_ „Obwohl Glas ein vergleichsweise alter Baustoff ist, ist im Bereich der Forschung noch lange kein Ende in Sicht“, so Prof. Dr.-Ing. Jens Schneider vom Institut für Statik und Konstruktion (ISM+D) der TU Darmstadt gegenüber der GLASWELT.
Schneider leitet das Institut gemeinsam mit Prof. Dr.-Ing. Ulrich Knaack. Momentan sind am Institut 25 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Forschung und Lehre aktiv.
Einer dieser Trends liegt dabei aus Sicht von Jens Schneider in der Herstellung und Anwendung von immer dünneren Gläsern. Zur Erinnerung: Von Dünnglas spricht man bei Dicken unter 2 mm.
Diese Vorteile bietet Dünnglas
„Dünnglas weist im Vergleich zu konventionellem Glas eine geringere Steifigkeit auf, kann dadurch aber kalt gebogen und verformt werden – eine Eigenschaft, die man vom transparenten Baustoff Glas bisher nicht gekannt hat“, erläutert Schneider.
Um solche Gläser gegenüber Bruch widerstandsfähiger zu machen, muss das Material vorgespannt werden. Dadurch entsteht eine extrem dünne und gleichzeitig extrem feste Glasfolie, wie man sie von Mobiltelefonen kennt.
Auch in der Automobilindustrie werden heute vielfach Dünngläser eingesetzt, etwa für Windschutzscheiben, die aus laminierten Dünngläsern gefertigt werden. So wird am Institut u. a. auch Bruchverhalten von Windschutzscheiben untersucht, die als VSG aus Float aufgebaut sind (1,8 + 0,76 + 1,8).
Neben der Härte des Glases und dem hohen Widerstand gegen Zerkratzen besteht ein weiterer Vorteil in der Beständigkeit gegen Umwelteinflüsse: Im Gegensatz zu Kunststoffen vergilbt oder altert Dünnglas nicht.
„Genau hier setzt die Forschung am GCC an“, so Schneider. „Unser Team sucht unter anderem nach neuen Anwendungen, die sich mit Dünnglas realisieren lassen. Wir arbeiten daran, dass solche Glaswerkstoffe und die zugehörigen Produkte funktionssicher im Bauwesen etabliert werden können. Im Fall von Dünnglas könnten das z. B. in sich bewegliche Fenster sein.“
Neben den Einsatzmöglichkeiten von Dünnglas im Bauwesen arbeiten wir auch an neuen Testmethoden, da Dünngläser aufgrund ihres mechanischen Verhaltens mit den herkömmlichen Verfahren nicht praktikabel getestet werden können.
Mann, sind die dick, Mann!
Auch sehr große und dicke Gläser sind Gegenstand der Forschung am GCC. Maxi-Gläser können als Fassadenelemente Höhen bis zu 20 m annehmen. Was für Konsequenzen das in der Bearbeitung hat, ist ebenfalls im Fokus der Wissenschaftler.
Ein weiterer Entwicklungsweg der Glasforschung sind Dickgläser, etwa als gläserne „Backsteine“. Ziel von sowohl dicken als auch großformatigen Gläsern ist es, eine möglichst transparente oder transluzente und „kristalline“ Gebäudehülle zu schaffen.
Ein ganz besonderes und sehr gelungenes Beispiel für den Einsatz von großformatigen und teilweise beweglichen Glas-Fassadenelementen mit je 16 m Höhe ist die Apple-Firmenzentrale in Cupertino (USA). Dieses Jahrhundertbauwerk haben Jens Schneider und sein Team in der Qualitätssicherung begleitet. „Der Einsatz von immer größeren Glasformaten wird lediglich durch die heutigen Produktions- und Transportmöglichkeiten eingeschränkt“, so Schneider. Es bedürfe daher Strategien zur Bemessung und Sicherung von großen Fassadenelementen sowie Reparaturmöglichkeiten im Schadensfall. Auch dies sind Bereiche, in denen das GCC aktiv ist.
So lassen sich auch gläserne Bauteile drucken
Am GCC laufen zudem Forschungsaktivitäten, um die Anschlusspunkte der Glaselemente mit dem Bauwerk und untereinander zu untersuchen, etwa mit neuartigen und transparenten Silikonklebstoffen.
