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Interview mit den Forschern und Entwicklern der TU Delft

Neues aus der Fassadenschmiede

Glaswelt – Der Fassadenlehrstuhl der TU Delft ist für seine Forschungsprojekte bekannt, ebenso für das Fassadensymposium „The future envelope“ (die Fassade der Zukunft). Wo seht Ihr aktuelle Trends in der Gebäudehülle?

Tillman Klein – Wir bearbeiten eine recht breite Palette an Themen. Im Fokus stehen unter anderem die Fassadensanierung von Wohnbauten, Modulfassaden mit integrierten Haustechnikkomponenten, additive Manufacturing für Fassaden – besser bekannt als das 3D-Drucken, sowie neuartige Sonnenschutz-Layer auf Polymerbasis. Weiter untersuchen wir einen spannenden, wirtschaftlichen Ansatz für die Finazierung, und zwar das Konzept des Fassaden-Leasings. Zusammen mit Marcel und weiteren Kollegen bauen wir gerade noch ein komplett CNC-gefertigtes Haus mit einer ganz neuartigen Fassadenbekleidung.

Glaswelt – Das ist wirklich eine breite Themenpalette. Ihr beiden habt zudem noch ein eigenes Planungsbüro, wie bringt Ihr das zusammen?

Marcel Bilow – Das passt gut, denn die Praxistauglichkeit vieler Forschungsansätze prüfen wir direkt im Büro, wo es oft sehr zügig und natürlich sehr zielstrebig zugeht, und hier zeigt sich, ob ein neues Konzept wirklich funktioniert. An der Uni untersuchen und prüfen wir hingegen generelle Strategien, auch können wir dort sehr gut an Details feilen. Gerade neue Ansätze und Konzepte kann man in einem Forschungsvorhaben besser untersuchen. Durch die Kombination aus Uni und Büro gehen wir generell anders an Forschungsprojekte heran, wodurch sich die Erkenntnisse dieser Arbeiten dann einfacher in der Praxis anwenden lassen. Was ja auch ein Anliegen unserer Forschungtätigkeiten ist.

Glaswelt – Zurück zur Forschung: Woran arbeitet Ihr in Sachen Fassadensanierung?

Klein – Momentan untersucht unsere Kollegin Thaleia Konstantinou, welche Konzepte für die Fassadensanierung von Wohngebäuden und vor allem bei Mehrparteienwohnhäusern am besten geeignet sind. Wenn man sich die verschiedenen Wohnformen anschaut wird schnell klar, dass es Häuser gibt, bei denen man eine Fassade und deren Fenster so sanieren kann, dass die Nutzer trotz der Bauarbeiten in ihren Wohnungen bleiben können. Bei solchen Sanierungen ist besondere Aufklärungsarbeit notwendig. Nur wenn alle Beteiligten, insbesondere auch die Bewohner, mit einbezogen und detailliert informiert werden, kann so eine Sanierung abschnittsweise im bewohnten Betrieb erfolgen. Wichtig ist dabei in erster Instanz, dass unsere Branche mehr und mehr Systeme entwickelt, die den schnellen Tausch der Fenster ermöglichen und zwar ohne großes Staubaufkommen. Hier sind die Systemgeber gefragt.

Bilow – Weiter gibt es neue Konzepte deren Ziel es ist, durch Sanierung die Wohnqualität im Hinblick auf eine bessere Vermietbarkeit zu steigern. Hier kommen neue Loggien, Balkone oder großflächig verglaste Bereiche zum Tragen. Bei solchen Konzepten stehen vorgefertigte Großelemente im Fokus, in Kombination mit einem optimierten Bauablauf und ausgeklügelter Logistik. Bei solchen Projekten kommen dann Baukonstruktion, Bauphysik und Logistik ganz schnell zusammen. Spannend ist hierbei, das Haus oder die Fassade auf einen besseren Standard zu heben und dies wirtschaftlich so umzusetzen, dass sich die bestehende Mieterschaft das Wohnen auch nach der Sanierung noch leisten kann.

Glaswelt – Integration ist ein weiteres Thema. Welche Zusatzfunktionen sollen künftig in der Fassade noch integriert werden?

Bilow – Im Prinzip müssen wir immer noch darauf hinweisen, dass auch der Sonnenschutz integriert werden muss. Das ist leider noch immer nicht der Standard.

Im Bucky Lab (unserer studentischen Projektwerkstatt) testen wir aktuell neue Ansätze und zeigen auf, dass der Sonnenschutz ein spannendes Thema in der Gebaudehülle ist, das der Fassadenbauer immer auf dem Schirm haben muss.

Unsere Erfahrung: Wenn der Sonnenschutz nicht vorab gut geplant wird, kommt am Ende das Billigste ans Haus und damit sind Architekten und Bauherrschaft selten zufrieden.

Daneben sind natürlich Lösungen zielführend, die noch weitere Funktionen der Gebäudeausstattung in die Fassade bringen.

Glaswelt – Welche wären das?

