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Im Gespräch mit Günter Weidemann von Schollglas

Der Mann, der die Glasbranche veränderte

Glaswelt – Herr Weidemann, wie lange lesen Sie schon die GLASWELT?

Günter Weidemann – Seit gut 60 Jahren lese ich die GLASWELT, um über die aktuellen Branchenthemen auf dem Laufenden zu bleiben.

Glaswelt – Sie haben die Entwicklung der Branche über eine lange Zeit im Blick. Was waren für Sie einschneidende Veränderungen?

Weidemann – Die Vielfalt der Produkte für den Objektsektor sowie für den Individualbedarf ist in den letzten 50 Jahren wesentlich größer geworden. Die stetige Weiterentwicklung der Eigenschaften von Floatglas sowie die deutliche Zunahme an Sicherheitsglas in allen Bereichen der Gebäudehülle und im Interieur sind weitere Punkte.

Speziell im Innenausbau hat Glas über die Jahre wesentlich an Bedeutung gewonnen. Rund 95 Prozent der Duschen werden heute z. B. aus Sicherheitsglas gefertigt. Im Hinblick auf die Veredlung, etwa durch Sieb- und Digitaldruck oder seit kurzem mittels Laser, hat Glas deutlich an Bedeutung gewonnen. Weiter sehe ich aktuell, auch mit Blick auf die neue Gesetzgebung, d. h. die Novellierung der DIN 18008, bezüglich des Einbaus von Sicherheitsglas bei Isolierglas und als Absturzsicherung ein gutes Wachstum bei VSG.

Glaswelt – Und wie sieht es beim ESG aus?

Weidemann – ESG hat über die Jahre gewaltig an Bedeutung gewonnen. In diesem Segment sind wir mit unseren unterschiedlichen Betrieben sehr breit aufgestellt. Wir verarbeiten und vermarkten als freies, konzernunabhängiges Unternehmen jährlich 6 Mio m2 und sind so sicherlich einer der größten ESG-Verarbeiter in Europa, gerade was die Vielfalt der Produkte angeht.

Glaswelt – Ein Blick auf Ihre Historie: Welche Herausforderungen stellten sich Ihnen, als Sie 1969 Ihre erste Glasfirma gegründet haben?

Weidemann – Damals habe ich als 1-Mann-Betrieb angefangen. Die erste und größte Herausforderung war, als kleine Handelsfirma den Direktbezug von Basisglas zu erhalten. Das konnte ich damals nur erreichen, indem ich den Firmenmantel der C. H. Scholl KG, Bielefeld, kaufte, um von den Glasherstellern überhaupt beliefert zu werden. Seit dieser Zeit ist auch mein Firmensitz in Hannover. Zu Anfang hatte ich noch kein Lager und das bedeutete, ich konnte nur Streckengeschäfte machen.

Glaswelt – Was waren wesentliche Unterschiede zu heute?

Weidemann – Der Handel war damals nur regional im Radius bis ca. 200 km tätig und bediente das verglasende Handwerk. Was zu wenig erkannt wurde: dass sich für Glasanbieter aber auch bundesweit neue interessante Felder auftaten. Solche Nischen habe ich gesucht und wurde damit sofort deutschlandweit aktiv.

Glaswelt – Was waren das für Nischen?

Weidemann – Das war z. B. die Fertighaus-Industrie, die Fenster kaufen musste und diese dann selbst verglaste. Ein komplett verglastes Fertigfenster wie heute gab es noch nicht. Und mittelständische Isolierglas-Hersteller gab es eigentlich auch nicht, dieser Markt wurde von der Industrie bedient. Als Zulieferer der Fertighausbauer wurde ich dann einer der größten Thermopane-Abnehmer in Deutschland. Hierzu beigetragen haben auch die damals aufkommenden Normfenster. Ich denke hier z. B. an das Gimm-Programm aus Frankreich sowie an die Fenster von Aldra und Velux. Aldra war der erste Fensterhersteller überhaupt, der dem Handel ein fertig verglastes Fenster anbot.

Weitere Nischen waren das Geschäft mit Glas für Hobbygewächshäuser und Gewächshäuser, für Telefonzellen, für Betonfenster und für Dachausstiegfenster, alles Bereiche, die weitestgehend bedeutungslos geworden sind.

Die Wiedervereinigung hat mein Geschäft stark verändert. Bis dahin hatte ich sehr viel Glas in die sogenannten Ostblockländer geliefert und gleichzeitig sehr viel Glas von dort bezogen. Das gab es in diesem Umfang nach der Grenzöffnung nicht mehr. Damals fing ich an, Isolierglas in Ostdeutschland zu produzieren, und ich konnte in kürzester Zeit an fünf Standorten in den neuen Bundesländern Isolierglas-Betriebe aus dem Boden stampfen.