Weiter werden am Institut auch Versuche zur stoffschlüssigen Verbindung von Glasbauteilen durchgeführt: Hierbei spricht man von „Additiver Fertigung“, kurz AF genannt, oder umgangssprachlich 3D-Druck von Glas.
Durch den schichtweisen Materialauftrag beim Druckvorgang mittels 3D-Drucker entsteht auf Basis eines digitalen Modells ein additiv gefertigtes gläsernes Bauteil.
Dieses kann entweder als Verbindungskomponente dienen oder eine Glasfläche selbst stabilisieren. Durch diese in der Entwicklung befindliche Technologie lassen sich komplexe Geometrien und individuelle Konstruktionen bei einer 100-prozentigen Recyclebarkeit realisieren. Der Einsatz solcher Glaselemente ist etwa im Fassadenbau möglich, um Befestigungspunkte zu optimieren und Material einzusparen, indem das zu verbindende Element direkt auf die Scheibe „gedruckt“ wird. Denkbar ist auch, bei Vakuumglas die Spacer direkt aufzudrucken.
Um diese neue Technologie, mit der sich auch Metalle drucken lassen, sowie weitere Aspekte des Glasbaus wissenschaftlich zu untersuchen, wurde 2018 an der TU Darmstadt das Glass Competence Center (GCC) gegründet, das sich aus dem ISM+D und der Materialprüfanstalt der TU Darmstadt zusammensetzt. Aktuell entsteht hierfür ein neues, eigenes Gebäude auf dem Campus der Universität Darmstadt (auf der Lichtwiese), das in 2020 fertiggestellt und bezogen werden soll.
Weiteres spannendes Projekt am Institut
Eine weitere aktuelle Arbeit am Lehrstuhl ist das Kantenfestigkeitsprojekt, das im Rahmen des Förderprogramms WIPANO vom BMWi gefördert wird. Ziel ist es, eine definierte Kantenfestigkeit von Float festlegen zu können.
Dazu erläutert Steffen Müller-Braun, der mit dem Projekt betraut ist: „Aktuell gilt laut DIN 18008 eine Abminderung der Flächenfestigkeit bei Float um 20 % (auf 80 %). Diese ist berechtigt, da es durch Bearbeitungen wie Schneiden, Säumen, Schleifen u. a. zu Schädigungen der Kante kommt, die die Festigkeit mindern. Wir gehen davon aus, dass eine erhöhte Kantenfestigkeit erreicht werden kann. Hier stellen wir den Zuschnitt auf den Prüfstand, um neue Wege zu finden, um die Schädigung am Glas infolge des Zuschnitts zu minimieren.“ Die Ergebnisse der Tests zeigten, so Steffen Müller-Braun, wie sich die Schneidprozessparameter anpassen lassen, um konstant eine höhere Kantenfestigkeit zu erzielen. Ziel ist es weiter, die Forschungsergebnisse in normative Regelwerke einfließen zu lassen, mit dem praktischen Nutzen, dass der Verarbeiter dann seine Kantenklasse wählen kann. Diese sind dann wiederum definiert, sodass man die Auswahl zwischen verschiedenen Kantenqualitäten ermöglicht. —
Glass Competence Center
Ein Team von 25 Mitarbeiter/innen am Institut für Statik und Konstruktion (ISM+D) bündelt nun gemeinsam mit der MPA Darmstadt seine Forschungskompetenz im Glass Competence Center (GCC). Hier wird an grundlagenorientierter sowie angewandter Forschung (für Industrie), Zulassungsverfahren mit dem Werkstoff Glas und seinen Anwendungen im Bauwesen und in der Architektur u. a. gearbeitet. Die umfangreiche experimentelle Ausstattung ermöglicht die Bearbeitung nahezu aller Fragestellungen aus den unterschiedlichen Kompetenzfeldern rund um Glas als Konstruktionswerkstoff und in Zusammenwirken mit den benachbarten Gebieten.
Aktuell entsteht hierfür ein Neubau, in dem alle Prozesse bei der Glasverarbeitung bzw. -veredlung abgebildet werden können. Teil des Gebäudes ist ein fassadenintegrierter Prüfstand für Glas sowie Fassadenelemente in der Gebäudehülle.