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Im Interview mit Martin Langen, B+L Marktdaten

“Der Handwerker wird zur Schlüsselfigur in der Sanierung“

Glaswelt – Wie wird sich das Sanierungsvolumen gegenüber den Vorjahren entwickeln?

Martin Langen – Ausgehend von unseren Prognosen, die auf weit über 600 Interviews mit Handwerk, Industrie, Architekten bzw. Planer und Handel beruhen, erwarten wir erst ab dem Jahr 2019/20 in den dann folgenden drei Jahren einen weiteren Anstieg des Sanierungsvolumens. Primär ist dies darauf zurückzuführen, dass insbesondere im Jahr 2017 viele Sanierungsprojekte aufgeschoben wurden, die mit dem mittelfristig von uns erwarteten Rückgang in der Neubauaktivität nachgeholt werden. Dann werden sich auch Handwerkerkapazitäten wieder leicht in Richtung Sanierung bewegen.

Glaswelt – Wenn man über die Sanierung spricht, gilt es auch über den Neubau zu sprechen. Sind Handwerker momentan überwiegend mit Neubauten beschäftigt, so dass sie keine Zeit für Sanierungsprojekte haben? Ist das so einfach?

Langen – Absolut, unsere Befragungen von Verarbeitern bestätigen diese ganz klar. Neubauprojekte sind für viele Verarbeiter aktuell nicht nur lukrativer, sondern häufig auch leichter planbar und damit hinsichtlich Zeitaufwand und Kosten besser kalkulierbar, da weniger unerwartete „Überraschungen“ wie Beschädigungen in der Substanz oder Verzögerungen auftreten, die eine Sanierung komplexer machen. Die Nachfrage nach Handwerkerleistungen ist derart hoch, dass sich viele Verarbeiter die Projekte „aussuchen“ können. Nachdem die B+L bereits im Sommer 2017 eine Studie zu den Verarbeiterkapazitäten veröffentlicht hat, haben in den letzten Wochen zunehmend auch Medien wie „Die Zeit“ oder „Die Tagesschau“ über das Thema berichtet.

Glaswelt – Geht Ihrer Meinung nach die „Party“ am Neubaumarkt ihrem Ende zu oder gehen Sie davon aus, dass die Belebung des Wohnbaumarktes noch über viele Jahre anhält?

Langen – Nach dem Genehmigungsboom insbesondere im Jahr 2016 wird sich die Neubaukonjunktur mittelfristig abkühlen. Bei den Einfamilienhäusern sehen wir bereits einen Rückgang in den Fertigstellungen, während wir im Mehrfamilienhausbau nach den aktuellen B+L Prognosen erst im Jahr 2020 einen Rückgang erwarten. Allerdings werden sich hier deutliche Unterschiede zwischen Ballungsräumen und ländlichen Regionen zeigen. Dies begründet sich in erster Linie in der stark zurückgehenden Zuwanderung. Aus Polen und anderen Beitrittsländern zogen jährlich über 200 000 Menschen nach Deutschland. Eine sehr gute wirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern kehrt diesen Trend langsam um. Auch wenn es heute kaum vorstellbar ist, könnten schon bald in einigen Metropolen im Segment über 4000 EUR/m² zu viele Wohnungen auf den Markt kommen und zu einer Umkehr des Neubaumarktes führen.

Glaswelt – Sie haben in Ihrer Sanierungsstudie herausgefunden, dass sich das Durchschnittsalter der Sanierer deutlich erhöht hat – was hat das für Auswirkungen auf die nachgefragten Produkteigenschaften, die eingesetzten Budgets sowie die Ausführung der Maßnahmen?

