_ Weltweit existieren über 100 verschiedene Gebäudezertifizierungssysteme. Diese sind oft landesspezifisch und berücksichtigen regionale Gegebenheiten sowie Normen/Standards, Klima, das Baurecht und sonstige Vorgaben. Dabei können sie teils sehr stark variieren.
In den vergangenen Jahren haben sich international vor allem zwei Systeme durchgesetzt. Zum einen ist dies das Building Research Establishment Environmental Assessment Method (BREEAM) System und das Leadership in Energy and Environmental Design (LEED) System. In Deutschland gibt es zudem das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) und die Zertifizierung nach dem Standard der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). Das BNB-System wird primär für die Bauten des Bundes verwendet, wohingegen DGNB auf den Privatbereich setzt.
Doch welche Vorteile bietet Nachhaltiges Bauen? Vor allem Investoren sehen in zertifizierten Gebäuden einen Mehrwert. So sprechen diverse Quellen von einer Erhöhung des Immobilienwerts durch eine entsprechende Gebäudezertifizierung von 10 bis 15 Prozent. Auch Bauherren und Architekten setzen immer mehr auf Gebäudezertifizierungen. Vorteile, wie Behaglichkeit, Gesundheit, Barrierefreiheit, Recyclingmaterialien sowie nachwachsende Rohstoffe werden von Gebäudenutzern positiv bewertet. Zusätzlich soll eine Zertifizierung zur besseren Gebäudereputation beitragen.
Die Anforderungen durch Zertifizierungssysteme
Gebäudezertifizierungssysteme sind in der Regel so aufgebaut, dass Qualitäten, wie ökologische Qualität, ökonomische Qualität oder auch Prozessqualität die Basis der Bewertung darstellen. Internationale Systeme sprechen beispielsweise von Energy, Transport, Water oder Health and Wellbeing. Jeder Qualität sind verschiedene Kriterien untergeordnet. Kriterien sind z. B. Risiken für die lokale Umwelt, umweltverträgliche Materialgewinnung (Ökologie); integrale Planung, Bauprozess (Prozessqualität), Energieeffizienz, Außenbeleuchtung (Energy).
Bei jedem Kriterium können durch entsprechende Erfüllung Punkte erreicht werden. Diese Punkte werden für das Gesamtgebäude summiert. Über eine Gesamtbewertung können „Auszeichnungen“ bzw. Zertifizierungsstufen erreicht werden. DGNB bewertet mit Platin (ab 80 Prozent), Gold (ab 65 Prozent), Silber (ab 50 Prozent) und Bronze (ab 35 Prozent) Erfüllung.
BREEAM nennt diese Zertifizierungsstufen exzellent, sehr gut, gut oder bestanden. Ziel der Investoren oder Bauherren ist in der Regel eine hohe Auszeichnungsstufe.
Alle Systeme beziehen sich ausschließlich auf Gebäude. Dennoch müssen durch die Bauproduktenhersteller verschiedene Nachweise zum Nachhaltigen Bauen erbracht werden. Können diese nicht fristgerecht bereitgestellt werden, kann es schlimmstenfalls zum Vergabeausschluss kommen. Diese Nachweise zu erbringen ist jedoch oft schwierig.
Auch auf die Kommunikation kommt es an
Architekten bzw. Gebäudeauditoren haben einen sehr genauen Einblick ins System, kennen aber oft die Produkteigenschaften nicht im Detail. Bauproduktenhersteller kennen ihre Produkte, wissen aber nicht, welche Anforderungen zum Nachhaltigen Bauen bestehen, bzw. erbracht werden müssen.
Zusätzlich kommt hinzu, dass die vielen Gebäudezertifizierungssysteme sich stetig ändern. Außerdem bestehen je nach Gebäudetyp unterschiedliche Anforderungen. Die Kriterien unterscheiden sich somit.
Allein die DGNB hat heute 22 unterschiedliche Gebäudetypen (Parkhäuser, Mehrfamilienhäuser, Büro- und Verwaltungsgebäude, Sanierung, …) im Zertifizierungsangebot. Bei dieser Vielfalt an Anforderungen den richtigen Nachweis zur Zertifizierung zu liefern, ist sehr aufwendig.
