_ Zuerst ein vergleichendes Beispiel: Während man früher Drucker kaufte, werden diese heute in vielen Firmen geleast und per Kopie abgerechnet. Der Drucker wird durch die Leasingfirma gewartet und bei Bedarf ausgewechselt. Gebrauchtgeräte gehen direkt zum Serviceanbieter zurück.
Zur Gebäudehülle: Die Hypothese ist, dass Fassaden nach Modellen von Produkt Service Systemen (PSS), d. h. über ihr Lebenszyklusmanagement betrachtet werden, und ob sie geplant, konstruiert und installiert werden können, wie Drucker. Bei PSS geht es darum, den Produktwert zu erhöhen, indem man die Funktionalität als Service hinzufügt.
Mit anderen Worten: Gebäudebesitzer würden ihre Fassaden nicht mehr kaufen, sondern diese von Fassaden Service Anbietern mieten. Dessen Aufgabe wäre es, die Funktion und das Aussehen der Fassade über deren Lebensdauer zu bewahren und die Finanzlast der Gebäudehülle über ihren gesamten Lebenszyklus zu verteilen. Dabei stellen sich eine Menge Fragen. Zum Beispiel: Sind Gebäudeeigner überhaupt bereit sich auf solche Modelle einzulassen?
Wir glauben ja. In vielen Fällen ist der Besitz einer Immobilie nicht unbedingt eine Art der Geldanlage, sondern eine günstigere Alternative gegenüber dem Mieten. Viele Besitzer empfinden den Unterhalt ihrer Fassade als aufwendig und vergeben Reinigung und Instandhaltung. So werden die Gesamtaufwendungen für eine Fassade zwar höher sein, das Risiko jedoch bleibt im definierten Rahmen.
Die komplette Fassade mieten?
Betreut nun eine Leasingfirma die Fassade, bleibt die Funktion der Gebäudehülle garantiert erhalten. Bei der energetischen Sanierung können PSS-Modelle große Vorteile bieten. Die Einsparungen bei den Energiekosten lassen sich direkt mit den monatlichen Finanzierungsraten ausbalancieren, was für viele Immobilienbesitzer Anreiz zur Investition sein kann. [1] [2]
Eine PSS-Fassade wäre eine komplett andere Idee der Gebäudehülle als bisher. Es wäre ein Bruch mit der klassischen Idee, dass Bauen gleichzeitig Besitz bedeutet. Vor allem im privaten Sektor wäre dies bisher kaum denkbar.
PSS bringen dabei zwei Aspekte direkt in Verbindung miteinander: Kosten und Werte. Vereinfacht gesagt wird im klassischen Modell zum Bau einer Gebäudehülle ein Preisbudget veranschlagt. Auf die Ausschreibung folgen die Angebote. Diese werden verglichen und oft erhält der günstigste Anbieter/Fassadenbauer den Auftrag. In der Regel endet das Verhältnis mit der Fertigstellung des Gebäudes. Kommt dann ein Anruf des Auftraggebers heißt das meistens, es gibt ein Problem. Bei der Idee der PSS-Fassade ginge die Betreuung der Hülle für den Fassadenbauer hingegen weiter, bis zum Ende des Leasingvertrags.
Was macht den Wert einer Fassade aus?
PSS-Modelle bieten die Möglichkeit, die Diskussion auf den Wert einer Fassade zu lenken. Diese sind vielfältig an die Funktionen geknüpft und hängen direkt mit den Bedürfnissen der Kunden zusammen. Neben dem Trennen von Innen- und Außenklima, bedeuten auch architektonische Eigenschaften besondere Werte für den Nutzer, für die der Bauherr auch bereit ist zu bezahlen.
Weitere Werte sind die Robustheit, d. h. ob eine Konstruktion wenig Unterhalt benötigt und sie langfristig ihre Funktionen erfüllt. Service und Betreuung können Werte eines PSS Modells sein, genauso wie ein geringes Investitionsrisiko und feste Kosten. Auch Nachhaltigkeit oder Recyclingfähigkeit sind verkaufbar.
Eine neue Betrachtungsweise
Früher konzentrierte sich die Fassadenkonstruktion auf die Erfüllung genereller Anforderungen wie U-Werte und Sicherheit. In Zukunft wird der Wert der Gebäudehülle in den Vordergrund rücken. Wenn ein Bauherr nur zehn Jahre vorausschauen kann, wird sein Werteprofil völlig anders sein, als wenn er langfristig planen kann.
Es gibt keine Fassaden für zehn Jahre und wenn wir ehrlich sind, haben wir in den vergangenen Jahren nicht viel Gedanken darauf verschwendet, ob Fassaden-Konstruktionen wirklich nachhaltig sind. Die durchschnittliche geschätzte Lebensdauer liegt bei 30 Jahren. Viele Fassaden versagen frühzeitig, da die Anschlussfolien nicht die Lebensdauer von Aluminiumprofilen haben.
