GLASWELT: Sehr geehrter Herr Prof. Niemöller, Sie haben in Ihren Ausführungen in der Dezemberausgabe der GLASWELT das BauPG §4 (4) inhaltlich aufgearbeitet. Ist es wirklich so: Jeder kann künftig auf Maß für ein bestimmtes Sanierungsobjekt Fenster produzieren, hat damit einen Einzelfall vorliegen und muss nicht CE-kennzeichnen?
Prof. Niemöller: Der in §4 Abs. 1 BauPG verankerte Grundsatz lautet: Ein Bauprodukt darf nur in den Verkehr gebracht und frei gehandelt werden, wenn es brauchbar ist und aufgrund nachgewiesener Konformität mit der CE-Kennzeichnung gekennzeichnet ist. Diese Regelung ist nach §4 Abs. 4 BauPG nicht anzuwenden, wenn „die Verwendung eines Produkts nur für den Einzelfall vorgesehen“ ist. Die Tatsache, dass es sich nach der Systematik des Gesetzes bei der Kennzeichnungspflicht um die Regel, bei der Privilegierung der Bauprodukte, die für die Verwendung im Einzelfall hergestellt werden, um die Ausnahme handelt, verdeutlicht nachdrücklich, dass der Anwendungsbereich des §4 Abs. 4 BauPG eng zu fassen ist. Ob ein ‚Einzelfall‘ im Sinne dieser Vorschrift gegeben ist, ist nach objektiven Kriterien und nicht etwa nach der subjektiven Einschätzung des Herstellers zu beurteilen. Bei der Verwendung des Einzelprodukts für ein bestimmtes Sanierungsobjekt kommt in Betracht, dass die Verwendung nur für den Einzelfall vorgesehen ist. Zwingend ist dies nicht und muss im konkreten Fall jeweils geprüft werden. Ausnahmen hat derjenige darzulegen, der sich auf das Vorliegen der Ausnahme berufen will.
GLASWELT: Wie verhält sich das mit dem Leitpapier M und der dort eindeutigen allgemeinen Zuordnung von Fenstern zur Variantenfertigung?
Prof. Niemöller: Die – bislang 13 – erarbeiteten Leitpapiere, wie das Leitpapier M, dienen dem Verständnis, wie die Bauproduktenrichtlinie interpretiert werden kann und geben Hinweise zur praktischen Anwendung. Sie richten sich in erster Linie an die Verfasser der technischen Spezifikationen, den ständigen Ausschuss für Bauwesen und die Gruppe der notifizierten Stellen. Eine rechts-verbindliche Wirkung kommt den Leitpapieren nicht zu; maßgeblich für die in Deutschland ansässigen Hersteller sind die hier gültigen Gesetze, mithin das BauPG. Es ist daher die vorstehend erläuterte Vorschrift des §4 Abs. 4 BauPG bei einer Verwendung „für den Einzelfall“ maßgeblich. Zum anderen ist §8 Abs. 5 BauPG zu beachten, der vorschreibt, welches Konformitätsnachweisverfahren bei einem Bauproduktanzuwenden ist, „das nicht in Serie hergestellt wird.“
Glaswelt: Welche baurechtlichen Anforderungen muss ein Fensterbauer erfüllen, wenn nicht CE-gekennzeichnet wird? Gilt dann die Ü-Kennzeichnungspflicht?
Prof. Niemöller: Ein Fenster muss allen bauordnungsrechtlichen Anforderungen entsprechen, die an Bauprodukte gestellt werden. Diese Anforderungen ergeben sich vorrangig aus den Landesbauordnungen. In der beispielgebenden Musterbauordnung wird unter §17 bestimmt, wann Bauprodukte „für die Errichtung, Änderung und Instandhaltung baulicher Anlagen“ verwendet werden dürfen. Soweit Bauprodukte nicht das CE-Zeichen tragen, dürfen Bauprodukte in der Regel nur verwendet werden, wenn sie das Ü-Zeichen tragen.
GLASWELT: Sie haben im Beitrag ein niedrigeres AoC (Konformitätslevel) angesprochen. Sind die Prüfungen im AoC 4 leichter?
Prof. Niemöller: Das Nachweisverfahren für ein Bauprodukt, das nicht in Serie hergestellt wird, setzt eine Erstprüfung des Bauprodukts durch den Hersteller und eine werkseigene Produktionskontrolle voraus. Die Bestätigung der Konformität erfolgt sodann durch eine Konformitätserklärung des Herstellers; dies entspricht dem Konformitätslevel 4. Der Unterschied zu dem Konformitätslevel 3, der regelmäßig bei Fenstern Anwendung findet, ist, dass die Erstprüfung hier durch den Hersteller selbst erfolgt und die Hinzuziehung einer Prüfstelle nicht erforderlich ist. Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass die Prüfungen als solche inhaltlich „leichter“ zu bestehen sind.
GLASWELT: Vielen Dank für Ihre ausführlichen und informativen Antworten.
Zur Person
Prof. Niemöller ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und Mitinhaber der Kanzlei SMNG. Er berät auch den Verband der Fenster- und Fassadenhersteller in Frankfurt und seine Mitglieder.