Langen – Insbesondere bei der Ausführung der Maßnahmen zeigen sich deutliche Veränderungen: Zunehmend mehr Maßnahmen werden von Profis durchgeführt. In der aktuellen Befragung aus 2018 hat sich dieser Trend noch einmal stark beschleunigt. Die Altersgruppe der über 60-Jährigen wächst extrem stark als Renovierer. Da diese Zielgruppe weniger Eigenleistungen erbringen, sondern eine Komplettleistung aus Produkten und Einbau fordern, steigt der Profianteil rasant an. Gleichzeitig setzen die älteren Sanierer mehr auf Beratung durch den Handwerker als jüngere Sanierer. Damit wird der Handwerker zur Schlüsselfigur in der Sanierung, was wir auch an der Untersuchung der Verarbeiterkapazitäten gesehen haben.

Glaswelt – Der Bauelementehandel verfügt meist über eine enorme Sortimentsbreite – von der Haustür über das Fenster bis zu Markise. Die Kunst dabei ist, mit der Beratungskompetenz für die individuelle Kundenanfrage zu überzeugen. Was überzeugt den Kunden mehr: das reichhaltige Sortiment oder die Kompetenz für eine Produktgruppe? Was ist das Gebot der Stunde? Variantenvielfalt oder Spezialisierung?

Langen – Das geht aus der Sanierungsstudie nicht so klar hervor. Aber von uns durchgeführte Kundenzufriedenheitsbefragungen zeigen, solange die Betriebe für die breite Produktpalette eine kompetente Beratung, aktuelle Ausstellung und den perfekten Einbau anbieten können, ist die Vielfalt kein Problem. Gerade bei der Beratung ist der Kunde durch den hohen Vorinformationsgrad immer anspruchsvoller.

Glaswelt – Mit welchen Mehrwerten kann man beim Sanierungskunden punkten? Was sind wichtige Aspekte, um den Kunden nicht nur zufrieden, sondern glücklich zu machen?

Langen – In Zeiten von Amazon steigen die Anforderungen an Reaktionsgeschwindigkeit, Lieferzeiten etc. Auf der anderen Seite sind die meisten Renovierer derzeit froh, ein faires Angebot und Lieferzeiten unter acht Wochen angeboten zu bekommen. Ihre Frage ist vor dem Hintergrund der allgegenwärtigen Bewertungen besonders wichtig. Als goldene Regel gilt hier im besten Start-up Vokabular: Promise low, deliver high! Also keine Lieferzeiten versprechen, die man nicht halten kann.

Glaswelt – Welche Produkteigenschaften spielen eine große Rolle?

Langen – Die deutschen Sanierer setzen primär sehr bodenständig auf Funktionalität und Haltbarkeit der Produkte. Dieser Fokus hat sich seit der ersten Erhebung im Jahr 2010 nicht verändert. Dabei gibt es allerdings auch Produkte wie Türen oder Böden, bei denen Optik und Design ebenfalls eine besondere Rolle spielt. Dass die meisten Sanierer Maßnahmen durchführen, wenn die Produkte oder Gebäudeteile beschädigt oder verschlissen sind, passt mit den Präferenzen bei den Produkteigenschaften zusammen.

Glaswelt – Verfügt der durchschnittliche Sanierungskunde über mehr oder weniger Budget als noch vor ein paar Jahren?

Langen – Pauschal lässt sich weder von gestiegenen noch von gesunkenen Budgets sprechen. Bezogen auf das Gesamtbudget der durchgeführten Maßnahmen, geben die Sanierer im Alter von 36 bis 55 aktuell etwas mehr aus als in den Jahren 2016 und 2014. Gleichzeitig sind die Budgets in den anderen Altersgruppen leicht zurückgegangen. Insgesamt haben wir in der Studie 15 Maßnahmen untersucht. Bei acht davon haben die Sanierer mehr Geld ausgegeben als in den Vorjahren, bei den restlichen sieben Maßnahmen sind die Budgets gesunken. In diese Kalkulation gehen neben den Materialien natürlich auch die Kosten für die Montage ein, die aufgrund von Kapazitätsengpässen und dem steigenden Profianteil in fast allen Bereichen gestiegen sind.

