben noch im Floatverfahren hergestellt und linear gelagert werden, ist und bleibt etwa das Extrudieren von Aluminium eine unschlagbar effiziente Produktionstechnik.

Glaswelt – Was stand also beim PD Lab Projekt im Vordergrund??

Bilow – Wir haben uns hierbei vollständig der digitalen Produktion verschrieben, sprich diesmal stand CNC Fräsen im Fokus, um ein komplettes Gebäude zu fertigen. Das gesamte Haus ist aus Holzplatten und Reynobondplatten gefräst. Die Planung entstand vollständig mittels 3D-Modell und alle Fertigungsschritte wurden aus dem Plan direkt an die CNC Fräse exportiert. Durch diese digitale Entwurfs-, Konstruktions- und Fertigungskette konnten wir fast toleranzfrei bauen.

Glaswelt – Fast ohne Toleranz, wie geht das?

Bilow – Das ist eine wirkliche Herausforderung. Die CNC-Maschinen, die wir nutzen, können auf den 10tel Millimeter präzise fertigen. Da war manchmal selbst die CAD-Datei nicht so genau. Der Wunsch, dass auf der Baustelle alles so zusammenkommt, wie am Computer entwickelt, bewahrheitet sich aber nur in Teilen. Es gab einige Punkte, an denen wir Probleme mit den Toleranzen hatten, vor allem wetterbedingt. Holz, in diesem Fall OSB, quillt unter Wasserzugabe, zwar nicht viel, aber wenn man fast mit 0-Toleranzen arbeitet, passen schon zwei Bauteile nicht mehr zusammen, wenn das eine nur 2 mm breiter geworden ist. Wir hatten Nut und Federverbindungen, die als luftdichte Verbindungen mit eingelegten Dichtungen konzipiert waren. Beim Transport und beim Handling waren diese schadensanfällig; Nuten und Federn sind teils aufgequollen. Das sind im Prinzip alles Dinge, die wir bei der nächsten Version verbessern werden. Genau darum machen wir solche Projekte ja auch, experimentierten, testen und dann lernen unsere Studenten auch aus den Fehlern.

Glaswelt – Was war das Besondere beim Zusammenspiel von Fassade und Sonnenschutz?

Bilow – In erster Linie die Flexibilität. Unser Projekt-Gebäude besitzt nur eine einzige Glasfassade, die direkt zur Sonne gewandt ist, was einen guten Sonnenschutz erfordert. Als erstes haben wir hochselektive Sonnenschutzgläser in der Fassade verbaut. Im weiteren Projekt-Verlauf wollen wir innen und außen verschiedene Sonnenschutzsysteme testen. Hier sind bereits in der stirnseitigen stählernen Pfosten-Riegel-Fassade eine Vielzahl von Befestigungsmöglichkeiten vorgesehen, um eine große Auswahl an Sonnenschutz-Lösungen montieren zu können. Leider ist es noch nicht soweit, sodass es momentan ganz schön warm im Haus wird. Aber so können wir den Studenten anschaulich die Bauphysik demonstrieren. Fühlen ist besser als glauben. Gerade hat sich Claus Markisen gemeldet und möchte in unserem Haus Produkte testen.

Glaswelt – Wie lange war die Bauzeit?

Bilow – Geplant waren als Kernbauzeit zwei Wochen. Wir dachten wir könnten so schnell sein. Die Realität und vor allen viel Regen beim Aufbau hat mehr Zeit gekostet als geplant. Wir haben die zwei Wochen nicht ganz geschafft, sondern in Summe drei gebraucht. Am Ende kamen nämlich noch Lieferverzögerungen dazu.

Glaswelt – Wie sehen Sie in Zukunft die Zusammenarbeit von Planern und Handwerkern, wie müssen diese künftig kommunizieren?

Bilow – Auf jeden Fall muss die Planung passen, alle Randbedingungen müssen klar sein und alle beteiligten Parteien müssen miteinander sprechen. Je besser der Austausch, desto besser ist der komplette Bauablauf. Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass die Planer ein offenes Ohr für Handwerker und Ausführende haben müssen. Wenn Planer häufig draußen auf der Baustelle sind, ist das ein klarer Vorteil. Und Architekten haben nicht immer Recht. Auch hier lohnt es sich, den Monteuren zuzuhören. Weiter ist Offenheit gegenüber Neuem wichtig. Das „Warum, das haben wir doch schon immer so gemacht“ hilft nicht, unsere Baukultur zu verbessern.

Glaswelt – Wo gilt es noch aufzupassen?

