_ Bei ISO-Einheiten, insbesondere im 4-fach-Aufbau, kommt es auf das Zusammenspiel einer ganzen Reihe von Parametern an, und das Endprodukt ist nach der Prämisse Aufwand, Nutzen, Risiken zu bewerten. „Ein Scheibchen mehr“ hat starke Auswirkungen.
Mit 4-fach-Isoliergläsern lassen sich noch niedrigere Ug-Werte erzielen als bei 3-fach-Einheiten. Dabei muss das System „4-fach-Glas“ jedoch umfassender betrachtet werden in Bezug auf mechanische, thermische und wirtschaftliche Anforderungen sowie unter Berücksichtigung der Lebensdauer, der Gesamtenergiebilanz und der zunehmenden Komplexität solcher Systeme.
Ug-Wert-Betrachtung
Welche (U-)Werte lassen sich wirtschaftlich erreichen? „Wirtschaftlich“ bedeutet in diesem Zusammenhang eine übliche Fertigungstiefe mit technisch sinnvollen Scheibenzwischenräumen. Kryptonfüllungen sind wegen der hohen Kosten für die Gasfüllung durchaus schon grenzwertig. Auf exotischere Füllgase, mit denen man zwar einen „Rekord-U-Wert“ erreichen kann, wie z. B. Xenon, wird hier bewusst verzichtet.
Denn: Xenon Gas ist nur schwer verfügbar und sehr teuer. In den Mengen, die für eine industrielle Fertigung nötig wären, ist es weder unter wirtschaftlichen noch unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten eine sinnvolle Option.
Dicke/Gewicht/Statik/Bemessung
Hier werden nur die Standardaufbauten betrachtet. Zusätzliche Anforderungen, wie statische Bemessung, Schallschutz und Einbruchschutz, werden hier nicht aufgeführt.
Ein 2-fach-Isolierglas ist in seinem mechanischen Verhalten bezüglich der Wind- und Klimalasten noch überschaubar. Zudem stehen bewährte, anerkannte Modelle des physikalischen Verhaltens zur Verfügung, die ihren Weg in die amtlichen Bemessungsvorgaben wie die DIN 18008 gefunden haben. Mit jedem zusätzlichen Scheibenzwischenraum (SZR) muss man sich allerdings die Frage stellen, ob das Modell für 2-fach-Isolierglas noch ausreicht. Wie berechtigt diese Frage ist, zeigt ein Vergleich der thermischen Belastungen von 2-fach-, 3-fach- und 4-fach-ISO.
Weitere Eigenschaften
Betrachtet man Standardaufbauten in üblichen Größen, lässt sich bei 3-fach-Isoliergläsern noch annehmen, dass die beiden SZR in etwa die gleichen Temperaturen aufweisen. Dies muss man bei 4-fach-Isolierglas jedoch überdenken.
Weiter lässt sich bei 3-fach-Isoliergläsern annehmen, dass bei gleicher Biegesteifigkeit der äußeren Scheiben die Scheibenzwischenräume den gleichen isochoren Druck/ Klimalast haben (d. h. die mittlere Scheibe ist in Bezug auf Druckbelastung praktisch lastfrei). Man kann diese Aussage bei 4-fach-Isoliergläsern aber nicht mehr ohne Weiteres treffen. Der Grund: Die hohen Temperaturunterschiede zwischen den inneren und äußeren Scheiben.
Das bedeutet: Allein schon aus thermischen Gründen müssen die mittleren Scheiben des hier beispielhaft untersuchten 4-fach-ISO thermisch vorgespannt werden (ESG-H).
Statische Berechnung/Bemessung
Für 2-fach-Isolierglas hat sich das bisherige statische Berechnungsmodell in der Praxis bewährt. Und durch die ähnlichen isochoren Drücke in den SZR von 3-fach-Isolierglas kann man auch diese Glasaufbauten hinreichend und sicher statisch bemessen.