Auch was nach der Nutzungsdauer kommt, war bisher nie Teil eines Planungs- oder Konstruktionskonzepts: Die Fassade wird irgendwann wieder abgerissen, ihr Restwert ist gleich Null.
Kurzum: Über die Diskussion der Werte bieten PSS-Modelle grundsätzlich für die Fassadenbauer eine Möglichkeit, um neue Marktideen in die traditionelle Welt des Fassadenbaus zu bringen.
In der PV-Branche sind PSS-Modelle bereits Realität. Dabei ist zu bedenken, dass die Leistung von PV-Modulen relativ gut einzuschätzen ist, ebenso wie die Investierungskosten, der Unterhalt und die Lebensdauer, also das Verhältnis von Kosten und Werten.
Und das bringt uns zu einem interessanten Punkt: Fassaden haben einen direkten Einfluss auf Komfort und Energieverbrauch von Gebäuden. Genau hier liegt ein großes Wertpotenzial. Aber der Energieverbrauch hängt eben auch von anderen Aspekten ab, wie z. B. dem gebäudetechnischen Konzept und dem Nutzerverhalten.
Der große Unterschied zu anderen Industrien besteht jedoch darin, dass die Gebäudehülle eben nur ein Teil eines des Gebäudes ist und in einem fragmentierten Umfeld geplant und gebaut wird mit vielen Schnittstellen und Abhängigkeiten.
Projektergebnisse im Überblick
PSS-Modelle im Fassadensegment bieten die Möglichkeit, den gesamten Lebenszyklus in die Hände derer zu legen, die eigentlich für das Produkt Fassade geradestehen, die Fassadenbauer. Die Hersteller können viel mehr und integral von der Planung über Bau und Unterhaltung bis zum Lebenszyklusende von Fassaden beteiligt sein. Das bedeutet zwar mehr Verantwortung, aber auch eine engere Bindung zu Kunden und langfristige Auftragskonzepte.
Weiter haben PSS-Modelle einen großen Einfluss auf die Werte-Betrachtung von Fassaden und deren Nutzern/Besitzern. Hierbei bieten der Komfort und der Energieverbrauch von Gebäuden große Potenziale, d. h. größere Energieeinsparung bedeutet ein größeres Gewinnpotenzial.
Der Restwert einer Fassade wird großen Einfluss auf die Anfangsinvestition und Leasingkosten haben. Hier sehen wir neue Möglichkeiten für innovative Fassadenkonstruktionen, die abhängig von ihrem Funktionskonzept viel mehr auf Wiederverwendung oder Recycling von Komponenten abzielen werden. Wir sprechen also von Fassadenkonstruktionen nach Maß.
Allgemein können Leasing-Modelle (= mögliche Form von PPS-Modellen) zu geringeren Anfangsinvestitionen und weniger Risiko für die Kunden/Bauherren führen und deshalb auch die Schwelle für die Investition in neue Fassaden-Projekte niedriger setzen, was mehr Aufträge und neue Arbeitsplätze schaffen kann. —
Aktuelle Forschungsprojekte
[1] Aktuell untersucht die Facade Research Group an der TU Delft bei einem staatlich geförderten Projekt, die Möglichkeiten zur Sanierung von Geschosswohnungsbauten. Projektpartner sind die Hoogeschool Rotterdam, die Fakultät für Industrial Design in Delft, der Generalunternehmer BAM & ENECO. Untersucht wird u.a., in wieweit Fassade und Gebäudetechnik integriert werden können und wie bei der Gestaltung der Nutzer zu einem optimalen Energieverbrauch stimuliert werden kann.
[2] In einem weiteren Projekt namens „Leasing Facades”, gefördert durch EU Horizon 2020 und die Niederländische Branchenvereingung der Metall-Fassadenbauer VMRG, beleuchten die Autoren des Beitrags die Kunden-/Nutzerseite und die wirtschaftliche Seite.
So können Fassadenbauer profitieren
- Produkt Service bedeutet Fassaden- bzw. Kundenbetreuung über den gesamten Leasing-Zyklus der Gebäudehülle. Der Fassadenbau wird vom Hersteller dann nur ein Teil des Geschäfts werden. Neue Aufgaben sind das Monitoring, der Unterhalt und das Managen von Prozessen zu Wiederverwertung und Recycling.
- Gerade der Restwert einer Fassade wird großen Einfluss auf die Anfangsinvestition und Leasingkosten haben. Hier gibt es neue Möglichkeiten für innovative Fassadenkonstruktionen, die abhängig von ihrem Funktionskonzept viel mehr auf Wiederverwendung und Recycling von Komponenten abzielen werden. Man kann also von Fassadenkonstruktionen nach Maß sprechen.
- Technisch gesehen sind Fassadenbauer gut geeignet die Rolle der Leasingfirma zu übernehmen. Die große Frage ist aber, wie die Projekte finanziert werden. Wahrscheinlich sind wenige Firmen in der Lage, die langfristig angelegten Ausganginvestitionen zu leisten.