Bilow – Ich denke, künftig werden wir mehr und mehr fasssadenintegrierte PV-Elemente sowie Warmwasserkollektoren und dezentrale Lüftungselemente in der Fassade unterbringen müssen. Das bedeutet eine Reihe von Vorteilen: Gerade für die Instandhaltung sowie für eine Sanierung ist dabei eine gute Zugänglichkeit von außen wünschenswert. Hierzu haben wir mehrere Konzepte begleitet, die Installationsschächte in der Fassaden vorsehen, sprich an deren Außenseite, die jederzeit einfach geöffnet werden können, wenn ein Update ansteht.

Das wird wiederum das Erscheinungsbild der Fassaden beeinflussen und sollte beim gestalterischen Entwurf berücksichtigt werden. Vielleicht ziehen sich in Zukunft wärmetransportierende Adern über unsere Gebaudehüllen, die es ermöglichen, überschüssige Wärme im Sommer zu ernten und diese dann im Keller für den Winter einzuspeichern.

Glaswelt – Ihr hattet eingangs über Fassaden-Leasing gesprochen, was steckt da dahinter?

Klein – Ja, das ist in der Tat ein ganz neues und sehr weitgreifendes Thema: Der Gebäudenutzer könnte eine Fassade als Serviceleistung auf Zeit erwerben, ähnlich dem Leasing eines Autos. Er erhält dann eine voll funktionierende Gebäudehülle mit klar definierten Leistungen für eine Laufzeit von z. B. 20 Jahren. Die Fassade und deren Material bleibt im Besitz des Produzenten/Fassadenbauers und am Ende holt dieser die Bauelemente wieder ab und macht etwas Neues aus den Bauelementen bzw. deren Rohstoffen.

Glaswelt – Was bedeutet das für den Fassadenbauer im Detail?

Klein – Dieser Ansatz beeinflusst die Art der Konstruktion: So werden bereits im Vorfeld der Fertigung eine Reihe von Überlegungen wichtig, wie sich die Fassade und ihre Bauteile wieder einfach Demontieren und Recyclen lassen.

Das Leasing wäre eine Revolution für den Fassadenbauer. Denn nun müsste er sich damit auseinandersetzen, wie er die Leistungsfähigkeit seines (Fassaden-)Produkts auf eine definierte Zeit sicherstellen kann. Momentan sprechen wir über das Fassaden-Leasing mit Banken und den Branchenverbänden, das Thema hat eine Tragweite, die das gesamte Fassadengeschäft verändern kann.

Bilow – Besonders spannend finde ich die notwendigen Anpassungen bei den aktuellen Produktionstechnologien. Diese sind bisher primär auf eine schnelle Montage und auf Langlebigkeit ausgelegt. Wenn nun auch noch die einfache Reparaturmöglichkeit und eine leichte Trennbarkeit der Materialien am Ende der Fassaden-Laufzeit beachtet werden müssen, wird es richtig spannend. In diesem Fall ist dann eine geschraubte Konstruktion besser als eine genietete oder geklebte. Dazu müsste in der Branche und in den Fassadenbüros ein weitfassendes Umdenken stattfinden. Es müssten Fragen geklärte werden, welche Elemente und Bauteile von aktuellen Konstruktionsbauweisen bleiben können und was flexibel austauschbar sein muss.

Wenn nun Stimmen sagen, dass leasen im Fassadenbereich nicht geht, muss ich auf die Automobilindustrie als Vorbild verweisen, auch konstruktiv. Dort wurden von den verschiedenen Anbietern eine Vielzahl an Komponentenstandards geschaffen, so passt heute z. B. das Gros der Autobatterien in die meisten Fahrzeuge, ebenso sind Pumpen, Filter und weitere Komponenten leicht austauschbar. So etwas könnte man auch bei Fassadenkonstruktionen umsetzen.

Glaswelt – Häuser aus dem 3D-Drucker sind ja in aller Munde. Am 3D-Druck arbeitest Du Marcel gemeinsam mit Prof. Ulrich Knaack. Könnt Ihr kurz zusammenfassen, wohin diese Entwicklung im Fassadenbereich geht?

Klein – Dieses Thema kann man gar nicht oft genug ansprechen, bei den vielen Halbwahrheiten, die durch die Branche schwirren. Holger Strauss, aus unserem Team in Delft, hat bei uns im Rahmen seiner Doktorarbeit einen Fassadenknoten aus Aluminium gedruckt (siehe dazu GLASWELT 10/2015, Seite 46). Ziel war es, einen Knotenpunkt mit komplexen Geometrien für ein Pfosten-Riegel-Fassadensystem zu erstellen. Die geraden Elemente wurden aus Standard Profilen gesägt, die komplexen Knoten haben wir mithilfe eines Laser-Sinter-Prozesses aus Aluminium „gedruckt“.

Das war bereits vor vier Jahren möglich. Damals aber noch so teuer, dass wir lieber keine Preise nennen. Heute ist so ein 3D-Druck immer noch teuer, aber sollte bald marktfähig sein. Die Vorteile liegen auf der Hand, wenn man durch Drucken ohne großen Aufwand 1000 unterschiedliche Teile für ein Projekt produzieren kann.