Für 4-fach-ISO ist dieses Modell so nicht übertragbar. Unterschiedliche Temperaturen in den drei SZR erzeugen auch unterschiedliche isochore Drücke. Damit bleiben im 4-fach-Aufbau, selbst bei gleicher Biegesteifigkeit der Außenscheiben, die inneren Scheiben im Gegensatz zu 3-fach-ISO nicht mehr lastfrei. Verifizierte und geeignete Rechenmodelle für 4-fach-Aufbauten stehen zurzeit (noch) nicht zur Verfügung.
Um einen solchen Aufbau zu simulieren, wurden im nachfolgenden Beispiel die 4-fach-Isoliergläser als 3-fach-Gläser mit entsprechend großem SZR angesetzt. Statt eines Aufbaus von 4-12Ar-4-12Ar-4-12Ar-4 wurde ein 3-fach-Isolierglas mit dem Ersatzaufbau 4-18Ar-4-18Ar-4 berechnet. Es ist davon auszugehen, dass die Ergebnisse der vorliegenden Berechnung geringere Spannungsüberschreitungen als real ausweisen.
Zur Simulation der 4-fach-Gläser wurde aufgrund der drei Low-E beschichteten Scheiben eine erhöhte Absorption gemäß DIN 18008-2 angenommen. Aufgrund des thermomechanischen Verhaltens müssen 4-fach-Isoliergläser für Fenster und Fenstertüren bereits in üblichen Abmessungen als ESG ausgeführt werden.
Ebenso, wie es keine verifizierten Berechnungsmodelle für die Glasdimensionierung gibt, gibt es keine Erfahrungen und Erkenntnisse über die Beanspruchung und die Dauerhaftigkeit des Randverbundes.
Verkürzte Lebensdauer
Aufgrund des hier beschriebenen Verhaltens muss man allerdings davon ausgehen, dass die Belastung des Randverbunds sehr hoch ist. Dies hat mit hoher Wahrscheinlichkeit einen deutlichen Einfluss auf die Lebensdauer der 4-fach-Einheit. Das heißt: Von einer verkürzten Lebensdauer einer 4-fach-Einheit im Vergleich zu 2-fach- und 3-fach-ISO ist daher auszugehen.
Die Darstellung von Energieeinsparung und Effizienz ist nicht so einfach und griffig wie die der Wärmedämmung. Für die Betrachtung von Glas und Fenster lässt sich die Energieeffizienz nach der DIN EN ISO 1077 bewerten. Hier wird anhand der wichtigen Leistungseigenschaften von Glas und Fenster unter Berücksichtigung der Klimadaten eine Bilanzierung möglich. Dabei werden die Energieverluste, durch die Uw- und Ug-Werte verursacht, den solaren Energiegewinnen durch das Glas (g-Wert) gegenübergestellt.
Tabelle 1 zeigt eine solche Bilanzierung, bei der verschiedene 2-fach-, 3-fach- und 4-fach-Isoliergläser verglichen werden. Negative Werte stellen einen Netto-Energiegewinn dar, positive Werte stellen einen Netto-Energieverlust dar. Der Bewertungszeitraum beläuft sich über ein Jahr.
Vordergründig lässt sich bei sehr hellen 4-fach-Isoliergläsern ein Nettoenergiegewinn berechnen. In der Regel ist dieser Gewinn jedoch nur unter optimalen Bedingungen nutzbar. Dazu gehört z. B. eine optimale Lage des Gebäudes. Tallagen mit beschränkten Sonnenstunden oder Verschattungen durch andere Gebäude in Innenstadtbereichen lassen eine solche Bilanz auch sehr schnell kippen.
Auch der sommerliche Wärmeschutz muss akribisch geplant werden, damit die gute Energiebilanz der Fenster durch übermäßige Klimatisierung und Kühlung nicht wieder zunichtegemacht wird. Dieser Nettogewinn ist also nur eine theoretische Rechengröße. Betrachtet man diese über den gesamten Lebenszyklus des Glases, sieht es schon dramatisch anders aus.
