„Das brauchen wir bei uns nicht!“ So oder ähnlich habe ich es oft gehört, wenn Automatisierung in Glas verarbeitenden Betrieben zum Thema wurde. Und häufig auch: „Das ist was für die Automobilindustrie, für uns viel zu teuer.“
Automatisierung in der Isolier- und Sicherheitsglas herstellenden Branche fristet noch immer ein Schattendasein. Wenn ich den Stand in vielen Fertigungen mit denen anderer Industriezweige vergleiche, scheint es, dass wir fünf bis zehn Jahre zurückhängen. Haben es die Flachglasverarbeiter nicht nötig, einen Blick auf Roboter und andere Automatisierungtechniken zu werfen? Aus meiner Sicht schon – und das vor allem aus zwei Gründen: Zum einen zwingen uns die Anforderungen der Kunden dazu. So verlangt etwa die Fensterbranche eine reproduzierbar hohe Qualität. Dabei müssen zudem Genauigkeit und Sortierung gewährleistet sein. Dies ist mit einem Mitarbeiter, der Arbeitsschritte manuell oder halb manuell ausführen muss, dauerhaft einfach nicht in reproduzierbarer Qualität möglich.
Zum anderen werden wir in Zukunft immer weniger Mitarbeiter für unsere Fertigungen finden. Das betrifft die Glas- und Fensterbranche gleichermaßen. Der demografische Wandel führt schon mittelfristig zu einem geringeren Angebot an Arbeitskräften, um die alle Industriezweige buhlen werden. Bereits heute ist es in Teilen Deutschlands schwierig, Mitarbeiter zu finden. Zudem steigen die Anforderungen an das Personal. Ein Mitarbeiter an der Rahmensetzstation einer modernen Isolierglaslinie muss bis zu vier Bildschirme im Blick haben und entsprechend reagieren können.
Weiter müssen wir etwas tun, um nicht Marktanteile an ausländische Mitbewerber zu verlieren, die beschließen, bei geringeren Lohnkosten ihre Produktionen zu optimieren.
Was ist zu tun? Wir müssen uns den Möglichkeiten der Automatisierung offen zuwenden und prüfen, in welchen Bereichen deren Einsatz sinnvoll ist. Wir müssen die Scheu verlieren und uns mit diesem Thema offensiv auseinandersetzen.
Natürlich bin ich mir darüber im Klaren, dass in vielen Betrieben unserer Branche die Losgröße in der Fertigung im niedrigen einstelligen Bereich liegt und Automatisierung nicht so einfach ist wie z.B. in der Solarindustrie. Jedoch gibt es bereits gute Ansätze, z.B. beim Handling und Transport sowie in der Verkettung einzelner Anlagenteile. Diese gilt es zu nutzen und weiterzuentwickeln.
Auf der letzten glasstec waren erstmalig Roboter in nennenswerter Anzahl zu sehen. Die Maschinenhersteller, die schon Schritte in diese Richtung unternehmen, sollen den eingeschlagenen Weg konsequent und zugleich noch anwender- und kostenorientierter vorantreiben. Weiter so!
Das Ziel muss sein, mit weniger Mitarbeitern (da wir sie nicht mehr bekommen werden) gleichviele oder mehr Gläser zu produzieren als heute. Dafür müssen die Mitarbeiter von morgen höher qualifiziert sein, an technisch besser ausgestatteten, automatisierten und attraktiveren Arbeitsplätzen arbeiten. Das Vorantreiben der Automatisierungsprozesse ist ein notwendiger Schritt in Richtung besserer Qualität für unsere Kunden und einer positiven Zukunft für unsere Branche.
Dr. Thomas Schmidt
Glasingenieur Dr. Schmidt war über einen Zeitraum von fast 20 Jahren in leitenden Positionen in den Bereichen Technik und Produktion sowie als Geschäftsführer in verschiedenen Glasunternehmen aktiv. Heute ist er als selbstständiger Berater tätig.
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