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Der schmale Grat zwischen anspruchsvoller Messtechnik und Scharlatanerie

Thermografie ist nichts fürs Fotoalbum

Unter Thermografie versteht man ein Verfahren zur berührungslosen Messung der Oberflächentemperatur(-verteilung) an Körpern, hier Bauteilen. Jeder Körper mit einer Temperatur über dem absoluten Nullpunkt von -273,15 °C sendet eine Eigenstrahlung aus. Die Ursache für dieses Phänomen ist die in jedem Körper vorhandene innere mechanische Molekülbewegung. Die Intensität dieser Bewegung hängt von der Temperatur des Körpers ab. Diese Wärmestrahlung ist für das menschliche Auge nicht sichtbar und ist dem infraroten Wellenlängenbereich zuzuordnen. Im Bereich der Bauthermografie bewegen wir uns meist im Wellenlängenbereich von 3-5 µm bzw. 8-14 µm. Das Prinzip der IR-Thermografie liegt nun darin, den für das menschliche Auge nicht sichtbaren Infrarotbereich „sichtbar“ zu machen. Dies passiert in der IR-Kamera und wird als eine sogenannte „Falschfarbendarstellung“ bzw. als Thermogramm ausgegeben. In der Regel wird eine Farbzuordnung gewählt, bei der helle Farben (z. B gelb, rot) höheren Temperaturen und dunklere Farben (z. B. grün, blau) geringeren Oberflächentemperaturen zugeordnet werden.

Was wir in so einem Thermogramm sehen, ist das Ergebnis komplexer Berechnungen, welche allerdings – dank moderner Technik – durch das Kamerasystem vollautomatisch vorgenommen werden. Bei der thermografischen Messung wird im IR-Detektor die einfallende Strahlungsenergie in eine Temperaturangabe umgerechnet. Die auf den Detektor einfallende Strahlung setzt sich aus drei Komponenten zusammen: Erstens aus der Eigenstrahlung des zu messenden Bauteils (gewünscht), zweitens aus der reflektierten Strahlung des Bauteils (nicht gewünscht) und aus der atmosphärischen Transmission (nicht gewünscht). Diese drei Parameter sind durch den Nutzer detailliert zu ermitteln, da unter Umständen sonst eine „Mischtemperatur“ aus dem Bauteil und der Umgebung im Thermogramm zu sehen ist. Eine weitere wichtige Voraussetzung für eine qualitativ hochwertige Thermografie ist die Einhaltung bestimmter Messvoraussetzungen.

Ein Bauteil kann nur aussagekräftig thermografiert ­ werden, wenn durch dieses ein möglichst kons­tanter Wärmestrom über einen möglichst langen Zeitraum fließt. Durch verschiedene inhomogene Strukturen wie z. B. Wärmebrücken erzeugt dieser Wärmestrom dann unterschiedliche Oberflächentemperaturen, welche dann von der Thermografiekamera erfasst, berechnet und in einem Thermogramm abgebildet werden. Moderne Thermografiekameras können Temperaturdifferenzen von wenigen hundertstel Grad auflösen, welche vor allem in der Bauphysik unbedingt erforderlich sind. Da sich aber wie vorab schon erwähnt die auf den Detektor in der Kamera auftreffende Strahlung aus mehreren Komponenten zusammensetzt, ist eine ausführliche Analyse der Aufnahmesituation unbedingt vor der Messung erforderlich. Für eine aussagekräftige Thermografie wird eine Temperaturdifferenz von 15 K benötigt, um einschlägige Fehl- oder Schwachstellen detailgetreu auflösen zu können. Weiterhin sind vor allem bei Außenthermografien Umwelteinflüsse für die Qualität ausschlaggebend.

Der Messzeitpunkt muss so gewählt werden, dass eine vorhergehende mögliche Sonneneinstrahlung keinen Einfluss mehr auf das Messergebnis hat. Außerdem dürfen kein starker Wind, Regen oder Nebel während der Messung vorhanden sein.

Ein weiterer Faktor ist der Thermograf. Um eine qualitativ hochwertige Thermografie durchführen zu können, ist ein fundiertes Fachwissen nötig. Zum einen muss ein Thermograf bautechnische, baukonstruktive und vor allem auch bauphysikalische Gegebenheiten einschätzen können. Hier ist eine bautechnische Ausbildung oder ein bautechnisches Studium unerlässlich. Zum zweiten müssen Kenntnisse in der Physik, vor allem Optik vorhanden sein, um die Messbedingungen, die Kameratechnik und auch den Hintergrund des erzeugten Thermogramms richtig deuten zu können. Ansonsten ist ein Thermogramm nicht mehr als ein buntes Bild. Eine letzte Voraussetzung für eine Thermografie ist ein geeignetes Kamerasystem. Hierbei sollte es sich um ein hochleistungsfähiges Thermografiesys­tem handeln, welches eine Mindestauflösung von 320 x 240 Bildpunkten bei einer thermischen Auflösung von < 0,1 K vorweisen kann. Eine geeignete Software zur Auswertung und Erstellung eines thermografischen Gutachtens wird grundsätzlich vorausgesetzt.

Möglichkeiten und Grenzen der Thermografie

Grundsätzlich ist es sinnvoll, die Gebäudehülle von innen und von außen zu thermografieren. Durch die Konstruktion des Gebäudes, die Umwelteinflüsse und vor allem von der Messaufgabe hängt entscheidend die Wahl der Messposition ab.

