Mund: Mit der Flüchtlingskrise tritt jetzt ein neues Thema mit in den Vordergrund: Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) forderte kürzlich, dass die Anforderungen der Energieeinsparverordnung (EnEV) bis 2020 auf das Niveau von 2009 abgesenkt werden sollen. Die Begründung: Die Wohnsituation in vielen Ballungsgebieten ist ohnehin schon prekär, jetzt gelte es möglichst rasch und unbürokratisch Wohnraum zu schaffen. In meinen Augen ist das eher der Versuch ein Schlupfloch zu platzieren, um die Energieeffizienzpolitik auszuhebeln. Oder siehst du das anders?
Rehberger: Die energetischen Standards wieder auf das Niveau von 2009 zu drücken halte ich für den falschen Weg. Dennoch muss jetzt schnell und viel saniert werden, um den dringend benötigten Wohnraum bereitstellen zu können. Deshalb könnte ich mir vorstellen, die anstehende Verschärfung der EnEV zu überdenken, da diese in meinen Augen überproportional hohe Baukosten verursachen wird.
mund: Da die anstehende Verschärfung der EnEV nur den Neubau betrifft, ändert sich doch nichts am Sanierungsmarkt. Zusätzlich hat die Regierung (FAQ des BMUB) schon klar gemacht, dass die Anforderungen der EnEV weder der kurzfristigen Schaffung provisorischer Unterkünfte noch der Umrüstung von Bestandsgebäuden in Unterkünfte für Flüchtlinge und Asylbegehrende entgegenstehen. Auch der Neubau provisorischer Gebäude ist von der EnEV nicht betroffen. Wozu also die Warnung, dass die rasche Schaffung von Wohnraum behindert werde?
rehberger: Ich denke, hier will die Wohnbauwirtschaft einfach Geld sparen, denn es geht ja nicht nur um Notunterkünfte und Provisorien. Nach einem Gespräch, zu dem Bundesbauministerin Dr. Barbara Hendricks im September Vertreter der Bau- und Wohnungswirtschaft eingeladen hatte, rechnen die Teilnehmer der Runde damit, dass jährlich mindestens 350 000 bis 400 000 zusätzliche Wohneinheiten gebraucht werden. Dieser zusätzliche Wohnraumbedarf erfordere eine Investitionsoffensive in den Neubau von Wohnungen, insbesondere im unteren und mittleren Preissegment. Hier will die Wohnbaulobby in meinen Augen die Kosten reduzieren. Die Vertreter der Wohnungswirtschaft halten zudem deutliche Investitionsanreize für den Wohnungsneubau für notwendig, so die Auskunft des Bauministeriums.
Mund: Um den Vergleich mit der Autobranche zu bemühen: Auch Fahrzeuge im unteren und mittleren Preissegment können mehr als nur Personen befördern und überzeugen mit vielen Extras. In diesem Zusammenhang fällt mir ein Statement von Robert Schild von Saint-Gobain mit Blick auf unsere Baustandards ein: „Gebaut und auch gekauft wird in Deutschland nur, was gerade noch nicht gesetzwidrig ist.“ Also was gerade die Mindestanforderung der EnEV erfüllt. Und der GdW und Co kämpfen sogar noch gegen diese Mindestanforderungen an. Wann findet endlich am Bau ein Umdenken statt, dass man bei Häusern und Wohnungen den Komfort, die Behaglichkeit und die Sicherheit in den Vordergrund stellt und nicht immer nur die Energieeffizienz verbunden mit der Frage: „Rechnet sich das auch?“ In diesem Sinne: Viel Spaß mit der aktuellen Ausgabe, in der auch viele Beiträge das moderne und komfortable Bauen thematisieren.