Glaswelt – Herr Krauthausen, Sie haben einen der schnellsten Rollstühle in Deutschland. Ist das nicht ein getuntes Modell und wie schnell läuft der denn?
Raul Krauthausen – Mein elektrischer Rollstuhl ist genau auf mich angepasst und kann ein bisschen schneller fahren – aber es gibt viele andere Rollstühle, die schneller fahren können. Schnellere Rollstühle erkennt man daran, dass sie ein Versicherungskennzeichen hinten am Rollstuhl haben, ähnlich wie ein Nummernschild.
Die Geschwindigkeit ist mir eigentlich nicht so wichtig, aber ein paar andere Gimmicks an meinem Fortbewegungsmittel sind mir noch lieber: So kann ich über einen USB-Anschluss mein Handy aufladen und habe eine Halterung für einen Klapptisch, den ich gerne auf Steh-Partys nutze. Denn da sind mir meist die Tische zu hoch. Und ganz neu habe ich mir einen Getränkehalter anbauen lassen, eine tolle Erleichterung. Ich glaube Sie können von vielen Rollstuhlfahrer und -fahrerinnen hören, dass es nicht unbedingt auf die Geschwindigkeit ankommt, eher auf den Komfort und die Individualisierung des Rollstuhls.
Glaswelt – Individualisierung und Komfort sind zwei gute Stichworte für (Um-)Baumaßnahmen, was ist für Sie ein Gewinn an Komfort?
Krauthausen – Ich glaube der größte Komfort für uns alle ist doch: Einfachheit. Wir wollen, dass Dinge einfach und unkompliziert funktionieren. Und genau das wäre auch für mich ein Gewinn, wenn ich es schaffe so weit wie möglich mich in meiner Wohnung allein zu bewegen und vom Kühlschrank bis zur Balkontür alles alleine nutzen kann. Natürlich ist das nicht immer möglich und dann habe ich auch eine Assistenz, die mir hilft, aber die Hilfe sollte immer die letzte Möglichkeit sein und nicht gleich die erste Antwort, wenn man etwas plant.
Glaswelt – Mit welchen baulichen Handicaps und „Stolperfallen“ sehen Sie sich in Gebäuden und Wohnungen häufig konfrontiert?
Krauthausen – Der Klassiker ist natürlich gleich am Eingang zu sehen: Stufen und Treppen sind für mich in den meisten Fällen ein unüberwindbares Hindernis. Deswegen versuchen wir auf Wheelmap.org – der Onlinekarte für rollstuhlgerechte Orte –, öffentliche Lokale zu bewerten, ob sie zugänglich sind oder nicht. In Gebäuden stellt sich oft die Frage nach einer rollstuhlgerechten Toilette, also das ein bisschen mehr Platz vorhanden ist und verschiedene Halterungen angebracht sind, damit man sich besser abstützen kann. Aber auch hier muss man immer daran denken, dass es nicht „den Rollstuhlfahrer” oder „die Rollstuhlfahrerin” gibt, deshalb sind die „Stolperfallen” ganz unterschiedlich. Aber Platz ist schon oft eine Frage, denn ich „ecke” im wahrsten Sinne des Wortes gerne einmal an, da es an manchen Stellen zu eng zum Wenden ist. Deshalb sollten bei Bau- und Umbaumaßnahmen immer genügend große Freiflächen vor Türen eingeplant werden.
Glaswelt – Barrierefreies Bauen und Wohnen sind Themen, die zunehmend an Bedeutung für die Baubranche gewinnen. Worauf kommt es beim barrierefreien Bauen in Bezug auf Eingangs- und Wohnungstüren an?
Krauthausen – Es gibt verschiedene DIN-Normen, die gut beschreiben auf was man beim zugänglichen Bauen achten sollte. Ich persönlich versuche das Wort „barrierefrei” zu vermeiden, weil Barrierefreiheit viel mehr bedeutet als nur einen ebenerdigen Zugang zu schaffen.
Viele Architekten oder Bauplaner sagen gerne: So jetzt sind wir barrierefrei, weil sie eine Rampe oder einen Aufzug eingebaut haben. Das ist natürlich richtig, aber noch lange keine komplette Barrierefreiheit. Hier ist das richtige Verständnis wichtig. Das gilt auch für Handwerker. Dazu zwei Beispiele: Wenn ein automatischer Tür- oder Fensteröffner zu hoch sitzt, kann ein Rollstuhlfahrer oder ein kleiner Mensch diesen nur mit Mühe oder ggf. gar nicht betätigen, oder wenn ein Aufzug keine Brailleschrift (Blindenschrift) an den verschiedenen Tasten hat, kann ein Mensch mit Sehbehinderung diesen nicht nutzen.
Diese und noch viel mehr Fragen stehen hinter dem großen Wort „Barrierefreiheit” und ich sehe daher den Begriff eher als Leitplanke, an der man sich immer langarbeiten kann und es ein großes Ziel ist, das in kleinen Schritten erreicht werden kann.
Generell ist auch die Frage nach dem barrierefreien Bauen im Eingangsbereich schwer zu beantworten, weil es gerade im Bestand sehr unterschiedliche Bedingungen gibt, die zu beachten sind. Ich glaube aber, manchmal ist die einfachste Idee die Beste und mit einer automatischen Tür und einem ebenerdigen Zugang ist schon viel getan.
Glaswelt – Wie sehen Sie die Diskussion um die Null-Schwelle oder ginge bei Ihnen eine 2 cm hohe Türschwelle?