In Zeitschriften und Werbungen sieht man meist Aufnahmen von der Außengebäudehülle. Dies ­ ist plakativ und kann dem Verbraucher leicht die Thematik vermitteln. Die Realität sieht allerdings anders aus. Von außen sind ein verputztes Fachwerk oder eine Heizkörpernische deutlich zu sehen. Um allerdings energetische oder gar bauphysikalische Aussagen treffen zu können, reicht eine Außenthermografie bei weitem nicht aus. Da Umgebungseinflüsse oft nicht detailliert bestimmt werden können, ergeben sich schon durch eine kleine Abweichung bei der Einstellung der Messparameter riesige Unterschiede beim Messergebnis. Auch können z. B. vertäfelte Außenfassaden, hinterlüftete Dächer und vor allem auch Fenster grundsätzlich sehr schwer oder gar nicht beurteilt werden. Richtig wäre hier eine Innenthermografie bzw. eine Kombination aus Außen- und Innenthermografie. Bei der Innenthermografie können Umgebungseinflüsse genau bestimmt werden, da hier ein quasi-stationärer Zustand deutlich leichter zu simulieren ist. Eine Wärmebrückenanalyse erfolgt ebenfalls immer von innen. Wärmebrücken stellen mittlerweile die am häufigsten auftretenden wärmetechnischen Baumängel bzw. Bauschäden dar. Sie sind nicht nur für Energieverluste verantwortlich, sondern auch für Tauwasserbildung und folglich auch für Schimmelpilzbefall.

Die Thermografie von Fenstern

Der Effekt des Kondensatausfalls kann bei Luftundichtigkeiten insbesondere in Fensteranschlussfugen an das umliegende Bauteil oder im Bereich des Flügelanschlags beobachtet werden. Da das Bauteil Fenster nach wie vor eines der „schwächsten Glieder“ in der Außenfassade darstellt – zumindest aus energetischer Sicht – wird es immer mehr beansprucht, da die restliche, in der Regel opake Gebäudehülle sehr gute Dämm- und vor allem auch Dichtheitswerte erreicht und sich somit der in der Raumluft befindliche Wasserdampf dem physikalischem Grundgesetz folgend immer von warm nach kalt bzw. von hohem Dampfdruck zu niedrigerem Dampfdruck bewegt. Die Undichtheiten im Flügelanschlagbereich können bei neueren Fenstersystemen relativ leicht in den Griff bekommen werden. Allerdings zeigt die Praxis, dass sich auch heute noch zahlreiche Fens­terbauunternehmen weigern die Anschlussfuge zwischen Fenstern und angrenzenden Bauteilen gemäß den anerkannten Regeln der Bautechnik auszuführen. Dies ist vor allem bei einer Innenthermografie auffällig. Erfahrungsgemäß sind ca. zwei Drittel der Thermografieaufnahmen in einem Einfamilienhaus aus dem Bereich der Fens­ter, und hier vor allem aus dem Bereich des Anschlusses. Bei der Thermografie von Fenstern, speziell bei der Überprüfung der Luftdichtheit, ist in der Regel nur eine detaillierte Aussage bei einem definierten Differenzdruck (z. B. Blower Door) zu treffen. In seltenen Fällen reicht die Zuhilfenahme der Dunstabzugshaube aus. Auch die wärmetechnische Bewertung von Dämmeigenschaften im Fensterrahmen- bzw. Glasbereich ist durch die Thermografie möglich. Hier sind in jedem Fall Innenthermografien zu empfehlen. Außerdem ist eine sehr genaue Analyse des Emissionsgrades erforderlich. Der Glaube, dass Glas stärker reflektiert als die meisten am Bau verwendeten Materialien, ist rein auf die Oberflächenstruktur des Materials zurückzuführen. Glas emittiert bzw. reflektiert auf Grund der sehr „glatten“ Oberfläche eine „gerichtete“ Strahlung, andere Bauteile wie z. B. Putze aufgrund der „Krater-Struktur“ eher eine diffuse Strahlung.

Thermografieaktionen führen Endverbraucher in die Irre

Das präparieren der zu untersuchenden Gebäudehülle, die Einhaltung der Messvorschriften, die eigentliche Messung, die Nachbereitung der Messergebnisse und letztendlich die Erstellung des thermografischen Gutachtens erfordern einen erheblichen Zeitaufwand. Es handelt es sich um ein komplexes Messverfahren, welches eine aufwändige Messtechnik und eine fundierte Ausbildung des Anwenders voraussetzt.

Durch sogenannte „Thermografieaktionen“, vor allem durch Geldinstitute und Energieversorgungsunternehmen, werden leider immer mehr Verbraucher in die Irre geführt. Meist durch ein wirtschaftliches Eigeninteresse werden in solchen „Billigthermografien“ entweder erforderliche Sanierungsmaßnahmen verschwiegen, oder nicht erforderliche Maßnahmen empfohlen. Deshalb sollte von solchen Aktionen Abstand genommen werden. Betroffene Verbraucher und Handwerker können sich bei Autor über die Qualität der Thermografieaufnahmen informieren.—

Der Autor

Benjamin Standecker ist zertifizierter Sachverständiger für Schäden an Gebäuden (DIN EN 17024) sowie für Infrarotthermografie im Bauwesen (EN 473/2-Bau).

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