Bilow – (lacht) Ganz klar ist aber auch, dass wir in der nahen Zukunft keine Häuser vollständig drucken werden, denn das macht überhaupt keinen Sinn, da es zu teuer und zu aufwendig ist. Die 3D-Druck-Techniken werden jedoch helfen, Hybridlösungen zu entwickeln, die in der Lage sind bessere Gebäude zu erstellen.

Ich denke da in erster Linie an Funktionsintegrierung, etwa Deckleisten, die als Wärmetauscher fungieren. Zudem kann so auch eine Freiform-Architektur einfacher umgesetzt werden. In solchen Fällen lassen sich die komplexen Knotenpunkte im Verhältnis relativ kostengünstig drucken, während die geraden Profile dazwischen aus herkömmlicher Produktionsweise kommen.

Glaswelt – Das heißt, wenn man 3D-Elemente drucken will, geht das nicht mehr ohne eine digitale 3D-Zeichnung bzw. Datei?

Bilow – Ja das ist dann essentiell, da kommt man nicht mehr mit Bleistift und Skizze weiter. Wir versuchen das hier in der Ausbildung auch zu vermitteln. Unsere Kollegen in der CAD-Abteilung legen großen Wert auf die Nutzung von digitalen Modellen, die dann nicht nur die Visualisierung, sondern auch die Produktion dieser Teile ermöglichen. BIM ist hier das Stichwort.

Klein – BIM wird dann auch ganz besonders wichtig, wenn wir das mit dem Fassaden-Leasing ernst nehmen. Denn dann muss man die Daten aus Produktion und Entwurf für einen langen Zeitraum archivieren und auch in der Lage sein, wichtige Informationen verfügbar zu halten.

Glaswelt –  Welches spannende Projekt habt Ihr aktuell in der Pipeline?

Klein – Wir arbeiten gerade am PolyArch-Projekt gemeinsam mit Polymerexperten von der Uni Eindhoven. Die sind unter anderem verantwortlich für die LCD-Technologie von Phillips.

In einem Projekt versuchen wir einen Sonnenschutz mit deren Polymer-Technologien zu entwickeln, der durch Schaltung bei Glas in der Lage ist, je nach Anforderung die Durchlässigkeit des Lichtspektrums zu regeln. Wenn das klappt und eine großmaßstäbliche Produktion wirtschaftlich erscheint, können wir innerhalb eines Layers (einer Schicht) im Glas genau bestimmen, welche Teile des Lichtes nach innen gelangen dürfen. Das wäre revolutionär und könnte dem Wunsch nach Transparenz neue Wege öffnen. Wir sind schon einige Zeit mit den Kollegen aus Eindhoven tätig und die Möglichkeiten erweitern sich ständig.

Glaswelt – Und woran forscht Ihr aktuell mit Euren Studenten?

Bilow – Neben interessanten Projekten, die wir im Bucky Lab machen, z. B. die Kombination von Raumakustik und Sonnenschutz, sind wir gerade in der letzten Phase ein Prototyp-Gebäude auf dem Campus der TU Delft zu erstellen. Unser Kollegen Pieter Stoutjesdijk hat das CNC-Fräsen von Holzwerstoffplatten soweit vorangetrieben, dass wir nun in der Lage sind, ein komplettes Gebäude digital zu konstruieren, das vollständig digital produziert werden kann. Aus vormontierten Gebäudeblöcken wird das Ganze mit geringem Aufwand auf der Baustelle moniert. Einen ersten Prototyp hatten wir bereits auf der Fassadenmesse in Rotterdam vorgestellt. Bisher schaut alles gut aus, wir rechnen damit, den Pavillon in diesem Sommer aufzubauen.

Glaswelt – Das klingt spannend, da werden wir nachfassen, wenn das Haus fertig ist. Wo kann man mehr über Eure Aktivitäten erfahren?

Bilow – Wir sind online sehr aktiv auf www.facadeworld.com und auf www.buckylab.nl. Dort erhält man einen guten Einblick über unsere Aktivitäten und Forschungen, zudem schreiben wir Bücher zu vielen Fassadenthemen.

Klein – Weiter veranstalten wir unser Fassadensymposium in Delft und geben das International Journal of Facade Design and Engineering heraus, das unseren wissenschaftlichen Output und den von Kollegen dokumentiert.

Die Fragen stellte Matthias Rehberger.

Die Forscher

Dr.-Ing. Marcel Bilow studierte Architektur an der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur nach einer abgeschlossenen Maurerlehre. Er promovierte an der TU Delft zum Thema Internationale Fassaden und ist Mitglied der Facade Research Group und leitet dort das Prototypenlabor Bucky Lab.

Dr.-Ing. Tillmann Klein studierte Architektur an der RWTH in Aachen und an der Kunstakademie Düsseldorf. Seit 2005 leitet er die Facade Research Group an der Technischen Universität Delft. Gegenwärtig ist er zudem Gastprofessor an der TU München am Lehrstuhl für Entwerfen und Gebäudehülle.

www.buckylab.nl | www.facadeworld.com

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