Bilow – Wir sehen an der Universität, dass das 2D-Detail als Kommunikationsmittel auf dem Plan immer mehr durch 3D-Illustationen und Isometrien verdrängt wird. Das ist gefährlich, denn der Handwerker erwartet Papierpläne für seine Arbeit auf der Baustelle. Auf der Baustelle kann man mit fünf Mann und mit Bleistift und Zollstock arbeiten und anpassen. Das geht auf dem Tablet PC noch nicht wirklich zufriedenstellend.

Glaswelt – Sie haben Recycling und Wiederverwendung von Komponenten angesprochen. Kam das hier zum tragen?

Bilow – Ja, die Pfosten-Riegelfassade von Janssen ist eine Aufsatzkonstruktion. Geplant war, diese auf alte Stahlträger zu montieren, die schon woanders 50 Jahre ihren Dienst geleistet hatten. Leider stand zum Projektstart kein geeignetes Material zur Verfügung, weshalb uns ODS mit neuen Stahlprofilen ausgeholfen hat, die von einem anderen Projekt übrig geblieben waren.

Glaswelt – Zum Bauablauf, was gab es da bezüglich der Fassade zu benennen?

Bilow – Bereits beim ersten Gespräch mit unserem Fassadenpartner ODS war deutlich, jeder will eigentlich eine 0-Toleranz. Denn wenn alles wie in der Planung auch auf der Baustelle ausgeführt werden kann, erhöht das den Baufortschritt und die Qualität enorm. Natürlich hat jedes System die Möglichkeiten Toleranzen auszugleichen. Das liegt häufig dann in den Händen erfahrener Handwerker. Bei der Ausführung hat bezüglich der Maßhaltigkeit alles geklappt. Hinsichtlich der Anschlüsse in unserer Holzkonstruktion gab es jedoch hier und da ein paar kleinere Probleme. Dadurch mussten wir ein paar Schrauben mehr einsetzen als geplant.

Glaswelt – Was bringt Firmen, die als Partner fungieren die Teilnahme an Projekten?

Bilow – Diese Firmen gewinnen an Know-how und sind in der Lage, ihre Produkte weiter zu verbessern. Ganz ehrlich, ohne diese Kooperationen wäre dieses Projekt finanziell nicht möglich. Wir haben ein Startkapital von der 4TU Bouw lighthouse budget erhalten, die die Entwicklung von Innovationen im Bausektor fördert. Mit solch einem Start-Budget findet man einfacher Partner.

Glaswelt – Worauf basiert die Konstruktion?

Bilow – Das System für das gesamte Haus wurde von Pieter Stoutjesdijk und seiner Firma The new makers entworfen. Das Gebäude besteht aus Baublöcken die mithilfe eine CNC Fräse äußerst präzise gefertigt wurden und dann formschlüssig zusammengefügt werden können. Pieter hat dieses System bereits bei seiner Masterarbeit an unserem Lehrstuhl angefangen zu entwickeln. Die Fassadenverkleidung stammt von Jeroen van Veen, ebenfalls im Rahmen seiner Masterarbeit.

Glaswelt – Was für ein Fazit ziehen Sie aus den Arbeiten am PD Lab?

Bilow – Unser Versuch, ein Gebäudessystem aus CNC gefertigten Baukomponenten zu erstellen, war erfolgreich und hat die Vorteile der digitalen Planung und Produktion aufgezeigt. Das Gebäude stand nach kurzer Bauzeit, erfüllt alle Anforderungen und belegt, dass das Konzept funktioniert. Im Detail sind eine Anzahl an Verbesserungen auf unserer To-do-Liste zusammengekommen. Sprich die nächste Version wird noch besser werden. In Bezug auf vorfabrizierte Komponenten, die in großen Stückzahlen gefertigt werden sollen, ist es von hoher Wichtigkeit, dass alle Details ganz genau zusammenpassen. Als Maurer habe ich gelernt präzise zu arbeiten, da kann der Mörtel als Ausgleich dienen, egal wie ungenau der Stein ist, lässt sich immer das gewünschte Maß erreichen. Wenn wir nun den Mörtel weglassen und die Steine nur noch aufeinander setzen, wird schnell deutlich, welche hohen Anforderungen an die Maßhaltigkeit gestellt werden. Ich denke, dass wir einen ersten Schritt gemacht haben, um ein Bausystem zu entwickeln, das von den Handwerkern in der Zukunft genauso gut und leicht zusammengesetzt werden kann, wie Lego. —

Die Fragen stellte Matthias Rehberger.

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