_ Die Landesregierung Baden-Württemberg hat Ende 2014 klare Anforderungen formuliert und als Vorreiter gepunktet: „Die weit verbreitete Annahme, 2 cm hohe Schwellen wären zulässig, traf schon bisher nicht zu.“ (MVI BW 2014:2 [2]) Endlich fordert ein fortschrittliches „Ländle“ in einem bundesweit einzigartigen Schreiben schwellenfreie Außentüren innerhalb des sogenannten barrierefreien Bauens bei den Terrassen- und Balkontüren für alle Gebäude nach § 39 LBO BW.
Doch auch das Land Bayern verlangt Schwellenfreiheit für alle öffentlichen Gebäude nach § 48 Abs. 2 der LBO und alle stationären Einrichtungen nach der Verordnung zur Ausführung des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes (AVPfleWoqG).
Nullschwellen sind unabdingbar
Bereits 2013 stellt der Arbeitsausschuss der DIN 18040 (Norm für barrierefreies Bauen [1]) klar, dass nur schwellenfreie Türen barrierefrei sind. Dies gilt auch in Bayern mit der Einführung der DIN 18040 Teil 1 und 2. Beide Normenteile erklären Türschwellen als unzulässig und die Nullschwelle zum Regelfall.
„Schwellenfreie Übergänge sind seit über 15 Jahren technisch gelöst – selbst bei den technisch herausfordernden Fenstertüren als Übergänge zu den Freisitzen. „Es gibt anerkannte, aufeinander abgestimmte Systeme, die es ermöglichen eine technisch einwandfreie Schwellenlosigkeit im Türbereich herzustellen (z. B. Magnetschwellendichtungen in Kombination mit entsprechenden Entwässerungsrinnen und ggfl. einem Vordach gegen Schlagregen)“, erklärt die bayerische Architektenkammer. Nur im Einzelfall, wenn es wirklich keine funktionierende technische Lösung gäbe, seien Schwellen bis maximal 2 cm erlaubt, so die Bayerische Architektenkammer und betont: „Doch, wie gesagt, in der Regel gibt es eine Lösung!“
Damit sind 0 cm hohe Türschwellen unabdingbar, vor allem bei den aktuellen gesetzlichen Entwicklungen, wie dem bedeutenden Gesetz zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung (Behindertenrechtskonvention, UN-BRK).
Das Drama mit den Freisitzen
Ein Schlupfloch gibt es dennoch: „Nach den Vorgaben der Bayerischen Bauordnung (BayBO) zählt der Freisitz nicht zu den im Gesetz ausdrück-lich benannten Räumen einer Wohnung, die barrierefrei sein müssen (Art. 48 Abs. 1 Satz 3 BayBO). Ein barrierefreier Freisitz ist daher nicht erforderlich, um die bauordnungsrechtlichen Mindestanforderungen zum barrierefreien Bauen von Wohnungen zu erfüllen“, so die Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr [3].
Die baden-württembergische Landesbauordnung regelt dies genauso und fordert ebenfalls keine barrierefreie Zugänglichkeit zu den Terrassen und Balkonen.
Doch die Landesregierung Bayern erläutert zumindest diese – zugegebenermaßen schwer verständliche – Mindestanforderung: „Zur Klarstellung der bauordnungsrechtlichen Anforderungen wird auch der in DIN 18040-2 enthaltene Abschnitt 5.6 „Freisitz“ von der Einführung ausgenommen.“ (Oberste Baubehörde Bayern 2013: 7) „Auch wenn die Rechtslage ohne expliziten Hinweis in der Anlage keine andere wäre, haben wir es doch für sinnvoll erachtet, die Anwender durch die Klarstellung in der Anlage darauf hinzuweisen, dass der barrierefreie Freisitz nicht zu den bauordnungsrechtlichen Mindestanforderungen für barrierefreie Wohnungen zählt“, erklärt die Bayerische Oberste Baubehörde. Eine derartige Erläuterung fehlt im Ländle BW.
Ein Beispiel aus der Praxis: Die Baden-Württembergerin – nennen wir sie Hanna Maier – ist eine von mehreren Käufern, die sich mit ihrem Mann zusammen eine barrierefreie Wohnung gekauft hat, um darin bis ins hohe Alter sehr gut leben zu können. „Für uns war es Grundvoraussetzung, dass auch der Balkon bzw. die Terrasse barrierefrei zugänglich ist. Wir haben im Traum nicht daran gedacht, dass dies anders zu verstehen sein könnte und der Freisitz nicht zur Barrierefreiheit gehören soll. Warum kaufe ich einen Balkon oder eine Terrasse, wenn ich mich nicht in jeder Lebensphase frei dorthin bewegen kann?! Wir sind aus allen Wolken gefallen, als wir mit den aus der Barrierefreiheit herausgenommenen Freisitzen der barrierefreien Wohnungen nach der LBO BW konfrontiert wurden“, erzählt Frau Maier.