Glaswelt – Der Sanierungswunsch betrifft oft mehrere Gewerke – macht es Sinn, sich ein Handwerker-Netzwerk zu schaffen, um dem Kunden eine Gesamtleistung anbieten zu können?

Langen – Es gibt Sanierungsmaßnahmen, die sehr häufig gemeinsam durchgeführt werden und quasi als „Sanierungspakete“ umgesetzt werden. Dies ist natürlich auch nachvollziehbar: Wenn ich den Aufwand und Schmutz habe und die Handwerker im Haus habe, werden Maßnahmen kombiniert. Die Ergebnisse zeigen, dass „aus einer Hand-Lösungen“ sehr zukunftsweisend sind. Das gilt im Übrigen auch im Neubaugeschäft mit Bauträgern. Diese möchten die Schnittstellen reduzieren und gerne verschiedene Leistungen aus einer Hand einkaufen.

Glaswelt – Die Sanierung ist mit einem hohen Beratungsaufwand verbunden – braucht es für diesen Bereich überhaupt eine E-Commerce-Strategie?

Langen – Trotz der Bedeutung einer professionellen Beratung spielt das Internet für viele Sanierer eine wichtige Rolle. Selbst wenn die Produkte im lokalen Handel gekauft werden oder vom Verarbeiter mitgebracht werden, nutzen die Sanierer Hersteller- und Händlerwebseiten zur Produktinformation oder informieren sich über den Einbau. In anderen komplexen Produktebereichen wie Küchen, Heizungen oder Solaranlagen entscheiden sich immer mehr Kunden für den Kauf im Internet – mit und ohne Montage. Die Kosten für eine topmoderne Website liegen heute unter dem Preis für ein ordentliches Fahrrad. Jeder Baulementehändler kann also an dieser Stelle einen starken Eindruck machen.

Glaswelt – Wo informieren sich die Sanierer? Dient der Nachbar oder Google als erste Anlaufstelle?

Langen – Die Beratung unterscheidet sich je nach durchgeführter Maßnahme. Bei Maßnahmen, die einen hohen Anteil an Eigenleistung aufweisen, spielt das soziale Umfeld – also die Freunde, Verwandte und Nachbarn – eine größere Rolle als bei anderen Maßnahmen. Betrachtet man hingegen Maßnahmen bei denen eher auf die professionelle Verarbeitung gesetzt wird, ist der Handwerker der wichtigste Berater. Unabhängig von der Maßnahme ist das Internet die wichtigste Informationsquelle, wenn es um die Produkt(vor)auswahl geht. Dabei werden (fast in gleichem Maße) Hersteller- als auch Händlerwebseiten genutzt.

Glaswelt – Herr Langen, vielen Dank für Ihre Informationen. —

Die Fragen stellte Daniel Mund.

Das steht drin in der neuen Sanierungsstudie

Im Herbst 2017 haben in Deutschland wieder knapp 400 000 Abiturienten ein Studium begonnen. Sie fragen sich, was das mit der Sanierungssituation zu tun hat? Eine ganze Menge, wie Studienleiter Marcel Dresse von B+L Marktdaten erläutert: Der Auszug der Kinder zählt nämlich zu den wesentlichen Gründen für eine Renovierung des Hauses oder der Wohnung. Aktuell ziehen vielfach die Kinder der Babyboomer-Generation (1960 bis 1970 geboren) aus und ein großer Teil dieser Bevölkerungsgruppe denkt über Renovierungen nach und verfügt auch über die nötigen Mittel dazu.

Trotzdem stagniert die Sanierung bzw. geht in einigen Produktbereichen wie z. B. bei Bedachungen zurück. Im Handel und in der Zulieferindustrie werden Kapazitätsengpässe im Handwerk als Ursache diskutiert, aber genaue Zahlen dazu liest man selten.

