Vor Kurzem habe ich eine tolle Dachkonstruktion komplett aus Glas gesehen. Das war bei der neuen Rabo Bank in Utrecht. Leider sieht man statisch tragende Glaskonstruktionen sehr selten. Eine Ausnahme machen hier scheinbar nur die „Apple Stores“ in aller Welt, wo vielfach Gläser mit statischer Tragwirkung eingesetzt werden. So kann man leicht das Gefühl bekommen, nur Apple beauftrage solche Ganzglaskonstruktionen für seine Fassaden, Treppen und Dachkonstruktionen.
In einer Artikelreihe einer niederländischen Fachzeitschrift wurde bereits in den 1990er Jahren über konstruktives Bauen mit Glas gesprochen. Diese Idee kam aus Amerika und damals sah man dort mit (geklebten) strukturellen Verglasungen einen riesigen Markt aufkommen. Der Gedanke war, mit solchen Gläsern bei der Altbausanierung komplette Gebäude zu umhüllen, um ihnen ein neues „Image“ zu verleihen.
Damals verhinderte in Deutschland die Bauregelliste (BRL), dass geklebte Fassaden gebaut wurden, da eine zusätzliche (meist hässliche) mechanische Sicherung die Scheiben vor dem Herunterfallen schützen sollte.
In Frankfurt/Main hinter der Alten Oper gab es so eine hässliche Struktural Glazing Fassade mit großen Metallrosetten. Das Gebäude war keine fünf Stockwerke hoch, während in den USA bereits ganze Wolkenkratzer ohne solche Sicherungen gebaut wurden. Die hiesigen Beamten hatten kein Vertrauen in die Verklebung, obwohl die meisten wahrscheinlich schon öfter in 10 km Höhe in geklebten Flugzeugen mitgeflogen sind.
Warum also diese Bedenken? Glas ist so stark wie Beton, es hat etwa die gleiche Dichte und kann ohne Bedenken konstruktiv eingesetzt werden.
In den 1980er wurde nachgewiesen, dass Glaslaminate (VSG-Scheiben) genauso belastbar sind wie monolithisches Glas. Gerade durch die Verwendung von sogenannten Hurrikan Folien (VSG-Zwischenlagen) lassen sich damit sichere, statisch tragende Gläser fertigen.
Wenn es in Bezug auf solche Produkte oder Techniken um die entsprechende Anpassung geht, hängt die BRL leider immer hinterher. Und so versanden viele Anfragen bzw. deren Zulassungen bei den Baubehörden der Gemeinden oder der Bundesländer.
Mit Glas lässt sich genauso gut statisch tragend bauen wie mit herkömmliche Konstruktionsmaterialen. So lassen sich mit VSG-Scheiben heute problemlos Ganzglasfassaden mit 11 bis 12 m hohe Finnen (zur Aufnahme der Windlasten) fertigen, ebenso geklebte Glasträger oder gläserne Böden und Brücken. Diese transparente Bauweise kommt dem Architekturtrend nach mehr Offenheit entgegen. Denn heute wollen Unternehmen und Geschäfte offen ihren Kunden gegenübertreten und sich nicht hinter geschlossenen Fassaden verstecken. Apple lebt dies mit seinen Läden vor, denn das Unternehmen weiß, dass Menschen auf Transparenz positiv reagieren.
Die Gesetzgeber scheinen dies nicht zu erkennen und werfen dem Einsatz von Ganzglaskonstruktionen eher Steine in den Weg, indem sie sich hinter zementierten Regeln verschanzen, wie der Bauregelliste in Deutschland oder der entsprechenden niederländischen Bouwbesluit.
Leider hat die Glaslobby noch nicht den Weg nach Berlin gefunden, um dort eine Lanze für den Konstruktiven Glasbau zu brechen. Warum eigentlich nicht?
Paul Bastianen
Als gelernter Bauingenieur ist Bastianen seit 1981 in der Glasbranche tätig. Der Niederländer füllt im Wechsel mit anderen Branchenkennern diese Gastkolumne. Sein Fokus zielt auf die europäische und internationale Glasbranche.
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