Zeitgleich übernahm ich in Lommatzsch einen Betrieb von der Treuhand, in dem bis zur Wende Autospiegel hergestellt wurden. Dort haben wir dann eine ESG-Fertigung aufgebaut. Dem folgte 2001 mein erster ESG-Betrieb in Polen in Sandomierz. Dort fingen wir an, das ESG-Geschäft für den Serienbedarf auszubauen. Zeitgleich habe ich einen weiteren Betrieb in Nossen bei Dresden aufgebaut, in dem wir VSG, ESG und Isolierglas herstellen. Aktuell haben wir die Produktion aus Sandomierz in den Nachbarort Tarnobrzeg verlegt. Es war notwendig, ein neues Werk zu bauen, da in Sandomierz die Arbeitsabläufe und der Maschinenpark nach 17 Jahren nicht mehr optimal waren.

Glaswelt – Haben sich die Anforderungen seit den 1960ern geändert?

Weidemann – Auf alle Fälle. Die heutigen hohen Qualitätsansprüche sind mit früher nicht vergleichbar. Zudem haben sich die normativen Anforderungen sehr stark gewandelt und verschärft, was zu einer deutlich besseren Qualität geführt hat, was wiederum deutlich höheres Know-how von den Verarbeitern fordert. Und die Architekten treiben die Entwicklung mit ihren Wünschen immer weiter voran.

Glaswelt – Wie ist Schollglas für die Zukunft aufgestellt?

Weidemann – Nach wie vor können wir als unabhängiges Unternehmen ein breites Sortiment an Glasprodukten anbieten, wir sind stark im internationalen Handel und wir punkten mit der Breite unserer ESG-Palette und unserer Isolierglasproduktion.

Glaswelt – Sie sagten, Sie haben seinerzeit geschickt Marktnischen ausgenutzt, um zu wachsen. Gilt dies auch heute noch?

Weidemann – Nischen sind nach wie vor interessant und haben neben dem Massengeschäft für uns eine wichtige Bedeutung. Die Nische bringt auch eine Dynamik hin zu neuen Produkten mit sich.

Glaswelt – Zum Trend: Wird es bald nur noch große Anbieter geben?

Weidemann – Nein. Es wird immer auch kleinere und mittlere Firmen geben, die sich spezialisiert haben. Solche Betriebe haben auch weiterhin eine Zukunft, wenn sie flexibel sind.

Glaswelt – Geht es bei Fassadengläsern künftig ohne Multifunktion?

Weidemann – Multifunktion wird immer wichtiger, da die Architekten darauf drängen. Unsere Branche nimmt dies auf und wird mit ihren Angeboten immer flexibler.

Glaswelt – Gibt es Glas bald nur noch als digitales „Smart Glass“?

Weidemann – In einigen Bereichen ist Glas bereits vollständig digital. Ich denke hier an Display- und Touch-Anwendungen. Diese wurden durch Spezialfirmen erschlossen, für die Glas selbst eine sekundäre Bedeutung hat. Zunehmend erschließen nun aber auch Glasverarbeiter – wie Schollglas – interessante Felder der Digitalisierung von Glas. Gerade für schaltbares Glas gibt es einen wachsenden Bedarf. Voraussetzung für die Marktdurchdringung ist jedoch, dass die Preise sinken, um diese marktfähig zu machen. In diesem Markt sehe ich aber einiges an Bewegung.

Glaswelt – Was wünschen Sie der Glasbranche für die Zukunft?

Weidemann – Als Kind dieser Branche hoffe und wünsche ich, dass sie weiterhin erfolgreich ist und vom Trend nach mehr Glas in der Fassade und im Innenraum auch profitiert. Weiterhin wünsche ich mir, dass der Wert des Produktes Glas entsprechend gewürdigt und besser honoriert wird.—

Das Gespräch führte Matthias Rehberger.

Das ist Schollglas

Schollglas ist ein konzernunabhängiger Flachglasveredler, der sich durch die Vielfältigkeit seiner Produkte auszeichnet. 1969 von Günter Weidemann als „Ein-Mann-Betrieb“ gegründet, entstand unter seiner Ägide Schritt für Schritt eines der führenden europäischen Flachglasverarbeitungs- und Handelsunternehmen mit heute 20 Betrieben und über 1500 Mitarbeitern. Die Vielfalt der Produkte ist ein Markenzeichen des Unternehmens. Im Jahr 2003 wurde Schollglas mit dem Innovationspreis der deutschen Wirtschaft ausgezeichnet.

Für sein Lebenswerk erhielt Günter Weidemann im Jahr 2015 das Bundesverdienstkreuz am Bande.www.schollglas.de

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