Forderung: Musterbauordnung nachbessern
Die Wurzel dieses Übels ist in der Musterbauordnung zu finden (§ 50 MBO), die als Grundlage zur Erarbeitung der jeweiligen Landesbauordnungen dienen soll. Die erarbeitende Bauministerkonferenz, also die Bundesbauministerin Barbara Hendricks und alle Bauminister der Länder, müssen hier wohl dringend nacharbeiten. Denn der demografische Wandel fordert konstruktive Lösungen und die UN-BRK muss umgesetzt und Gesetze, Normen und Richtlinien entsprechend angepasst werden.
DIN 18195 – Was ist denn da los?
Im Kontext der Nullschwelle wird erfahrungsgemäß fast immer die Norm für Bauwerksabdichtung, die DIN 18195 aufgeführt. Da unterscheidet sich auch kein Land vom anderen. Diese „private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter“ (Bundesgerichtshof 2007 [4]) wird aktuell überarbeitet und der neue Entwurf (E DIN 18533-1) erklärt die niveaugleichen Schwellen schon wieder zum Einzelfall, trotz UN-BRK, DIN 18040, demografischem Wandel und längst vorhandener technischer Lösung, die sogar die Schlagregensicherheit der Klasse 9 A auch schon vor über 15 Jahren erreicht hat.
Das A steht dabei für ein Verfahren, das nach DIN EN 12208 eine ungeschützte Lage der Türe im Bauwerk berücksichtigt. Die DIN-Norm für Bauwerksabdichtung hingegen fordert selbst im neuen Entwurf kategorisch zusätzlichen Schutz, wie z. B. Vordächer und unmittelbar entwässernde Rinnen.
Die Innovation aus Bayern
Gerade das Land Bayern kann stolz sein, denn ein pfiffiger Bayer namens Harry Frey aus Kaufbeuren hat die schwellenfreie Magnet-Doppeldichtung mit technisch revolutionärer Höchstleistung erfunden. Er bietet die Chance für alle Unternehmen der Baubranche mit neuer Kundenorientierung zu glänzen. „Mit dem hohen Grad an industrieller Vorfertigung benötigt die schwellenfreie Magnet-Doppeldichtung keine zusätzlich entwässernde Rinne, da das bereits eingebaute Entwässerungssystem dieses vorkonfektionierten Bauelementes das in die Nullschwelle eindringende Wasser sicher nach draußen führt und eine zusätzliche Rinne damit ersetzt“, sagt beispielsweise der Bausachverständige und Experte für Bauwerksabdichtung Bernd Brandstetter aus Schwalmstadt.—
Literaturnachweis:
[1] Jocham, Ulrike: Stellungnahme vom Arbeitsausschuss der DIN 18040 in barrierefrei nicht immer barrierefrei, Fachartikel aus behinderte Menschen 4/5/2013, Seite 77, Download: www.bit.ly/GW_Jocham01
[2] Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg (MVI), Schreiben vom 16.12.14, Download: www.bit.ly/GW_Jocham02
[3] Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatministerium des Inneren, Schreiben vom 21.06.13, Download: www.bit.ly/GW_Jocham03
[4] Bundesgerichtshof: Urteil des VII. Zivilsenats vom 14.6.2007 - VII ZR 45/06
Ein neues Bewusstsein ist gefragt
„Jeder möchte doch auf die Terrasse oder den Balkon, vor allem bei schönen Wetter! Das muss für alle Menschen sicher, selbstständig und ohne fremde Hilfe möglich sein“, fordert Josef Koppold der Behindertenbeauftragte des Landkreises Aichach/Friedberg und betont, dass dies für alle mobilitätsbehinderten Personen nur bei tatsächlich schwellenfreien Türen gewährleistet sei.
Bei der Aktion Mensch kann jeder freie gemeinnützige Träger Zuschüsse für den Bau oder Umbau z. B. von inklusiven Kindergärten, Schulen oder Quartierstreffpunkten sowie Einrichtungen und Wohnungen für Menschen mit Behinderung beantragen. Bis zu 300 000 Euro Investitionszuschuss und bis zu 5000 Euro Zuschuss innerhalb der Förderaktion können für gemeinnützige Projekte erreicht werden. Voraussetzung zum Erhalt der Fördermittel ist die Einhaltung der DIN 18040 und damit konsequent schwellenfreie Außentüren.