Im Februar 2018 hat die B+L Marktdaten GmbH die Sanierungsstudie 2018 veröffentlicht, um die skizzierten Entwicklungen zu analysieren.

Die Studie untersucht verschiedene Aspekte des Sanierungsmarkts in Deutschland. Dabei lassen sich in der aktuellen B+L Sanierungsstudie drei wesentliche Trends charakterisieren, die den Sanierungsmarkt zukünftig prägen werden.

„Während der Neubau in den Jahren 2016 und 2017 deutlich gewachsen ist, geht die Sanierung in vielen Bereichen zurück“, erläutert der Studienleiter Marcel Dresse die Ausgangssituation und zeigt auch die Konsequenzen dieser Entwicklung auf: „Sanierungsprojekte werden verschoben oder ausgesetzt mit negativen Folgen für den Absatz der relevanten Produkte.“

Die B+L Sanierungsstudie liefert durch die Abfrage verschiedener Indikatoren, wie des durchschnittlichen Budgets pro Maßnahme und der Häufigkeit der aufgeschobenen Maßnahmen, relevante Informationen um das Ausmaß der aufgeschobenen Sanierung zu bestimmen. Demnach wurden im Jahr 2017 im Wohnbau Sanierungsprojekte in einer Größenordnung von 1,8 % des gesamten Sanierungsmarktes aufgeschoben. Weitere 0,7 % wurden im Bereich des Nichtwohnbaus aufgeschoben.

Überdurchschnittlich häufig wurden dabei der Ausbau des Dachbodens, Fassadenarbeiten, der Austausch von Heizungen oder Heizkörpern sowie kleinere Dachreparaturen aufgeschoben. Die B+L Sanierungsstudie weist das Volumen (Materialkosten und Lohnkosten) der aufgeschobenen Sanierung separat für 17 Produktgruppen bzw. Maßnahmen aus.

Seit der ersten B+L Sanierungsstudie hat sich das Durchschnittsalter der Sanierer deutlich erhöht. Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass sich die Sanierungsaktivität in den Altersgruppen verändert hat. Jüngere Altersgruppen sanieren aktuell deutlich seltener, während insbesondere die Altersgruppen 56 bis 65 Jahre sowie über 65 Jahren zunehmend mehr Sanierungsmaßnahmen durchführen. Diese Entwicklung bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die durchgeführten Maßnahmen (die B+L Sanierungsstudien zeigen, dass es Maßnahmen gibt, die typischerweise von bestimmten Altersgruppen durchgeführt werden), die nachgefragten Produkteigenschaften, die eingesetzten Budgets sowie die Ausführung der Maßnahmen.

Der Profianteil ist bei fast allen untersuchten Maßnahmen gestiegen, da sowohl jüngere als auch ältere Sanierer zunehmend auf Komplettleistungen setzen und weniger Eigenleistung einbringen.

Da insbesondere die Babyboomer oft über hohe Einkommen verfügen, wollen diese die Renovierung von Handwerkern ausführen lassen. Die heutigen Sanierer setzen gleichzeitig wieder mehr auf persönliche Beratung und wenden sich dabei bevorzugt an den Handwerker. Dieser hat damit nicht nur Einfluss auf die Maßnahme an sich, sondern auch auf die eingesetzten Produkte.

Das Handwerk wird damit in den verschiedenen Phasen der Sanierung wichtiger, gleichzeitig sind viele Verarbeiterbetriebe stark ausgelastet und haben im vergangenen Jahr Aufträge abgelehnt. Die Betriebe sind vielfach mit dem Neubau von Mehrfamilienhäusern in den Großstädten beschäftigt und machen bei Renovierungen häufig überteuerte Abwehrangebote. Kooperation und Unterstützung sind hier die Schlagwörter für Handel und Industrie, um einen Nutzen aus der veränderten Situation zu ziehen.

www.bl2020.com