Das muss der Isolierglashersteller wissen
Im Folgenden werden die Anforderungen der beiden deutschen Zertifizierungssysteme für Isolierglashersteller und -verarbeiter dargestellt. Diese Auflistung ist beispielhaft und stellt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Als Basis wurden die Kriterien für Büro- und Verwaltungsgebäude herangezogen. Es ist weiterhin zu berücksichtigen, dass Glas im Gebäude zwar einen Einfluss hat, dennoch ist das Gebäude als Gesamtsystem zu sehen. Das heißt, dass alle Bauteile und Bauprodukte einen Einfluss auf eine erfolgreiche Zertifizierung haben und gesamtheitlich betrachtet werden.
Die Anforderungen von BNB und DGNB werden zusammengefasst, da die meisten Kriterien identisch sind. Die Kriterien sind gemäß BNB Büro- und Verwaltungsgebäude – Neubau Version 2015 gewählt.
Ökologische Qualität
Die Kriterien Treibhauspotenzial (GWP), Ozonschichtabbaupotenzial (ODP), Ozonbildungspotenzial (POCP), Versauerungspotenzial (AP), Überdüngungspotenzial (EP), und Primärenergiebedarf werden durch sogenannte Umweltproduktdeklarationen oder Environmental Produkt Declarations (EPD) nachgewiesen. Das Institut für Fenstertechnik bietet hierzu eine kostengünstige Lösung für MIG an. Alternativ können EPDs beim Institut für Bauen und Umwelt bezogen werden.
Das Kriterium Risiken für die Lokale Umwelt wird durch VOC-Untersuchungen (Emissionen in den Innenraum) und besonders besorgniserregende Stoffe (SVHC) nachgewiesen. Meist spielen diese Stoffe und Emissionen für Glas keine wesentliche Rolle. Dennoch müssen sie durch Emissionsmessungen (VOCs) oder Datenblätter (SVHCs) nachgewiesen werden.
Soziokulturelle Qualität
Gebäudebezogene Kosten im Lebenszyklus spielen für Gläser eine untergeordnete Rolle. Hierzu muss lediglich bekannt sein, wie viel Glasfläche im Gebäude vorhanden ist. Daraus werden die Reinigungskosten berechnet.
Soziokulturelle Qualität
Der thermische Komfort im Gebäude kann durch Isoliergläser wesentlich beeinflusst werden, allerdings ist die Berechnung erst gebäudeseitig möglich. Für die Bewertung der Innenraumlufthygiene sind Nachweise zu flüchtigen organischen Verbindungen (VOCs) durch Messungen zu erbringen. Die Messungen werden erst auf Gebäudeebene durchgeführt. Allerdings fordern immer mehr Architekten bauteilbezogene Emissionsnachweise.
Der visuelle Komfort wird durch eine große Glasfläche positiv beeinflusst. So kann genügend Tageslicht in den Innenraum gelangen. Die Berechnung der Tageslichtmenge erfolgt gebäudeseitig. Bei Gläsern ist lediglich der Farbwiedergabeindex (Ra-Wert) mit anzugeben.
Und welchen Einfluss hat der Nutzer?
Die Einflussnahmemöglichkeit durch Nutzer beschreibt, inwieweit ein Nutzer in der Lage ist, Tageslicht, Sonnenschutz usw. individuell zu regeln. Bei Mehrscheibenisoliergläsern ist dies lediglich der Fall, wenn ein Sonnenschutz integriert ist oder wenn die Scheibe einen schaltbaren g-Wert erlaubt. In beiden Fällen sollte neben einer Automatisierung auch eine manuelle Einflussnahme möglich sein.
Gestalterische und städtebauliche Qualität betrifft das Gesamtgebäude. Allerdings können Gläser einen wesentlichen Einfluss auf ein Gebäude haben, welches ausgezeichnet und so höher bewertet wird. Als Beispiel sei hier die Elbphilharmonie mit ihrer einzigartigen Fassade zu nennen. Die gestalterischen Maßnahmen sind jedoch individuell und werden erst auf Gebäudeebene festgelegt. Gleiches gilt für das Kriterium Kunst am Bau.