Krauthausen – Hier gibt es keine pauschale Antwort, das muss von Fall zu Fall entschieden werden. Denn es ist immer eine individuelle Anpassung notwendig. Ich selbst komme mit meinem E-Rolli auch mit 2 cm hohen Schwellen klar, andere Menschen nicht. Sehbehinderte Menschen hingegen wollen eine Schwelle haben, denn diese dient der Orientierung im Raum und gibt ihnen Anhaltspunke, wo sie gerade in der Wohnung sind. Wie gesagt, die Schwellenhöhe muss auf die Bausituation und den jeweiligen Menschen vor Ort abgestimmt werden. Deshalb ist es das Beste, wenn der Handwerker, der Türen oder Fenstertüren einbaut die Frage der Schwellenhöhe vorab im Gespräch genau auslotet.
Glaswelt – Und wie sieht es mit den Fenstern aus? Welche Anforderungen sollten diese erfüllen, um einen leichten Gebrauch zu ermöglichen?
Krauthausen – Für mich wäre es schon sehr hilfreich, wenn ich die Fensterverriegelung erreichen könnte. Da ich ja nur einen Meter groß bin, komme ich da meistens nicht ran. Und wenn ich rankommen würde, sind die meisten Verschlüsse und Beschläge doch sehr schwergängig. Hier würde ich mir als alter Technikfreund lieber eine elektronische Lösung wünschen, die ich am besten auch von meinem Handy aus steuern könnte.
Glaswelt – Was halten Sie von automatisierten (Glas-)Türen in Gebäuden bzw. in der Privat-Wohnung? Wie müssen diese Beschaffen sein und welche Steuerung erachten Sie für sinnvoll bzw. was würden Sie sich wünschen?
Krauthausen – Generell wäre es sinnvoll, wenn sich viel mehr Türen in öffentlichen Räumen automatisch öffnen ließen. Und in der eigenen Wohnung würden Türen und Fenster, die mit einer automatischen Steuerung über eine App ausgestattet sind, vielen Menschen das Leben wirklich leichter machen. Wichtig ist dabei, dass solche Apps dann leicht zu bedienen sind, gerade für ältere Menschen.
Glaswelt – Wie sind Ihre Erfahrungen – positive und negative – im Umgang mit Handwerkern? Und was könnten diese in der Kundenansprache in Sachen „Barrierefreiheit“ besser machen?
Krauthausen – So viele negative Erfahrungen habe ich mit Handwerkern gar nicht gemacht und genau wie in vielen anderen Berufsgruppen fehlt Handwerkern oft der alltägliche Kontakt zu Menschen mit Behinderungen.
Wenn dieser Umgang „natürlicher” wäre, dann würde man selbst nicht immer so viel erklären müssen. Oft erleichtern kleinere Maßnahmen den Alltag. In meiner Wohngemeinschaft haben wir zum Beispiel einen Türspion auf Rollstuhlhöhe in der Eingangstür eingebaut, damit ich auch mal gucken kann, wer vor der Tür steht.
Zudem haben wir einen automatischen Öffner für die Tür, damit ich selbstständig rein und raus kann. Am Anfang war das eine sehr knifflige Planung, aber den Handwerkern hat es auch Spaß gemacht, einmal etwas Neues auszuprobieren.
Glaswelt – Wie ist Ihre Einschätzung, wird sich barrierefreies Bauen mittel- und langfristig im privaten Wohnungsbau durchsetzen? Welche Potenziale sehen Sie hier für Handwerker?
Krauthausen – Am Ende vom Tag wird es wohl immer eine Frage des Geldes sein, was umgesetzt werden kann oder nicht. Leider. Ich weiß natürlich, dass Anpassungen für meine Bedürfnisse keine Standard-Arbeiten sind und sie deswegen Geld kosten und daher werden sie wohl wirklich nur gemacht, wenn man sie braucht. Eine langfristige Planung ist für viele Menschen wohl meist schwer vorstellbar, obwohl Stufen in der Wohnung früher oder später für jeden zum Feind werden. Warum dann nicht gleich daran denken, wie man Stufen und Treppen vermeiden oder ergänzen kann. Jeder Mensch wird älter und dann ist es schwerer, eine Treppe zu nutzen und Stufen werden schnell zu einer Stolpergefahr.
Daher wäre es schön, wenn es für ein nachhaltiges, barrierearmes Bauen mehr finanzielle Unterstützung geben könnte und ich frage mich oft: Wenn es Geld für Solaranlagen auf Dächern gibt, warum dann nicht auch für einen stufenlosen Zugang? Beides ist wichtig für die Zukunft.—
Die Fragen stellte Matthias Rehberger.
Zur Person
Raul Krauthausen ist Initiator verschiedener sozialer Projekte sowie einer der Mitbegründer der „Sozialhelden“, einem sozialen Unternehmen, das nach eigenem Verständnis aus einer Gruppe von Umdenkern, kreativen Querköpfen und Ums-Eck-Konformisten besteht.
Aktuell konzentriert sich Raul Krauthausen auf Wheelmap.org (www.wheelmap.org), eine digitale Karte zum Suchen, Finden und Markieren von rollstuhlgerechten Orten. Die digitale „Karte“ soll Rollstuhlfahrern und Menschen mit Mobilitätseinschränkungen helfen, ihren Tag planbarer zu gestalten.
Aktuell sind deutschland- und weltweit über 500 000 Cafés, Bibliotheken, Schwimmbäder sowie viele weitere öffentlich zugängliche Orte erfasst.
Die Wheelmap ist als kostenlose App für iPhone und Android verfügbar und kann so bequem unterwegs genutzt werden.
Im April 2013 erhielt Raul Krauthausen für seine Aktivitäten von Bundespräsident Joachim Gauck das Bundesverdienstkreuz am Band verliehen.