Die Betriebe suchen händeringend nach Lehrlingen. Ausbildungsstellen bleiben unbesetzt. Der Fachkräftemangel bremst das Handwerk. Seit 2013 Jahren beginnen mehr Jugendliche ein Studium als eine Ausbildung. Das sind Schlagzeilen im Wirtschaftsteil der Zeitungen, die Inhaber von Handwerksbetrieben nicht gerne lesen.
Dabei gibt es auf der anderen Seite viele Abiturienten, die im Studium überfordert sind. In technischen Studiengängen verlassen 50 Prozent die Hochschule ohne Abschluss oder oft erst mit 30 Jahren, berichtete Ex-Wirtschaftsminister Franz Josef Pschierer anlässlich einer Schulhauseinweihung in Niederbayern. 2030 wird es ein Defizit von 4 Millionen Facharbeitern, aber einen Überhang von 1 Million Akademikern geben, so sein Fazit.
Abiturienten für die Ausbildung gewinnen - wie geht das?
„Die Betriebe und die Schulen müssen sich etwas einfallen lassen“, appellieren Regierung und Ministerium bei den Schulleiterdienstbesprechungen. Christa Jungwirth, Schulleiterin der Beruflichen Schulen Vilshofen, ist überzeugt, dass mehr Abiturienten für eine duale Ausbildung gewonnen werden müssen. „Viele sind handwerklich geschickt und wollen auch arbeiten. Dieses Potential müssen wir für uns gewinnen. Wir brauchen für die Abiturienten Anreize, um sie für eine Ausbildung zu begeistern“.
Beide Seiten sieht sie als Gewinner, die Betriebe und die Abiturienten. Mit fundierten Praxiserfahrungen und dem Know-how aus einer Ausbildung stehen den jungen Leute alle Möglichkeiten offen. Sie können nach einer Lehre immer noch studieren. Sie können aber auch erfolgreich als Geselle arbeiten oder den Meister bzw. den Techniker anstreben. Und eines ist sicher: Sie haben sich mit dem Gesellenbrief ein Fundament erarbeitet, das sie beruflich und damit finanziell absichert.
Abi + Ausbildung ist ein hervorragendes Modell, das es bereits seit 2007 in Landsberg am Lech gibt. An der dortigen Berufsschule werden deutschlandweit Abiturienten im Bereich „Abi + Auto“ ausgebildet. Was alles in diesem Abiturienten-Modell steckt, erklärt Christa Jungwirth: „Eine enorme Lehrzeitverkürzung um ein Jahr, ohne dass der fachliche Unterricht gekürzt wird. Damit muss sich der Schüler den Unterrichtsstoff nicht wie bei einer üblichen Lehrzeitverkürzung selbst aneignen. Eine eigene Abiturientenklasse ist homogen, die Schüler sind sehr leistungsfähig und hochmotiviert. Unterforderung der Abiturienten wie bei einer regulären Lehrlingsklasse ist kein Thema mehr. Auch das „Image“ einer Abiturientenklasse spielt bei den jungen Leuten aus dem Gymnasium oder einer Fachoberschule eine gewisse Rolle.“
Glaser mit Angebot für Zusatzmodule
Auf der anderen Seite haben auch die Betriebe ihre Vorteile: Sie bekommen leistungsfähige Lehrlinge. Viele Abiturienten wollen „endlich mal praktisch arbeiten“ und natürlich Geld verdienen. Die um ein Jahr verkürzte Ausbildung im Sondermodell Abi + Ausbildung bietet den Lehrlingen noch weitere Anreize: Für die Glaser will die Berufsschule Vilshofen zwei Zusatzmodule anbieten. Geplant sind CNC-Fachkraft und Elektro-Fachkraft. Die HWK bietet den Lehrlingen während ihrer Ausbildung zwei Teile der Meisterausbildung (III und IV) an. „Da ist der Meistertitel nicht mehr fern. Diese Gelegenheit, in derart kurzer Zeit die Meisterprüfung abzulegen, sollte sich keiner entgehen lassen“, so Tobias Stadler, zuständig für die Glaserausbildung an der Berufsschule Vilshofen.
Die jungen Glaser erhalten schon mit ca. 21 Jahren den Meistertitel. „Das ist sehr früh“, geben Fachoberlehrer Andreas Hart und Josef Sailer, Leiter des Bildungszentrums der HWK Ndb/Opf ,zu bedenken. „Die jungen Leute müssen sich erst noch den Meistertitel in der Praxis verdienen, ehe dem Titel auch eine verantwortungsvolle Position folgt.“
Nicht alle werden im Betrieb bleiben, vermutet die Schulleiterin. Denn einige werden nach der Ausbildung ein Studium anstreben. Aber andere wiederum werden als Geselle bleiben oder als Meister, Techniker oder Ingenieur in den Betrieb zurückkehren. Und das ist das Ziel.
„Nun liegt es im Verantwortungsbereich der Betriebe“, ergänzt Tobias Stadler. „Sie müssen sich zukünftig in Berufsmessen in den umliegenden Gymnasien und Fachoberschulen engagieren. Dort können sie mit der verkürzten Ausbildungsdauer von 2 Jahren und den Zusatzangeboten werben.“
An der Berufsschule in Vilshofen ist man zuversichtlich, dass genügend Abiturienten für eine Klasse einen Lehrvertrag abschließen werden. Mit fähigen Nachwuchskräften, unter denen vielleicht auch der eine oder andere Betriebsnachfolger sein wird, kann der Lehrlingsmangel hoffentlich bald reduziert werden. Dann wird es wieder heißen: Das Handwerk hat goldenen Boden!
In zweieinhalb Jahren zum Meister
Als einzige Schule in Deutschland bietet die Berufsschule Vilshofen ab Herbst 2019 eine Ausbildung zum Glaser speziell für Abiturienten an: Die übliche Ausbildung im Glaserberuf dauert 3 Jahre. Die "fertigen" Gesellen können dann den Meisterbrief in Angriff nehmen.
Das neue Modell „Abi + Glaser“ reduziert die Ausbildungszeit bis zum Gesellenbrief um ein Jahr. Damit dauert die Lehrzeit nur zwei Jahre. Teile der Vorbereitung auf die Meisterprüfung (Ausbildereignung und kaufmännische Betriebsführung) sind im 2. Ausbildungsjahr inbegriffen.
Weil die fertigen Gesellen bereits 2 Teile der Meisterausbildung absolviert haben, ist der restliche Weg zum Meisterbrief kurz: Ein weiteres halbes Jahr Fortbildungsphase bei der HWK in Vilshofen soll laut Modell genügen. Somit hätten erfolgreiche Absolventen nach insgesamt 2,5 Jahren den Meistertitel in der Tasche. Den Gesellen stehen aber viele andere Weiterbildungsmöglichkeiten (Weiterbildung zum Techniker, Studium) offen.
Ausbildungsstellen wird es unter anderem auf www.lehrstellen-radar.de, einem Portal der deutschen Handwerkskammern, geben.
Ansprechpartner: Berufsschule Vilshofen: Tobias Stadler, t.stadler@bsvof.de; Handwerkskammern Glaser- und Fensterbau-Innungen