Technische Qualität der eingesetzten Glaser
Gemäß DIN 4109 wird der Schallschutz bewertet. Gläser, die Schallschutzanforderungen erfüllen, müssen entsprechende Nachweise liefern (Rw-Wert).
Um den Wärme- und Tauwasserschutz nachzuweisen, müssen bei MIG der mittlere Wärmedurchgangskoeffizient (U-Wert), der längenbezogene Durchgangskoeffizient g sowie der Gesamtenergiedurchlassgrad der Verglasung nach EN 410 dokumentiert sein.
Zur Reinigungs- und Instandhaltungsfreundlichkeit können spezielle Oberflächenbeschichtungen auf Gläser beitragen. Dies wird positiv bewertet.
Einfacher Rückbau, Trennung und Verwertung der Bauteile wirken sich positiv aus. Idealerweise sind Gläser sehr einfach sortenrein zu trennen. Das heißt, dass der Randverbund leicht von der Scheibe gelöst werden kann. Außerdem sollte auf Rücknahmesysteme bzw. -initiativen verwiesen werden. Idealerweise ist hierfür ein Konzept vorhanden.
Gläser können einen wesentlichen Einfluss auf die Widerstandsfähigkeit gegen Naturgefahren im Gebäude haben. Gefordert werden die Widerstandsfähigkeit gegenüber Wind, Starkregen, Hagel, Schnee und Hochwasser. Prüfzertifikate und -zeugnisse genügen in der Regel als Nachweis.
Prozessqualität
Auch für die Komplexität und Optimierung der Planung kann sich ein Konzept zur Rückbau- und Recyclingfreundlichkeit positiv auswirken, wie im Kriterium Rückbau, Trennung und Verwertung beschrieben.
Das Kriterium fordert, dass Nachhaltigkeitskriterien in den Ausschreibungen mit aufgenommen werden. Ein Dokument, in dem die eigenen Nachhaltigkeitskriterien aufgeführt sind, kann sich also positiv auswirken. Die geforderte Qualitätssicherung kann bspw. durch das Q-Managementsystem ISO 9001 und die Umweltthematik durch ISO 14001 nachgewiesen werden.
Sofern Gläser direkt auf die Baustelle geliefert werden, sollten nach Möglichkeit Abfälle vermieden werden. Idealerweise werden Mehrwegracks verwendet. Dies wird im Kriterium Baustelle / Bauprozess gefordert.
Zum Nachweis der Qualitätssicherung der Bauausführung sind Sicherheitsdatenblätter mit Informationen zu Inhaltsstoffen, mögliche Gesundheitseinwirkungen und Hinweise zur Entsorgung eines Produktes etc. einzureichen. Weiterhin sind Produktbeschreibungen oder Produkt- bzw. Umweltdeklarationen ein guter Nachweis. Auch Messergebnisse, etwa zum Schallschutz, Emissionen, sind nachzuweisen.
Das Fazit des Autors
Eine positive Gebäudebewertung hängt von vielen Faktoren, wie verwendete Bauteile und Baumaterialien, Standort, Gebäudetyp usw. ab. Mehrscheibenisoliergläser haben einen wesentlichen Einfluss auf Gebäude und müssen daher Nachweise zur Gebäudezertifizierung bereitstellen. Hersteller und Verarbeiter sollten sich dementsprechend frühzeitig mit den Anforderungen des Nachhaltigen Bauens auseinandersetzen. —
Der Autor
Patrick Wortner ist Geschäftsführer der PeoplePlanetProfit UG und Lehrbeauftragter an den Hochschulen München und Rosenheim. Der studierte Umwelt- und Verfahrenstechniker war zuvor stellvertretender Leiter der Zertifizierungsstelle des ift Rosenheim. Dabei hat er verschiedene Audits nach DIN EN ISO 9001, DIN EN ISO 14001 und DIN EN ISO 50001 im In- und Ausland durchgeführt.