Mit der Durchführung einer Lebenszyklusanalyse werden die Umwelteinwirkungen von Produkten transparent. Dies gilt vor allem für den zur Herstellung notwendigen Energieeinsatz und die anfallenden CO2-Emissionen. So verbraucht die Herstellung eines 4-fach-Isolierglases etwa 172 % mehr Energie und mehr als doppelt so viel Wasser als die Herstellung von 3-fach-ISO.
Die Veränderung der Ladekapazitäten beim Transport wurde dabei noch nicht einmal berücksichtigt. Für den Transport von 4-fach-Einheiten ist im Vergleich zu 2-fach-ISO jedoch die doppelte Transportkapazität notwendig. Im Sinne der Nachhaltigkeit erscheint 4-fach-Isolierglas also weder wirtschaftlich noch energetisch und ökologisch vorteilhaft.
Ausblick
Das Konzept „Darf es ein Scheibchen mehr sein?“ funktioniert ohne weitere Überprüfung in der ISO-Fertigung nicht. Der Grund: Bei technischen Systemen zieht die Veränderung von Einzelkomponenten auch immer eine Veränderung des Gesamtsystems nach sich.
Durch die physikalischen Wechselwirkungen der einzelnen Komponenten eines Fensters bzw. Isolierglases, steigt die Komplexität des Systems überproportional an.
Dazu kommt noch ein erheblicher Aufwand in der Fertigung sowie ein hoher Energie- und Materialverbrauch, der auch eine Kostenamortisation mehr als fraglich erscheinen lässt. Wobei die Frage der Lebensdauer von 4-fach-Isoliergläsern noch nicht hinreichend beantwortet werden kann. —
KurzInterview mit Ralph Vornholt
GLASWELT – Lohnt sich der Einsatz von 4-fach-ISO gegenüber 3-fach-ISO?
Ralph Vornholt – Eine Erhöhung des Nutzens durch die Verwendung von 4-fach-Isolierglas ist nur bei wenigen Glasaufbauten darstellbar und dies auch nur unter formal optimalen Randbedingungen.
GLASWELT – Wie schätzen Sie das Kosten-Nutzen-Verhältnis ein, auch ökologisch?
Vornholt – Der ökologische Nutzen ist durch den überproportionalen Energieaufwand bei Herstellung und Transport des Glases mehr als fraglich. Ein Teil des hohen Energieverbrauchs ist der Notwendigkeit geschuldet, bei 4-fach-Isolierglas aus thermo-mechanischen Gründen ESG einzusetzen.
GLASWELT – Lohnt sich 4-fach-ISO für den Nutzer?
Vornholt – Eine Kostenamortisation dürfte wegen des Fertigungsaufwands bei gleichzeitig minimaler Verbesserung der Leistung im Vergleich zu 3-fach-Isolierglas illusorisch sein.
GLASWELT – Wie sieht es mit der Lebensdauer von 4-fach-Aufbauten aus?
Vornholt – Die Lebensdauer von 4-fach-Einheiten lässt sich zurzeit aufgrund fehlender zuverlässiger Bewertungsmöglichkeiten der dauerhaften Belastungen der Randverbundsysteme nicht ausreichend sicher beantworten.
GLASWELT – Wie bewerten Sie die optischen Qualitäten?
Vornholt – Hier muss man die Frage nach der Ästhetik stellen. Bei vier beschichteten Gläsern, davon drei Scheiben zu ESG vorgespannt, dürfte eine verzerrungsfreie Durchsicht eher die Ausnahme als die Regel sein. Weiterhin muss dem Endverbraucher auch gefallen, dass seine 4-fach-Isoliergläser stark spiegeln.
GLASWELT – Was raten Sie unseren Lesern hinsichtlich 4-fach-Verglasungen?
Vornholt – Bei der Überlegung, ein 4-fach-Isolierglas einzusetzen sollten sich Planer und Bauherren fragen, ob sie durch den erheblichen Mehraufwand einen wirklichen ökologischen, energetischen und wirtschaftlichen Mehrwert erwerben oder lediglich einen Marketinggag.
Die Fragen stellte Matthias Rehberger